Kanada – die fast geschlossene Schönheit

Ein Tag, der mit einem guten Frühstück beginnt, kann kein schlechter Tag sein. Oder vielleicht doch? Der Ärger nahm etwas später seinen Lauf, im Mount Revelstoke National Park, in dem alles, jeder Campingplatz, jeder Wanderweg, einfach alles geschlossen war. Okay, eine Toilette war immerhin geöffnet, aber sonst … Zur Entschädigung gab es links und rechts der Straße jede Menge schöner Natur, hohe Berge und tiefe Täler mit reißenden Flüssen. Sehr pittoresk.SAM_7594a_small

Als wir die Grenze zum Glacier National Park überfuhren, waren wir noch guter Hoffnung, aber das Visitor Center war genauso geschlossen wie alles andere auch. Nach dem Victoria Day am kommenden Wochenende soll wieder geöffnet werden, aber davon haben wir ja nichts. Und alle anderen Touristen auch nicht.

In dieser Beziehung kann Kanada noch viel von seinem südlichen Nachbarn lernen, denn in den USA geht man stärker auf die Touristen ein. Häufig sind sie flexibler, was das Öffnen von Straßen betrifft, und vor allem schaffen sie immer wieder Haltebuchten, damit man beim Durchqueren der Parks stoppen und die fantastische Aussicht genießen kann. In Kanada gibt es kaum Haltebuchten, und neun von zehn sind entweder direkt vor oder hinter einem Aussichtspunkt und in der Regel sowieso von Bäumen zugewachsen.

SAM_7634a_smallDie Natur entschädigt zwar ein wenig für die Enttäuschungen, aber so richtig warm werde ich mit Kanada einfach nicht. Immerhin die Tiere machen es wieder wett. Manchmal springen Rehe über die Straße, und in Golden lag eine kleine Herde Bighorn Sheep einfach so in der Nähe des Visitor Centers herum, als hätte der Fremdenverkehrsverband sie eigens dort platziert. Und zu unserer Überraschung war das Center sogar geöffnet!

Im Yoho Nationalpark wurde es dann endlich besser. Wir konnten sogar eine Wanderung zu den Wapta Falls unternehmen – zusammen mit Dutzenden anderen Leuten, die vermutlich genauso froh waren wie wir, sich endlich einmal die Beine vertreten zu können. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie voll es hier erst im Sommer ist.IMG_2691a_small

Die Wanderung war nicht beschwerlich, nur zum Schluss musste man einen kleinen Berg herunterlaufen, um dann auf einen tosenden Wasserfall zu stoßen (Video). Natürlich verschwand die Sonne in diesem Moment hinter einigen Wolken, um erst wieder aufzutauchen, nachdem wir wieder oben waren …

Überhaupt schien sich das Wetter immer mehr zu verschlechtern, es fielen sogar ein paar vereinzelte Regentropfen. Nach dem Einchecken wollten wir noch eine Wanderung unternehmen und informierten uns im – geöffneten! – Visitor Center über unsere Optionen. Dummerweise hatte Mark G. seine Kamera im Hotel vergessen, also mussten wir wieder zurück, was zum Glück nur fünf Minuten dauerte – doch dann kam ein Zug, und wir hingen geschlagene zehn Minuten am Bahnübergang fest.IMG_2726a_small

Hundertzwanzig Waggons später konnten wir endlich durchstarten und den Emerald Lake in seiner vollen Schönheit bewundern, und sogar die Sonne kam noch einmal heraus. Anschließend unternahmen wir noch eine Wanderung von der Natural Bridge zum Zusammenfluss zweier Gebirgsbäche. Inzwischen waren wir ganz allein auf weiter Flur. Bisweilen raschelte es gehörig im Unterholz, was die Vorstellung beflügelte, dass gerade ein Grizzly aus dem Winterschlaf erwacht und Appetit auf ein europäisches Frühstück hat.IMG_2717a_small

SAM_7755a_smallAm Ende haben wir keinen Bären gesehen, nur einige Rehe, die sich am Straßenrand herumlümmelten und keinerlei Anstalten machten, zu verschwinden. Zum Abendessen waren wir in unserem Hotelrestaurant, das als einziges im Ort noch geöffnet war. Erstaunlicherweise ist es ein Gourmet-Tempel, der auch sehr gut nach Vancouver oder Seattle passen würde. Das Essen dort war jedenfalls vorzüglich.

Das einzige Manko des Hotels ist seine Nähe zu den Gleisen. Ungefähr jede Stunde passiert ein Zug den Ort und macht dabei einen solchen Lärm, dass man meinen konnte, man schläft auf einer Baustelle.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2015 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.