Fun in the Sun

Um sechs Uhr in der Früh war die Nacht gestern bereits zu Ende. Irgendwie konnte keiner von uns mehr so richtig schlafen, und da wir schon am Vormittag nach Downtown wollten, bot es sich, etwas früher aufzustehen als sonst. Kurz nach dem Frühstück machten wir uns zu fünft auf den Weg, zu diesem Zeitpunkt war es mit knapp 30 Grad schon richtig heiß.

Downtown Los Angeles ist wie eine einstmals schöne Frau, die sich in ihren späteren Jahren ein wenig gehen lässt. Noch immer gibt es dort wundervolle alte, aufwendig restaurierte Häuser wie das Bradbury Building (Video), aber weitaus mehr Gebäude, die langsam vor sich hinbröckeln wie die Paläste in Kuba. Die Straßen sind voll und laut und erinnern mit den Wolkenkratzern im Hintergrund und den vielen kleinen Geschäften ein wenig an New York. Die ehemaligen Textilfabriken, die dort gleich dutzendfach stehen, wurden schon längst in Lofts umgewandelt, und weil die Nachfrage nach diesen Wohnungen immer noch groß ist, werden an allen Ecken und Enden neue gebaut. Das alles sorgt für eine spannende Mischung aus Schäbigkeit und Trendyness.

Im Vergleich zu vor anderthalb Jahren kommt es mir so vor, als hätte sich die Zahl der Obdachlosen vergrößert. Gleich als wir unseren Parkplatz verließen, wäre ich um ein Haar über einen von ihnen gestolpert, der direkt neben dem Eingang sein Lager aufgeschlagen hatte. Muss wohl ein Langschläfer gewesen sein, denn seine Kollegen waren schon munter und trieben sich in den Straßen herum oder sammelten sich auf einem Platz, der penetrant nach Urin roch. Und dazwischen eilen dann die Banker und Manager zu ihren Terminen, stromern Touristen durch die Straßen auf der Suche nach dem Los Angeles der Fünfziger, oder machen sich Hausfrauen auf zum Shoppen.

SAM_6233_smallWir schlenderten durch den Toy, den Fashion, Flower und Garment District, in denen es Hunderte kleinerer und größerer Läden gibt, betrieben von Asiaten oder Latinos, die dort jede Menge Kitsch und Ramsch und allerlei Krimskrams feilbieten. Einen größeren Gegensatz zum Rodeo Drive kann es kaum geben. Mexikanische Brautmoden, Pin͂atas und Dekoration für die Kinder-Geburtstagsfeier oder Blumenschmuck – hier findet man alles, vielfach zu Großmarktpreisen, weil die Abnehmer oft Geschäftsleute sind. Entsprechend gibt es hier auch Läden für Restaurantbedarf, die Küchenartikel und Geschirr en masse verkaufen. Einkaufen darf man aber auch, wenn man nicht gerade dabei ist, einen Laden aufzumachen.

Ich liebe es, durch die Straßen zu bummeln und in den einen oder anderen Laden reinzuschauen: Hier gibt es kitschige T-Shirts, vermutlich nur im Zehnerpack zu kaufen, dort reiht sich Stoffballen an Stoffballen, senkrecht aufgestellt, eine Ecke umgeschlagen, so dass sie wie eine Ansammlung knallbunter Gespenster wirken.IMG_1696_small

Ein Laden sah aus wie Aladins Schatzhöhle, gerammelt voll mit glitzerndem Modeschmuck, Buddha- und Ganesh-Statuen und grimmigen, geschnitzten Indianern, kleinen Öllampen aus Plastik und vergoldeten Elefanten in allen Größen. Drei Anzüge für hundert Dollar in diesem Laden, Friseurzubehör und Haarverlängerungen in jenem – hergestellt aus „pure Indian Virgin Hair“. Da fragt man sich, ob es ein Echtheitszertifikat dazu gibt.

Spannend zu beobachten sind auch die Menschen, denen man hier begegnet. Erstaunlich wenig Touristen, aber viele Mütter, die für Partys einkaufen, Hausfrauen, die sich Stoff holen (um Kleider oder Gardinen zu nähen, damit hier kein Missverständnis entsteht) und Lieferanten, die Säcke voller neuer Ware ankarren und in die zum Bersten gefüllten Läden bringen. Auf den Straßen stehen Männer, die Fahnen schwenken, um die Autos zu günstigen Parkplätzen zu locken: Vier Dollar für den ganzen Tag, direkt daneben ein weiterer Platz, auf dem das Parken fünf kostet – Kapitalismus bei der Arbeit. Dazwischen Obdachlose, die schon morgens um elf von einer Seite des Bürgersteigs zur anderen schwanken, und jener Farbige, der ununterbrochen schrie: „All Hail to Lucifer, Creator of the Universe“.

SAM_6253_smallSAM_6254_smallIn Downtown liegen auch das historische Rathaus und der Grand Central Market, der schon lange kein reiner Markt mehr ist, sondern eine große Halle voller Imbissstände. Direkt am Eingang „Eggslut“, vor dem sich eine unendlich lange Schlange gebildet hat, dass man meinen könnte, sie verkaufen das Glück in Flaschen. Dabei gibt es nur Eier, dafür aber in allen möglichen Variationen. Unser Lieblingsstand ist der salvadorianische Imbiss, wo wir bereits vor Jahren Pupusas entdeckt haben, jene landestypischen gefüllten Fladen aus angerührtem Maismehl, das an Kloßmasse erinnert und dann von beiden Seiten angebraten wird. Dazu gibt es einen höllisch scharf gewürzten Weißkohlsalat, der einem das Wasser auf die Stirn treibt. Getrunken habe ich Jamaica, den eisgekühlten Hibiskustee, der einem überall begegnet. Als wir den Markt wieder verließen, war das Thermometer noch weiter nach oben geklettert und zeigte nun 38 Grad an! Und das im Frühling.

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Auf dem Heimweg machten wir dann noch Halt bei „Yogurtland“, um gefrorenen Joghurt zu schlecken. Normalerweise kann man mich damit jagen, aber dieser war tatsächlich ganz gut, cremig und nicht zu süß. Das Beste war, dass man kleine Probierbecher bekam, um zuerst einige Sorten zu testen, bevor man sich dann daranmachen konnte, sich seine Portion selbst zusammenzustellen. Zuletzt kann man noch aus einer riesigen Auswahl an Toppings wählen, von frischen Früchten über Mango-Sphären, die an die Molekularküche erinnern, Frühstücksflocken, winzigen Stücken Käsekuchen, Kokosmakronen bis hin zu ordinärer Schokolade. Bezahlt wird dann nach Gewicht.

Nach so vielen Eindrücken, Essen und drückender Hitze waren wir dann reif für eine ausgedehnte Siesta. Schließlich waren wir ja auch früh aufgestanden …

P3260001_smallZum Abendessen gab es später noch Tamales – diesmal auf die mexikanische Art mit drei verschiedenen Füllungen: Hühnchen und Chili, Schwein und Chili oder Käse. Dazu den üblichen Reis. So viel Mais und Reis, wie ich in dieser Woche gegessen habe, esse ich sonst in einem halben Jahr nicht.

 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Mark G. & Pi Jay in La-La-Land 2015 von Pi Jay. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.