Es gibt einige Dinge in den USA, die ich aus Deutschland vermisse, Brot gehört sicherlich dazu, aber auch – Kirchenglocken. Ihr Klang wirkt irgendwie beruhigend und gliedert zudem den Tag; selbst ohne Uhr weiß man spätestens zur vollen Stunde, wie spät es ist. In L.A. mag man vieles hören, Sirenen, Helikopter, Hundegebell, sogar Grillen, nur leider keine Glocken. Ironischerweise bescherte mir der Aufenthalt im sündigen Las Vegas dieses heimatliche Gefühl, denn unser Hotelzimmer lag in der Nähe des Glockenturms des Venetian…
Am Freitag hieß es, Abschied zu nehmen von Las Vegas. Es wurde ein langer, sehr langer Fahrtag, der von einem späten Frühstück bei Peggy Sue’s unterbrochen wurde. Eier, Würstchen, Pfannkuchen – man kann es nicht oft essen, aber so ein amerikanisches Frühstück hat schon etwas.
Im Joaquin Valley wird viel Landwirtschaft betrieben, es gibt Orangenhaine, und ich glaube, ein Großteil der weltweit verkauften Mandeln stammen von hier. Zum ersten Mal sieht man die Auswirkungen der Dürre: Das Gras ist überall dort, wo nicht bewässert wird, braun und verdorrt. Außerdem stehen alle paar Meilen Schilder mit politischer Propaganda: „No Water = No Jobs“ wird gedroht, falls die Regierung auf die Idee kommen sollte, den Farmern das Wasser abzudrehen oder es auch nur zu verteuern. Dass der Kongress „Dustbowls“ verursacht, wird auch behauptet, und unterwegs konnten wir einige sehen, haushohe Wolken aus braunem Staub, die am Horizont über Farmen schwebten wie ein Menetekel. Es dürfte in den nächsten Jahren nicht einfach werden für Kalifornien.
Neben den endlosen Hainen mit Bäumen („Eat more Citrus!“) gab es auch riesige Farmen mit Schafen und vor allem Rindern. Kühe, wohin das Auge reicht, manchmal große Herden, die über die goldbraunen Hügel ziehen, manchmal eingepfercht und zusammengedrängt auf relativ kleinen Flächen. Dazwischen aufgegebene Farmen oder solche, die zum Verkauf stehen, die Bäume bereits verdorrt und schwarz – und doch von seltsam melancholischer Schönheit …
Um San Francisco herum wurde es wieder grüner. Die Stadt hat sich auf den ersten Blick nicht verändert, nur der Verkehr scheint noch schlimmer geworden zu sein. Dazu Baustellen und gesperrte Straßen, aber trotz allem ist es uns gelungen, ohne Probleme zum Hotel zu finden. Da war es dann schon nach acht Uhr, und irgendwie hatte keiner von uns mehr Lust rauszugehen. Zum Glück lief noch die vergangene Folge von Game of Thrones, die wir noch nicht kannten.
Der Wetterbericht hatte bis Mittag Regen vorhergesagt, aber nach einem Schauer in der Nacht war es bereits am Morgen wieder sonnig, wenn auch recht kühl. Weil Mark G. seinem Onkel einst versprochen hatte, ihm zu Ehren in San Francisco immer einen Banana Split-Eisbecher bei Ghiradelli’s zu essen, machten wir uns am Morgen auf den Weg zum Hafen – und hatten Eiscreme zum Frühstück. Etwas ungewöhnlich, aber recht lecker, auch wenn die Amerikaner wie immer übertreiben müssen und Schokoladen-, Karamell- und Erdbeersauce über die drei Eissorten gegossen haben, um das Ganze noch mit Sahne, Nussstückchen und einer Kirsche zu garnieren.
