Nach einem kleinen Frühstück unternahmen wir am Sonntag mit Mark G.s Cousin einen kleinen Spaziergang zu einem Markt, auf dem vor allem lokale Produkte angeboten wurden. Vieles stammte von Bio-Bauernhöfen oder kleinen Manufakturen, da gab es frisches Brot, Kuchen, Gewürze, Blumen, Marmelade, handgemachte Seife und vieles mehr. Und es war voll. Die Menschen drängelten sich nur so auf der eigens hierfür gesperrten Straße, nicht wenige hatten Kinder im Schlepptau, und trotz der extrem hohen Preise wurde viel gekauft. Ein kleines Glas mit Sauerkraut oder eingelegtem Rotkohl für sechs Dollar? Ein winziges Brot für zehn Dollar? Oder ein Stück Seife für acht Dollar? Das sind weitere Schattenseiten der Gentrifizierung.
Unsere Ausbeute bestand lediglich in vier kleinen, tschechischen Küchlein fürs Mittagessen, die extrem lecker waren. Und Mark G. hatte endlich mal wieder Gelegenheit, Tschechisch zu plaudern. Am Nachmittag war ich mit unserer Gastgeberin in der Stadt unterwegs, um ein paar Dinge für die Dinnerparty zu besorgen, und als wir unterwegs an einem protzigen Neubau vorbeikamen, der gerade zu besichtigen war, entschlossen wir spontan, ihn uns einmal anzusehen. Aus irgendeinem Grund hatte das sehr niedrige Erdgeschoss keine Fenster, weil der Architekt auf die Idee gekommen war, daraus eine Art Keller zu machen. Der Eingang war nur über eine steile Treppe, eher eine Hühnerleiter, zu erreichen, das Innere sah aus wie ein gewöhnliches amerikanisches Haus – kein Luxus, keine überdimensionierten Räume, alles in allem ein Allerweltshaus. Nur der Preis überraschte: 1,3 Millionen Dollar will der Makler dafür haben. Und dafür musste wahrscheinlich ein hundert Jahre altes Gebäude mit Charakter weichen …
Am Abend kamen einige Freunde unserer Gastgeber zu einem vorgezogenen Geburtstagsessen vorbei. Es gab zwei Sorten Crostini als Vorspeise, gefolgt von Rippchen und Heilbutt vom Grill mit köstlichen Saucen, dazu Risotto, Salat und Mark G.s Milchreis zum Nachtisch. Begleitet wurde es von einer Menge Wein und netten Gesprächen – alles in allem ein perfekter Abend.
Entsprechend spät starteten wir am nächsten Tag zu unserer Tour „Seattle für Insider“ mit unserer wundervollen Gastgeberin, die uns zuerst zum Pike Market entführte. Er liegt in der Nähe des Hafens, ist bei Einheimischen und Touristen sehr beliebt, aber leider auch ein Treffpunkt für Obdachlose. Die alten Markthallen sollten vor einiger Zeit abgerissen werden, konnten aber glücklicherweise dank des Engagements der Bürger erhalten bleiben. Um Geld dafür zu sammeln, konnte man sich gegen eine Spende auf den Bodenfliesen verewigen lassen. Ein einheimischer Künstler kreierte zudem Bronzeschweine, die zugunsten des Fonds zur Erhaltung des Gebäudes versteigert wurden. Inzwischen ist der Markt Kult, einige Händler erlangten sogar Berühmtheit, etwa die Fischhändler, die sich ihre Produkte zuwerfen.
Auf dem Markt herrschte ein emsiges Gewimmel, und als wäre das noch nicht genug, waren die Moderatoren des amerikanischen Glücksrads vor Ort, um ein Feature zu drehen. Der Andrang war enorm – und wir wunderten uns, wer diese Menschen waren. Im Erdgeschoss des Marktes finden sich vor allem Produkte des alltäglichen Lebens, Gemüse, Früchte, Fleisch und Fisch, in den Untergeschossen dagegen stößt man auf die obskursten Läden, die man sich vorstellen kann. Geschäfte für Zauberartikel, alte Filmplakate oder einfach nur Kitsch – man könnte den ganzen Tag damit verbringen, hier zu stöbern.
