The Homesman

Obwohl ich als Kind natürlich Cowboy und Indianer gespielt habe, bin ich erst spät zum Fan des Western geworden. Die Charaktere erschienen mir oft zu einseitig, die Moral zu plakativ, der Hang zur Lynchjustiz zweifelhaft – die ganze Schwarz-Weiß-Malerei mit den guten Cowboys und den bösen Indianern, die gerade die alten Western vermittelten, war einfach nicht mein Fall. Geändert hat sich das zum ersten Mal mit Der mit dem Wolf tanzt, einem der besten Filme der Neunziger. Und seit ich häufiger im amerikanischen Südwesten unterwegs war und mich in die traumhafte Landschaft verliebt habe, kann ich mich auch für dieses Genre begeistern.

Außerdem unterscheidet sich der Neo Western stark von seinem filmhistorischen Vorgänger, glänzt oft mit vielschichtigen Charakterzeichnungen und einem ungeschönten Blick auf jene Zeit, die nicht so golden war, wie Hollywood uns das lange vormachen wollte. Zu dieser Kategorie zählte im letzten Jahr auch:

The Homesman

Das Leben im Nebraska-Territorium war Mitte des 19. Jahrhunderts kein Zuckerschlecken, ganz besonders nicht für Frauen. Einsamkeit, Hunger und Entbehrungen, ungünstige Witterung und brutale Ehemänner ließen viele Pioniersfrauen den Verstand verlieren. Als drei von ihnen (Grace Gummer, Miranda Otto und Sonja Richter) zurück in die Zivilisation gebracht werden sollen, bietet sich die unerschrockene Farmerin Mary Bee Cutty (Hilary Swank) an. Unterwegs liest sie den Gauner George Briggs (Tommy Lee Jones) auf, der sich illegal einen Claim angeeignet hatte und zum Tode verurteilt worden war. Gemeinsam machen sie sich auf eine lange, beschwerliche Reise voller Gefahren …

Das größte Pfund, mit dem der Film wuchern kann, sind seine Bilder. Kameramann Rodrigo Prieto findet wunderschöne Einstellungen für diese direkt erzählte, etwas spröde Geschichte, an der Tommy Lee Jones auch mitgeschrieben hat. Zudem ist es seine vierte Regiearbeit.

Die darstellerischen Leistungen, vor allem von Swank und Jones, sind hervorragend, die erste Hälfte des Films ist unerwartet unterhaltsam und flotter als nach Sichtung des Trailers befürchtet. Das liegt vor allem an den Schauspielern, denen man zu gerne auf dieser Reise folgt. Die Geschichten der drei Patientinnen kommen leider ein wenig zu kurz, werden aber anrührend erzählt, und die einprägsame Musik von Marco Beltrami unterstreicht die Emotionalität der Bilder noch.

Wie nicht anders zu erwarten, schleichen sich nach einiger Zeit ein paar Längen ein, bevor der Film eine völlig unvorhergesehene Wendung nimmt – die mir leider überhaupt nicht gefallen hat. Wie ein Stein im Schuh störte diese Entwicklung den weiteren Fortgang der Ereignisse, und man denkt auch lange nach dem Abspann immer wieder über diesen überraschenden und verstörenden Wendepunkt nach, ohne eine endgültige Antwort zu finden. Falls diese Verunsicherung beabsichtigt war, hat sie ihren Zweck erfüllt. Danach braucht der Film eine ganze Weile und eine völlig überflüssige Sequenz lang, bis er zu seiner Balance zurückfindet, aber spätestens mit dem Auftritt von Meryl Streep am Ende ist man wieder mit ihm versöhnt.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.