Als ich mich auf die Reise vorbereitet habe, war ich der Meinung, dass die Tage in den kanadischen Nationalparks eher einem Winterurlaub gleichen. Dementsprechend habe ich Winterschuhe und eine dicke Jacke mitgenommen – und am Montag zum ersten Mal gebraucht. Am Morgen war es nämlich noch empfindlich kalt, und wir fuhren in die Berge zum Lake Louise, der noch weitgehend zugefroren ist. Dafür liegt er ausgesprochen malerisch zwischen einigen hohen Bergen.
Unterwegs kamen wir noch am Wapta Lake vorbei, auch zur Hälfte noch gefroren, und an den Spiral Tunnels. Dort wurde, nach Schweizer Vorbild, ein spiralförmiger Eisenbahntunnel in den Fels gebohrt – eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Da die Züge hier unglaublich lang sind, kann man beobachten, wie ein Teil oben bereits herauskommt während der Rest unten noch einfährt. Zumindest in der Theorie, da die Bäume inzwischen so hoch sind, dass man nur den oberen Tunnelausgang erkennen kann. Dennoch standen sich die Menschen auf der Aussichtsplattform gegenseitig auf den Füßen, um einen Blick darauf zu erhaschen. Sogar Reisebusse halten hier an …
Die Schönheit dieser Gegend ist wirklich beeindruckend, auch wenn sie eher klotzt als kleckert: Die Berge sind hoch und schroff, die Wälder schier endlos, die Flüsse winden sich durch üppig grüne Ebenen oder rauschen die Hänge hinab. Ein bisschen ist Kanada hier wie Venedig, man kann sich an beliebiger Stelle hinstellen und hat immer eine tolle Aussicht.
Zum Lake Louise gehört nicht nur ein riesiges Hotel, sondern, etwas tiefer gelegen, auch ein geschäftiges Dörfchen. Wir wollten dort einen Spaziergang am Fluss unternehmen, doch der Weg dorthin war wieder einmal furchtbar umständlich und schlecht beschildert, so dass wir zuerst etwas orientierungslos durch die Gegend gelaufen sind und schließlich über die Gleise zum Bahnhof laufen mussten. Der Weg selbst führte auch weniger am Ufer entlang, sondern vor allem durch einen Wald, weshalb wir bald wieder kehrtgemacht haben.
Nach einem kleinen Lunch ging es weiter über den Bow Valley Parkway nach Banff. Die Straße ist eine etwas gemächlichere Alternative zum Highway Nummer Eins und kommt an einigen sehr schönen Aussichtspunkten vorbei (auch wenn die Kanadier es zuverlässig schaffen, die schönsten Flecken zu ignorieren oder die Haltebuchten so mit Bäumen zu bepflanzen, dass man nichts mehr sieht).
Unsere einzige längere Wanderung führte uns in den Johnston Canyon und hinauf zu zwei tosenden Wasserfällen. Auch hier wimmelte es wieder nur so von Besuchern, von denen einige nicht einmal wie Wanderer aussahen, sondern eher wie Flaneure in einer Fußgängerzone. Widerwillig ringen mir dabei jene Damen Respekt ab, die es fertig bringen, mit zehn Zentimeter hohen Absätzen Berge zu besteigen, ohne dabei zu stolpern und sich die manikürten Fingernägel abzubrechen.
Dem unteren Wasserfall kann man sogar relativ nah zu Leibe rücken, indem man durch einen engen Tunnel geht und auf die Plattform einer Höhle hinaustritt (Video). Ein halbes Dutzend Menschen finden dort bequem Platz. Als wir dort waren, zusammen mit einer weiteren Besucherin, drängte sich plötzlich eine Busladung Chinesen herein. Das war ein wenig wie früher bei Wetten dass…?, wenn versucht wurde, eine Fußballmannschaft in einen Smart zu zwängen …
Unser Tag endete in Banff, das sich augenscheinlich zur Sommersaison rüstet. Überall wird noch gebaut, renoviert oder wenigstens geputzt. Die ersten Busse mit Touristen reisen an, und es herrscht geschäftiges Treiben. Ich glaube, ich will gar nicht wissen, wie es im Sommer sein muss …