Derzeit in aller Munde ist das Thema, ob Kinos über ihre Webseiten Filme als kostenpflichtigen Stream oder Download anbieten sollen. Der potenzielle Kinobesucher könnte so Titel, die nicht mehr in seinem Kino laufen, bequem zu Hause anschauen, würde aber dem Kino zumindest virtuell treu bleiben. Doch ist dieses Zusatzangebot überhaupt sinnvoll für die Kinos? Wenn ja, für welche? Und wie könnte eine Lösung aussehen, die nicht nur die gesamte Branche mit ins Boot holt, sondern sich zumindest auf mittelfristige Sicht auch für alle zu einem Erfolgsmodell entwickelt?
Was geht derzeit? Was eher nicht?
Die Filmverleiher
Die Inhaber der Filmrechte, die bei den großen Majors mit dem jeweiligen Filmverleih identisch sind, nehmen dazu eine sehr bequeme Haltung ein, indem sie versprechen, sie würden jedem Kinobetreiber ihren Content zum kostenpflichtigen Abruf über die kinoeigene Webseite zur Verfügung stellen. Na klar tun sie dies, sie wären ja schön blöd, täten sie es nicht. Denn jeder (legale) Download oder Stream spült Geld in ihre Kassen, ohne gleichzeitig wirkliche Kosten zu verursachen. Die finanziellen Belastungen für den Aufbau und den Betrieb eines entsprechenden Webangebots entstehen dafür dem Betreiber der Plattform, in diesem Fall also den Kinos. Und bis jetzt hat noch kein Filmverleiher – aus ihrer Perspektive sicherlich auch verständlich – angekündigt, sich – ähnlich wie bei den VPF-Modellen – an diesen Kosten beteiligen zu wollen. Und man muss nicht über prophetische Gaben verfügen, um zu behaupten: Dies wird auch in Zukunft nicht passieren.
Das verflixte Auswertungsfenster
Außerdem stellt sich die Frage, ab wann ein Film auf einer kinoeigenen Plattform als VoD zur Verfügung stehen soll? Damit es für das jeweilige Kino sinnvoll wäre, sollte dies passieren, sobald er nicht mehr im Programm des entsprechenden Kinos auftaucht. Da hätten dann aber verständlicherweise andere Kinos etwas dagegen, die den Film als Nachspieler noch zeigen, einen längeren Atem bei der Filmauswertung haben oder einfach über mehr Säle verfügen. Es muss also einen fixen Termin nach Kinostart geben, ab dem der Film auf den Kinoportalen angeboten werden kann. Wenn es sich dabei um denselben Termin handelt, zu dem der Film auch auf den großen Streamingportale bereit steht, hätten die Kinos das Nachsehen, da sie mit diesen Portalen wie Amazon, Maxdome, Netflix, Watchever etc. in direkte Konkurrenz träten.
Definiert man hingegen einen eigenen, idealerweise früheren Starttermin für die Kinoportale, sähen sich die oben genannten bestehenden Portale nicht ganz zu unrecht benachteiligt und würden wahrscheinlich im Notfall selbst ein Alibikino betreiben, um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. Gleichzeitig würden die Kinos selbst das von ihren Verbänden so vehement verteidigte, exklusive Auswertungsfenster umgehen, was wiederum den Verleihern in die Hände spielen würde, die sich an dieser vorgegebenen Frist schon immer gestört haben und es in Zeiten der unendlich vielfältigen, digitalen Auswertungsformen noch mehr tun werden.
Die vermeintliche Alternative: Das Superticket
Als Alternative zu den Kino-VoD-Portalen wird gerne das so genannte Superticket ins Feld geführt. Mit diesem Ticket erwirbt der Kinogänger nicht nur eine Kinokarte für einen Film, sondern darüber hinaus die Möglichkeit, diesen nach seinem Erscheinen als Download, DVD oder BluRay noch dazu zu bekommen. Und vielleicht gibt’s sogar noch einen exklusiven Merchandisingartikel oben drauf. Ein sicherlich interessantes Marketinginstrument, jedoch in erster Linie für die Verleiher, die schnell Geld bekämen für ein Produkt, das sie erst später (wenn überhaupt) liefern müssten und das dann als digitale Kopie nur sehr geringe Kosten verursacht.
