Es ist ein Klischee, das man vor allem von Frauen kennt: Sie stehen vor einem Kleiderschrank, der bereits aus allen Nähten platzt, finden aber nichts Passendes anzuziehen. Bei Männern gibt es eine Art von Äquivalent dazu: Es sind die Stapel DVDs im Regal, die immer höher werden, aber wenn man dann einmal Zeit hat und sich einen Film anschauen möchte, findet man nichts, was man gerade sehen will.
So wartet bei mir schon seit Jahren Pi darauf, gesehen zu werden. The Life of Pi übrigens auch, aber das ist nur ein Zufall. Dazu kommen Filme wie Schmetterling und Taucherglocke oder Hereafter, von denen ich befürchte, dass sie mich deprimieren werden, oder Filme wie The Artist, von denen ich auf einer Tradeshow bereits ein Drittel gesehen habe und nun irgendwie nicht die Lust aufbringe, auch den Rest anzuschauen. Ständig nehme ich mir vor, konsequenter zu sein und mehr Filme zu sehen, aber dann erwische ich mich stattdessen dabei, dass ich mich in einer neuen TV-Serie verliere. Und davon gibt es ja zurzeit jede Menge und oft bessere als Kinoproduktionen.
Hin und wieder, meist wenn die Festplatte voll ist und ich keine weiteren Serienfolgen aufnehmen kann, schaue ich dann doch einen Film. Wie zum Beispiel …
The Kids are All Right
Jules (Julianne Moore) und Nic (Annette Benning) sind seit vielen Jahren ein Paar und haben zwei Kinder großgezogen: Joni und Laser (Mia Wasikowska und Josh Hutcherson). Eines Tages beschließen die beiden, den Mann aufzuspüren, der per Samenspende zu ihrem biologischen Vater wurde, und stoßen dabei auf Paul (Mark Ruffalo), einen Restaurantbesitzer, der etwas ziellos durchs Leben treibt. Obwohl Nic ihre Bedenken hat gegen diesen fremden Mann in ihrem Familienleben, werden die Treffen mit Paul häufiger. Sogar Jules findet Gefallen an ihm – vielleicht sogar ein bisschen zu sehr…
Eine Regenbogenfamilie in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen, ist neu und auf den ersten Blick ungewohnt. Doch schon nach wenigen Minuten ist klar, dass sie dieselben Probleme wie alle anderen haben. Jules und Nic haben sich nach all den Jahren ein wenig auseinandergelebt, die Kinder werden erwachsen, Joni steht sogar kurz davor, aufs College zu gehen und auszuziehen. Das familiäre Gleichgewicht ist gestört, und da bedarf es manchmal schon weniger Kleinigkeiten, um alles ins Wanken zu bringen.
Paul ist jedoch mehr als nur ein Störenfried. Für die Kinder, allen voran für den sechzehnjährigen Laser, füllt er zunächst die Leerstelle der männlichen Bezugsfigur. Man ist neugierig aufeinander: Wieviel von den Kindern stammt von ihrem biologischen Vater? Was ist das für ein Mensch, der durch Zufall zum Erzeuger wurde? Paul wiederum findet in dem meist harmonischen Familienleben etwas, das ihm bislang gefehlt hat, eine Wärme und Vertrautheit, die es in seinen lockeren Beziehungen nie gegeben hat.
Der Seitensprung geschieht mehr oder weniger zufällig, es ist nicht Liebe, die Jules und Paul entdecken, die sie zueinander treibt, vielmehr projizieren sie ihre Wünsche und unbefriedigten Bedürfnisse auf den jeweils anderen. Dass dies nicht gutgehen kann, ist klar, aber am Ende bleibt das große Drama aus. Es kommt zum Krach, zur Krise, aber mehr auch nicht. Alles vollzieht sich zivilisiert, gesittet und verhalten – nicht nur die Leidenschaft, auch die Eifersucht köchelt auf kleiner Flamme.
Julianne Moore und Annette Benning spielen hervorragend und loten ihre Charaktere so weit aus wie es ihnen das eher dünne Drehbuch erlaubt. Das Resultat ist ein unaufgeregtes, konventionelles und sehr bürgerliches Eifersuchtsdrama. Aber warum sollte es in Regenbogenfamilien auch anders sein?
Note: 3