Wie im Krieg

Um sechs Uhr wurde der erste erschossen. Falls, wie zu hoffen steht, der Jäger nicht daneben gezielt hat. Die Rede ist von der Vogeljagd, im Herbst ein sehr beliebter Zeitvertreib an den Wochenenden in Italien. Wenn man das weiß, wundert man sich nicht mehr über die häufigen Schüsse im Tal, die man sonst fälschlicherweise für einen Mafiakrieg oder einen Kampf um den letzten Parkplatz halten könnte, und man wundert sich auch nicht darüber, dass man hier fast nie einen Vogel singen hört. Die landen vermutlich alle im Kochtopf.

Ansonsten war es ein sehr ruhiges Wochenende. Die Hunde haben uns ganz gut im Griff, zupfen einen während einer Pause beim Spaziergang, wenn der Mensch in Ruhe auf einer Bank sitzen und die grandiose Aussicht genießen will, an der Jacke, um Streicheleinheiten einzufordern. Und auch wenn sie abends noch mal rausdürfen, hören sie nur selten auf unsere Rufe, sie wieder ins Haus zu locken. Da ist eine Katze, die sich aufs Gelände verirrt hat, deutlich interessanter.

Apropos Katze: Als wir am Samstag zum Einkaufen nach Zagarolo gefahren sind, haben wir auf dem Parkplatz eine Katze mit ihren schon recht großen Jungen entdeckt. Für ausgesetzte und verwilderte Katzen wirkten sie viel zu gepflegt und gut genährt, andererseits gibt es wohl Supermarktbesucher, die ihnen etwas zu fressen hinstellen, denn in der Ecke befand sich eine Schale mit Katzenfutter. Vielleicht schießen sie ja auch ein paar Vögel für sie?

Die Italiener scheinen am Wochenende auch ihre Lust am Gärtnern entdeckt zu haben, denn überall wurden Laubhaufen und abgeschnittene Äste verbrannt. Von unserem Berg aus konnte man das recht gut sehen: An vielen Stellen im Tal brannten Feuer. Mit Dutzenden Rauchsäulen sah es aus wie in einem Kriegsgebiet aus den Nachrichten, ein Eindruck, der durch die ständigen Schüsse noch verstärkt wurde, und der dichte Qualm vermischte sich mit dem Nebel zu einer Smogschicht, die über den Hügeln hing und die kleinen Städte verschwinden ließ.

Seit gestern haben wir einen Gast im Haus. Mein Berliner Produzent ist für vier Tage eingeflogen, um mit mir die letzte Feinarbeit an einem Drehbuch vorzunehmen und über die Besetzung zu reden. Und er hat bereits in der ersten Nacht Bekanntschaft mit dem Geist von Sant‘ Angelo gemacht, denn gegen eins hörte er ein lautes Poltern und Rumpeln, das sich anhörte, als würde jemand einen Sarg über den oberen Flur rollen – oder was die Phantasie sich auch sonst vorzustellen vermag. Danach ist er in ein unteres Gästezimmer ausgewandert …

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.