Das Kino wird so zum Vertriebspartner degradiert und mit einem kleinen Abwicklungsbetrag abgespeist. Zumal dieses Superticket nur Sinn macht bei Besuchern, die bereits, bevor sie den Film überhaupt gesehen haben, wissen, dass sie ihn später auch als Datei oder Disc für den Hausgebrauch besitzen wollen. Dies sind also in erster Linie Fanboys von großen Hollywood-Produktionen. Oder Besucher von Filmen, die selbst schon eine etablierte Marke sind, auf einer erfolgreichen Vorlage basieren wie die Marvel- und DC-Comicverfilmungen, die Star Wars-Reihe oder Adaptionen von Buchbestsellern wie beispielsweise aktuell „Fifty Shades of Grey“. Das Angebot eines Supertickets macht also in erster Linie für die großen Multiplexe Sinn, die durch den höheren Kartenumsatz auch noch einen – wenngleich äußerst geringen – Teil der späteren VoD- oder Disc-Umsätze für sich verbuchen könnten.
Wie könnte es gehen? – VoD-Lösungen für die Kinos
Die Programmkinos
Sie könnten wider Erwarten die Gewinner einer VoD-Kopplung auf ihrer Webseite sein. Aber nur, wenn sie – wie sie es zumeist mit dem eigenen Kinoprogramm bereits erfolgreich tun – viel Mühe darauf verwenden. Denn die Besucher gehen in solch liebevoll geführte Programmkinos, weil sie wissen, dass die dort laufenden Filme mit viel Sachverstand handverlesen ausgesucht wurden. Und genau mit diesem Qualität-statt-Quantität-Ansatz kann man diese Filminteressierten weiter begleiten und ihnen ein zusätzliches Angebot unterbreiten. Sozusagen die Verlängerung des Kinos ins Internet auf die eigene Homepage. Dort findet sich dann ein älterer Film eines Regisseurs, deren aktueller gerade im Kino läuft, oder eine Filmreihe zu einem bestimmten Thema wird durch das VoD-Angebot auf der eigenen Webseite ergänzt. Das Kino selbst kann dann sein Angebot aktiv bewerben, sei es durch Flyer oder Hinweise im Vorprogramm.
Hierbei würde auch das Auswertungsfenster keine Rolle mehr spielen, denn die angebotenen Filme werden ihre Auswertungskette in der Regel bereits durchlaufen haben. Während aber gerade anspruchsvolle Werke es schwer haben, auf Mainstreamportalen wie Netflix & Co. überhaupt von einem interessierten Publikum wahrgenommen zu werden, wäre auf den sorgfältig kurartierten Kinoportalen das Gegenteil der Fall. Hier würde der spezielle Content genau auf das passende Zielpublikum treffen. Mit „Kino on Demand“ von Rushlake Media gibt es bereits einen Anbieter, der ein ähnliches Konzept verfolgt. Doch das kann erst der Anfang sein. Um dem Cineasten ein wirklich interessantes, vor allem aber umfangreiches Filmangebot machen zu können, müssen auch die großen Player ihren Content zur Verfügung stellen.
Natürlich kostet es viel Mühe und Zeit, solch ein Portal im ergänzenden Zusammenspiel und Dialog mit dem wöchentlichen Kinoprogramm sinnvoll zu bestücken. Zumal es eventuell schwierig sein könnte, von Filmen, die man gerne zum Abruf anbieten möchte, überhaupt den Lizenzhalter ausfindig zu machen. Es wird also – wenn man es sinnvoll betreiben will – zumindest streckenweise Detektivarbeit gefragt sein. Doch auch hier könnten die anderen Marktteilnehmer unterstützend tätig werden, um den Markt als Ganzen voran zu bringen und das zarte Pflänzchen VoD zudem einem zwar film- aber nicht zwingend besonders technikaffinen Publikum nahe zu bringen und schmackhaft zu machen.
