Obwohl das Wetter mit Sonnenschein lockte, brachen wir erst spät vom Hotel auf – irgendetwas war immer dazwischen gekommen. Nach einem raschen Frühstück fuhren wir mit der U-Bahn nach Downtown und begannen mit einem Spaziergang, der von der Waterfront mit dem Expo-Pavillon und der Anlegestelle der Kreuzfahrtriesen nach Gastown führte. Hier, im historischen Zentrum, entstand Vancouver in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie jung die Stadt ist, sieht man vor allem an der Architektur: Wenige alte Gebäude sind erhalten geblieben, dafür sprießen die Hochhäuser aus dem Boden wie Pilze nach einem Regenschauer.
Die dampfbetriebene Uhr ist ein Wahrzeichen der Stadt, und zufälligerweise waren wir um zwölf Uhr Mittag dort. Das von uns erwartete Glockenspiel oder Zischen, Tuten oder was auch immer für Geräusche man sich bei dieser Konstruktion vorstellen mag, blieb jedoch aus – ein paar kurze Töne und Ende der Vorstellung (Video). Ein weiteres Denkmal wurde Gassy Jack gewidmet, eigentlich John Deighton, einem Dampfschifffahrtskapitän, der das erste Gebäude der Stadt gebaut hat – einen Saloon. Immerhin wurde nach ihm der Stadtteil benannt, während der Name der Stadt auf einen britischen Kapitän zurückgeht.
Chinatown schließt sich nahtlos an Gastown an und zeugt von der engen Verbindung zwischen Asien und Amerika. Bereits kurz nach der Stadtgründung gab es eine quirlige Kolonie, die eifrig wuchs und gedieh. Unser Rundgang führte uns auch in ein typisch chinesisches Geschäft voller Schnickschnack und Nippes, in dem es sich herrlich stöbern ließ, und in den berühmten chinesischen Garten. Weniger schön waren die vielen Obdachlosen, die überall in Downtown anzutreffen sind. Alle paar Minuten wurde man von jemandem um Kleingeld angehauen, und sogar im Reiseführer wird vor einigen Straßen gewarnt.
Nachdem wir bis zum Mittag das meiste auf unserer Liste abgehakt hatten, wollten wir in den Stanley Park fahren – fanden aber die Haltestelle nicht. Am ehemaligen Hauptbahnhof gab es leider keinen Info-Stand, nur mehrere Fahrpläne, von denen einer die Buslinien aufführte, ein ganz anderer, der natürlich noch woanders hing, ein Verzeichnis von Haltestellen – umständlicher geht es kaum. Dafür sind die Busfahrer sehr nett, jedes Mal, wenn jemand seine Fahrkarte vorzeigte oder bezahlte, bedankte er sich artig dafür. Und er lächelte. Ich kann mich kaum erinnern, einen deutschen Busfahrer mal lächeln gesehen zu haben.
Stanley Park ist ein bisschen wie der Central Park in New York, nur auf einer Halbinsel gelegen und mit Totempfählen geschmückt. Zumindest findet man diese in einer Ecke des Parks, nicht weit vom Leuchtturm entfernt. Lohnenswert ist auch der Blick auf die Bucht und auf Downtown.
Inzwischen war es Nachmittag, und wir hatten Hunger. Chinatown hatte uns auf die Idee gebracht, asiatisch essen zu gehen, also fuhren wir mit dem Bus zurück und machten uns auf die Suche. Es gab jede Menge Läden, aber kein Restaurant. Deshalb fragten wir eine nette Dame im chinesischen Kulturzentrum, wo sie gerne hingeht. Das verwirrte sie zuerst, außerdem hatte sie den Namen des Restaurants vergessen, aber sie gab uns eine Wegbeschreibung – und sprach dabei so leise, dass sie alles wiederholen musste und wir danach immer noch nicht sicher waren, was sie genau gesagt hatte.
Zum Glück war es nicht weit, und wir fanden nach kurzer Suche sogar das empfohlene Lokal, das sich im dritten Stock des China Plaza befindet. Ein hochtrabender Name für eine etwas schäbige Mall mit Reisebüros und Billigläden. Das Restaurant war außerdem nur über das Parkhaus zu erreichen, aber wenigstens gab es einen Fahrstuhl dorthin. Oben erwartete uns dann ein Etablissement, das mit Eleganz zu punkten versuchte, auf der Herrentoilette aber eine riesige Plastikmülltonne stehen hatte. Der Oberkellner hatte ein Mikrofon in der Hand, was uns sofort an Karaoke-Abende denken ließ, aber so schlimm kam es dann doch nicht.
Wir wurden in einen großen Saal geführt, der komplett leer war. Abgesehen von Tischen und Stühlen selbstverständlich. Es stellte sich heraus, dass das Restaurant gerade erst geöffnet hatte, und für die nächste Stunde blieben wir auch die einzigen Gäste und wurden von gleich zwei Kellnern umsorgt, die zuerst unsere beiden Vorspeisen, darunter die beste Süß-Sauer-Suppe, die ich je gegessen habe, dann die drei Hauptspeisen gleichzeitig servierten. Weil die Klimaanlage recht kalt eingestellt war, musste man sich mit dem Essen schon beeilen, sofern man etwas Warmes zu sich nehmen wollte. Das Essen war ziemlich gut, auch wenn das Zitronenhuhn kurioserweise in einer Schicht Götterspeise eingebettet war, dafür enttäuschte das Dessert, das lediglich aus zwei Keksen bestand – und dann waren es nicht einmal Glückskekse!