Das andere Washington

IMG_2326a_smallEndlich haben wir es einmal geschafft, relativ früh aufzubrechen. Nicht schon um sieben Uhr, wie es angedacht war, aber immerhin kurz vor neun hieß es: on the road again. Genauer gesagt, waren wir für einige Meilen zuerst auf einer Brücke, die anfangs  in schwindelnde Höhen führte und anschließend die breite Bucht hinüber nach Washington überquerte.

IMG_2329a_smallDie ersten beiden Stopps führten uns zu zwei Leuchttürmen, den wirklich allerletzten auf dieser Rundreise – vermute ich mal. Beide befinden sich auf Cape Disappointment, das seinen ungewöhnlichen Namen zwei Entdeckern verdankt: Meriwether Lewis und William Clark machten sich 1804 auf den Weg, das gerade von Frankreich erworbene Staatsgebiet zu erkunden, und erreichten nach ungefähr zwei Jahren an dieser Stelle den Pazifik, wo es ihnen leider nicht gelang, ein vorbeisegelndes Schiff auf sich aufmerksam zu machen, weshalb sie auf dem Landweg wieder zurückkehren mussten. Dass sie ihren Frust für alle Ewigkeit auf der Landkarte festhalten wollten, kann ich gut nachvollziehen. Lewis und Clark begegnet man hier an der Küste übrigens überall, aber irgendwie muss ich dabei immer an Superman denken.SAM_7029a_small

Das Wetter zeigte uns am Morgen leider die kalte Schulter, zudem nieselte es ein wenig, hörte aber glücklicherweise in dem Moment damit auf, als wir aus dem Wagen stiegen. Am North Head Lighthouse waren wir mutterseelenallein in windumtoster Natur, nur ein einsamer Seelöwe heulte irgendwo in der Bucht. Der Weg zum Cape Disappointment Lighthouse war dagegen etwas anstrengend und wurde zudem von zahlreichen Mücken belagert. Unterwegs konnten wir einen Blick in eine malerische Bucht werfen und erlebten eine Überraschung: In Dead Man’s Cove lag tatsächlich eine Leiche – die einer Robbe. Möglicherweise schlief sie aber auch nur tief und fest und ließ sich selbst von der frechen Krähe, die an ihr herumpickte, nicht stören. Ich glaube, diese Version gefällt mir besser.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir im Auto auf der Fahrt in den Olympic National Park, der seinen Namen einem gleichnamigen Berg verdankt. Die Strecke ist lang und eintönig und führt vor allem durch Wälder, die von der Holzwirtschaft genutzt werden. Entsprechend kamen uns ständig Lastwagen mit Baumstämmen entgegen. Die Städte, die man durchquert, haben ihre große Zeit schon lange hinter sich und tragen mitunter hochtrabende Namen wie Cosmopolis oder New London, das so klein war, dass wir es nicht einmal bemerkt haben. Aberdeen ist dagegen eine richtige Metropole, und da der Highway mitten durch ein Wohngebiet führt, kann man sich unterwegs gleich ein Bild vom Leben in dieser abgelegenen Provinz machen. Ganz ehrlich: Hier möchte ich nicht einmal tot über dem Zaun hängen.

IMG_2345_smallLake Quinault hingegen, unser erster Halt im Park, war wesentlich schöner. Leider bekommt man als Besucher nicht sehr viel von dem wunderschönen See zu sehen, da nahezu das gesamte Südufer in Privatbesitz ist oder zu Campingplätzen gehört, die noch geschlossen waren. Eine Besonderheit des Parks ist sein Regenwald, und so unternahmen wir eine Wanderung in demselben und bewunderten pflichtschuldig das Moos an den Bäumen, bevor wir ein letztes Mal an den Pazifik fuhren.IMG_2373a_small

Die Beschilderung in Washington ist genauso dürftig wie in Oregon. Die Zufahrt zum ersten Strand rauschte nur so an uns vorbei, der Weg zum zweiten war nur auf einem einzigen Schild verzeichnet, das sich ungefähr in Schienbeinhöhe befand – unter einem großen Blatt. Ruby Beach war immerhin vorbildlich ausgeschildert und besaß nicht nur eine eigene Ausfahrt, sondern sogar einen Parkplatz. Entsprechend voll war es dann auch am Strand, der vor allem von Unmengen von Treibholz geprägt wird.

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Nachdem wir für eine ganze Weile Abschied vom Pazifik genommen hatten, fuhren wir weiter nach Forks, das in den Twilight-Büchern erwähnt wird und deshalb für kurze Zeit von Fans überrannt wurde. Inzwischen ist es zurück in seinen Dornröschenschlaf gefallen, und die Läden mit Vampir-Kitsch, von denen nur die klangvollen Namen über der Tür geblieben sind, werden zur Vermietung angeboten. Das Highlight im sozialen Leben der Stadt ist das Rain Fest, für das auf einem großen Transparent geworben wurde – und ich weiß nicht, ob ich das traurig finden oder den Zweckoptimismus bewundern soll.

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Auf dem Weg nach Port Angeles kamen wir noch am Lake Crescent vorbei, einem entzückenden Flecken Erde, umgeben von hohen Bergen. Weiter östlich liegen die Maddison Falls, die recht beeindruckend waren. Und auf den Gipfeln im Hintergrund lag tatsächlich Schnee. Dieselbe Bergkette sieht man übrigens auch vom Hafen der Stadt aus, in den uns der Reiseführer für einen schönen Ausblick geschickt hat.SAM_7142a_small

Im Hotel erhielten wir die gute Nachricht, dass wir aufgrund einer Überbelegung ein Upgrade erhalten und für die Nacht eine Suite unser eigen nennen dürfen. Zwei Zimmer, zwei Schreibtische, eine bequeme Couch und ein Kühlschrank im Fünfzigerjahre-Design – hier im äußersten Zipfel der USA weiß man eben, Stil mit Komfort zu verbinden. Was mich jedoch wirklich überrascht hat, war die Mikrowelle im Retro-Design, passend zum Kühlschrank, knallrot und mit einem ovalen Bullauge. Jetzt weiß ich wenigstens, was ich mir zu Weihnachten wünsche …

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2015 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.