Der Icefields Parkway zwischen Banff und Jasper gilt als eine der schönsten Straßen Kanadas, wenn nicht sogar der Welt (Video). Ich muss zugeben, ich war zunächst etwas skeptisch, denn hohe, schneebedeckte Berge und idyllisch gelegene Seen hatte ich in den letzten Tagen bereits zur Genüge gesehen, aber mit jedem gefahrenen Kilometer musste ich zugeben: Ja, es stimmt.
Es ist verdammt schön hier, auch wenn es noch mehr Berge und Seen und Wälder sind, die hier den Straßenrand säumen, denn zusätzlich gibt es noch Wasserfälle und Gletscher – und Bären!
Der kleine, nicht so spektakuläre Herbert Lake war unser erster Haltepunkt, den sehr viel größeren Hector Lake, den wir eigentlich ansteuern wollten, haben wir dagegen verpasst, weil es mal wieder keine Beschilderung gab oder wir sie übersehen haben. Bereits wenige Kilometer später stießen wir auf den ersten Gletscher: den Crowfoot Glacier. Inzwischen waren die Temperaturen auf knapp über den Gefrierpunkt gesunken, es war neblig und begann zu schneien. Also ein ganz normaler Frühlingstag im Banff National Park.
Der Bow Lake, der anschließend folgte, war dann schon zugefroren. Und es ging immer bergauf, bis wir den Bow Summit erreicht hatten. Von dort aus kann man innerhalb von zehn Minuten dreißig Höhenmeter hinaufwandern zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man auf den in hellem Türkis erstrahlenden Peyto Lake blickt. So zumindest laut Internet und Reiseführer.
Klingt alles wunderbar – nur lag auf dem Berg gut ein Meter Schnee, der an der Oberfläche zwar festgetreten war, aber auch langsam zu tauen begann, da sich endlich die Sonne zeigte. Mühsam stapften wir also zwanzig Minuten bergan, schnauften dabei – wir waren über zweitausend Meter überm Meeresspiegel – um die Wette und schauten dann auf einen komplett zugefrorenen See. Nicht ganz das, was in den Prospekten beworben wird, dennoch sehr beeindruckend und wunderschön. Und der Weg bergab war noch viel lustiger, da man immer wieder bis zum Knie im Schnee versank oder auf dem Eis ausrutschte. Immerhin hatte ich Winterschuhe und eine warme Jacke dabei, andere Wanderer kamen uns in Segelschuhen und Jogginghosen entgegen.
Nach einer halben Stunde, in der wir nichts als Schnee und Eis und grüne Tannen gesehen hatten, bekam ich plötzlich Appetit auf Spekulatius und Christstollen. Vielleicht sollte ich mich Weihnachten an diesen Tag erinnern, um in die richtige Stimmung für die Festtage zu kommen …
Da wegen des Schnees an längere Wanderungen nicht zu denken war (Video) und zudem Lawinen und hungrige Bären und Wölfe drohten (immerhin wird der Park videoüberwacht, um das Verhalten von Tieren und Touristen zu beobachten und zu dokumentieren, falls jemand versehentlich gefressen wird), machten wir einen Abstecher Richtung Osten. Dort befindet sich noch mehr tolle Landschaft, diesmal mit dem pittoresken Abraham Lake. Leider war es zu mühsam, an sein Ufer zu gelangen, aber das Beste war sowieso, dass wir auf dem Weg dorthin unseren ersten Bären gesehen haben! Ein noch recht junges Exemplar, das neben der Straße friedlich graste und sich durch die Autos neben ihm nicht aus der Ruhe bringen ließ. Am liebsten wäre ich ausgestiegen und näher hingegangen, habe mich aber nicht getraut, da auf den Schildern im Park immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass ausnahmslos alle Tiere potentiell gefährlich sein können. Vermutlich sogar die Eichhörnchen. Ein paar Schnappschüsse konnte ich immerhin vom Wagen aus schießen, und als der Bär endlich seinen Kopf hob und genau in meine Kamera schaute, war ich glücklich über mein perfektes Bild. – Bis ich entdeckte, dass ich vor lauter Begeisterung mit einer Hand die Linse verdeckte …
Am Waterflows Lake wollten wir eigentlich gar nicht anhalten, aber er sah so nett und idyllisch aus, dass wir doch stoppten. Eine weitere Urlauberin brachte es am Ufer auf den Punkt: „Finally an unfrozen lake!“
Die nächste kurze Wanderung führte uns zum Mistaya Canyon, eine schmale Schlucht, die der gleichnamige Fluss ins Gestein gegraben hat. Die Felswände sind so bizarr verformt, dass man meinen könnte, jemand hätte sie mit einem gigantischen Korkenzieher bearbeitet.
Das Wetter war nach wie vor unberechenbar. Wir hatten Regenschauer, Schnee und Sonne – und manchmal alles zur gleichen Zeit. Aber am Nachmittag besserte es sich endlich, die Sonne setzte sich durch, der Himmel wurde wieder blauer. Ideales Wetter also, um mit den Kindern spazieren zu gehen. Das dachte sich wohl auch eine Bärenmama, die mit ihrem Jungen im Schlepptau am Waldrand entlangtrottete. Leider waren beide hinter Sträuchern und kleinen Bäumen verborgen, so dass man sie nicht fotografieren konnte. Aber später begegneten uns noch zwei weitere Bären, die sich ihre Portion Gras abgeholt haben. Und ich dachte immer, Bären fressen vor allem Lachs und Touristen (Video).
Höhepunkt der Tages war der Athabasca Glacier. Vom Columbia Icefield aus kann man einen kurzen Spaziergang zum Gletscher hoch machen. Alle drei Meter wurde man gewarnt, nur ja nicht hinter die Absperrung zu treten, und auf den Schildern konnte man schauerliche Geschichten lesen von kleinen Kindern, die in Gletscherspalten gestürzt und dann erfroren waren. Am Gletscherrand schien dann endlich die Sonne, doch es wehte auch ein eiskalter Wind (Video). Schön war es trotzdem. Auf eine Busfahrt auf einen Gletscher hinauf haben wir dann aber doch verzichtet, zum einen hätte die Zeit dafür nicht gereicht, zum anderen friere ich nicht so gern.
Auf dem restlichen Weg waren vor allem noch die Wasserfälle beeindruckend. Der erste (Tangle Falls, Video) lag ganz unscheinbar direkt am Straßenrand und ließ sich sogar erklettern, was vermutlich streng verboten ist. Der nächste, Sunwapta Falls, musste wie sein „Nachbar“, die Athabasca Falls (Video), in einem kurzen Fußmarsch erwandert werden. Es war nicht anstrengend und lohnte die Mühe, denn beide sind wirklich beeindruckend.
Inzwischen war es bereits sechs Uhr, und wir waren fertig. Buchstäblich. Es war ein anstrengender Tag, aber dieses Teilstück war vermutlich auch das Highlight der gesamten Reise. Mehr Schönheit an einem Tag geht nicht, zumal noch fünf putzige Bären und etliche Rehe dazukamen. Leider keine Karibus, obwohl auf einem Schild gewarnt davor wurde, dass sie sich auf der Straße herumtreiben. Dafür haben wir am Abend wenigstens noch einen Elch gesehen – auf unserem Teller. Um diesen bemerkenswerten Tag zu feiern, haben wir nämlich ein Elchsteak probiert. Ein großer Unterschied zum Rind war aber nicht festzustellen …