Eine Besonderheit in der Nähe des Marktes ist die Gum Alley. Eine Gasse, die es inzwischen zu einiger Berühmtheit geschafft hat mit etwas, das in anderen Städten für Ärger sorgt: Überall auf die Wände haben die Fußgänger und Besucher der umliegenden Bars und Restaurants ihre Kaugummis geklebt. Die Mauern sind über und über mit Kaugummis bedeckt, manche sogar in Form der Bundesstaaten, aus denen ihre „Künstler“ stammen. Eklig, aber auch faszinierend.
Nachdem wir uns auf dem Markt satt gesehen und etliche Proben der Waren gekostet hatten, machten wir uns auf den Weg zum Seattle Art Museum. Eine Freundin und Nachbarin unserer Gastgeber arbeitet in leitender Position im Museum und war so freundlich, mit uns eine private Tour durch das Gebäude zu machen, obwohl es eigentlich geschlossen war. So kamen wir zu einer sehr exklusiven Führung durch eine faszinierende Kunstsammlung, die Werke von der Antike bis zur Postmoderne umfasst, und das Beste war, dass wir auch einen Blick hinter die Kulissen werfen und an einem Kunstwerk sogar riechen durften (das war unsere ganz eigene Performance).
Anschließend gingen wir alle zusammen Mittag essen – köstliche Sandwiches und eine Blumenkohlcremesuppe – und setzten danach unsere Tour fort. Der nächste Halt war ein Gewürzladen, der nicht nur sämtliche Gewürze der Welt anzubieten scheint, sondern auch interessante Mischungen. Nachdem wir uns durch die Hälfte davon durchgerochen hatten, kamen wir aus dem Niesen nicht mehr heraus.
Ursprünglich wollten wir auf die Aussichtsplattform des Smith Towers fahren, um die Skyline der Stadt zu bewundern, was eine preiswerte Alternative zur Space Needle ist, aber leider wird diese gerade renoviert. Stattdessen gingen wir in ein Starbucks Café – im 40. Stock des Columbia Centers. Von dort aus hat man einen wunderbaren Blick auf den Hafen und die Wolkenkratzer ringsum und kann dabei sogar noch Kaffee trinken, wenn man mag. Damit waren wir an jenem Tag im höchsten Starbucks der Stadt, nachdem wir schon zuvor am ältesten Geschäft der Kette vorbeigekommen waren. Die Schlange vor dem Eingang war unglaublich lang, und manche Besucher waren schier außer sich. Man fragt sich warum, schließlich ist es nur Kaffee.
Am späten Nachmittag stand dann endlich die Space Needle auf dem Programm und vor allem die Dale Chihuly Garden and Glass Ausstellung. Der weltberühmte Künstler, der vorzugsweise mit Glas arbeitet und damit die erstaunlichsten Kunstwerke anfertigt, benutzt seit einigen Jahren eine Halle direkt neben dem Wahrzeichen der Stadt für Ausstellungen. Wirklich sehenswert ist auch das Café nebenan, das von ihm beeinflusst ist und seine Sammlung an Kuriositäten beherbergt. Jeder Tisch besitzt einen Schaukasten, der mit Krimskrams wie Rasierpinseln, Aschenbechern in Form silberner Sombreros, Taschenmessern und anderen Dingen gefüllt ist, und an der Decke hängen etliche Akkordeons. Das Essen dort ist leider weniger empfehlenswert.
Zum Abschluss des Tages, der zufällig auch der Geburtstag von Mark G.s Cousin war, gab es noch ein leckeres Essen, und nachdem ich in einem deutschen Delikatessengeschäft endlich Quark gefunden hatte (zu einem irrsinnig hohen Preis), konnte ich sogar Käsestangen backen.
Seattle war großartig! Ich könnte problemlos noch einige Tage länger bleiben, zumal das Wetter phantastisch war. Angeblich soll es hier auch gar nicht so viel regnen, wie immer behauptet wird, vor allem im Sommer nicht, aber das sollte eigentlich ein Geheimnis bleiben …