Fisherman’s Wharf ist wie eh und je eine Touristenmeile par excellence. Ein Souvenirladen reiht sich an den anderen, dazwischen jede Menge Restaurants, die um die Mittagszeit auch alle proppenvoll sind. Wir haben, auch das ist inzwischen Tradition, in Boudins Bäckerei eine Clamshowder Soup im Sauerteigbrot bestellt. Es ist übrigens das einzige Brot in den USA, das dem verwöhnten deutschen Gaumen wirklich schmeckt. Auch dieser Laden, der natürlich noch weit mehr zu bieten hat, zählt zu den Attraktionen am Pier und entsprechend sind die Preise im Souvenirbereich. Dort gibt es dann eine kleine Dose Suppe für schlappe sechs Dollar.
Bevor wir uns auf den Weg zum nächsten Programmpunkt machten, statteten wir den Seelöwen am Pier 39 noch einen Besuch ab. Vergangenes Jahr konnten sie ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiern, so lange leben sie nun schon in der Stadt, seit sie hier vor einem Sturm Unterschlupf gesucht hatten. Wie immer war es laut und voll, einige Jungtiere waren auch dabei – und es roch nach verfaultem Fisch.
Obwohl dies mein dritter Besuch in San Francisco ist, bin ich noch nie über die Golden Gate Bridge gelaufen. Die Fahrt darüber ist zwar auch ein Erlebnis, aber zu laufen ist noch eine Spur beeindruckender und lässt einen erst die ganzen Dimensionen dieses Bauwerks erfassen und die Ingenieurleistung, die es ermöglicht hat, bewundern. Natürlich schwankt die ganze Konstruktion ein wenig, und wenn man unter Höhenangst leidet, sollte man nicht übers Geländer sehen, aber auch der Blick auf den Horizont, auf San Francisco, die Bucht, Alcatraz und die Küste von Marin County ist atemberaubend schön. Leider ist es wegen der vielen Autos sehr laut, und an sonnigen Tagen drängeln sich viele Menschen hier. Und heute war es sehr sonnig – meine Haut kann das bestätigen.
Auf dem Rückweg kamen wir am Palace of Fine Arts vorbei, einem Überbleibsel der Panama-Pazifik-Ausstellung von 1915, das als vergängliches Kunstwerk geschaffen worden war, um im Laufe der Zeit zu einer malerischen Ruine zu verfallen. Leider gefiel es den Bürgern so gut, dass sie, als es 1960 endlich so weit war, Geld sammelten, um das Ganze neu zu errichten … Abgesehen von mir kamen noch ein paar andere Leute auf die Idee, dort Fotos zu schießen, darunter zwei gleich Hochzeitsgesellschaften.
Am Abend hatten wir keine große Lust mehr, die Stadt zu erkunden, und suchten uns ein Restaurant in der Nähe. Gleich gegenüber unseres Hotels befindet sich ein chinesisches Lokal namens „Dong bei Mama“, was auf Deutsch sogar irgendwie Sinn ergibt, tatsächlich aber so etwas wie Hausmannskost aus Dongbei heißt (so wird der Nordosten Chinas genannt, den wir häufig auch als Mandschurei kennen). Als wir um sieben Uhr ankamen, waren wir erst die zweiten Gäste, zehn Minuten später fiel dann eine komplette Reisegruppe ein, und um halb acht standen die Leute bereits Schlange, um auf einen Platz zu warten. Und wir waren die einzigen Gäste nicht-asiatischer Abstammung. Das Essen (Kung Pao-Huhn, Nudeln mit Gemüse und Scharf-sauer-Suppe) war sehr lecker, teilweise auch extrem scharf (wir haben einen riesigen Berg Chilis aussortiert und trotzdem Feuer gespuckt), der Service freundlich und schnell. Leider zu schnell, denn ich hätte gerne etwas anderes ausprobiert, was vielleicht eher landestypisch ist, aber ich hatte kaum die umfangreiche Speisekarte durchgeblättert, da sollte ich mich bereits entscheiden. Auch sonst war das Lokal sehr traditionell, es gab außer grünem Tee nichts zu trinken (zumindest hat uns niemand gefragt, ob wir etwas bestellen wollen, und wer mich kennt, weiß, dass ich mit Grüntee mehr als glücklich bin) und nur Stäbchen zum Essen. So wurde es wenigstens ein lustiger Abend …