Die Kinoketten
Der Besucher geht nicht in ein CinemaxX, UCI, CineStar oder Kinopolis, weil nur dort der Film läuft, den er gerade sehen will, denn dort laufen schlichtweg alle aktuellen Mainstreamproduktionen. Er besucht ganz im Gegenteil solche Kettenkinos, weil dort die Auswahl besonders groß ist. Dort findet er sogar und zumindest für eine kurze Zeit die B- oder C-Filmchen der Hollywood-Studios, die von den Verleihern zur späteren Margensteigerung bei den Lizenzverkäufen als reine Alibistarts in die Säle gepresst werden. Obwohl die Ketten allein durch ihre Online-Buchungsmöglichkeiten sehr viel Traffic auf ihren Webseiten generieren, für Filmkompetenz in irgendeiner Art und Weise stehen sie nicht, denn hier wird schlichtweg alles feilgeboten und angepriesen, was der Markt gerade hergibt. Mit einem möglichen VoD-Angebot würden sie sich also eher an den großen Portalen orientieren und mit diesen aufgrund ähnlicher Inhalte quasi automatisch in Konkurrenz treten.
Doch auch für sie tut sich eine interessante VoD-Nische auf. So hat Netflix vor kurzem verkündet, nicht nur Serien exklusiv für seine Abonnenten zu produzieren, sondern auch Spielfilme. Den Anfang soll im kommenden Jahr das „Tiger & Dragon“-Sequel machen, das parallel zu seiner Online-Auswertung auch in den US-amerikanischen IMAX-Häusern gezeigt werden soll. Dagegen sind die Kinoketten erwartungsgemäß Sturm gelaufen und haben den Einsatz in ihren IMAX-Sälen ausgeschlossen. Eine Entscheidung, die sich bei einem Film mit eher begrenztem kommerziellen Potenzial noch verschmerzen lässt, die aber nicht richtungsweisend für die Zukunft sein kann.
Wenig später trat dann Adam Sandler auf den Plan und verkündete, seine nächsten vier Filme ebenfalls exklusiv für Netflix zu produzieren. Ob es nun zwingend ein Verlust für die Kinos bedeutet, nach einem Flop wie „Urlaubsreif“ auf die Werke des Comedian keinen Zugriff mehr zu haben, mag dahingestellt sein. Doch allein die Entscheidung hat bereits Symbolcharakter und man kann sich denken, dass ein internationaler und finanziell ebenso potenter Konkurrent wie Amazon-Prime bald ähnliche Deals verkünden wird – und sei es allein aus dem Grund, um neben Netflix nicht alt auszusehen.
Wo läge hier das Potenzial für die Kinoketten mit ihrem eher dem Mainstream-Geschmack verschriebenen Publikum? Da gäbe es diverse Möglichkeiten: Warum beispielsweise die Adam Sandler-Filme nicht wie alternativen Content behandeln und sie zu einer Vorführung oder für einen Tag exklusiv im Kino der jeweiligen Kette zeigen? Oder aber sie als eine Art Premium-VoD über das Web-Portal einer bestimmten Kinokette (eventuell auch über einen festgelegten, begrenzten Zeitraum) streamen? So kämen auch Kunden ohne Netflix-Abo in den Genuss der Filme und die Auswertung hätte trotzdem noch etwas Exklusives. Für den jeweiligen Rechteinhaber wie Netflix hätte diese Form der zusätzlichen Auswertung ebenfalls Vorteile: Es wäre eine tolle Werbung für das eigene Angebot und zugleich ließe sich durch den zwar mit dem Kino geteilten, aber trotzdem noch relativ hohen Streamingpreis gutes Geld verdienen ohne die eigene Abo-Klientel vor den Kopf zu stoßen.
Aufgewacht und mitgemacht: Wer hat was zu tun? Wo liegen die Chancen?
Die Filmverleiher
Sie könnten die Chance nutzen und diese Kino-VoD-Portale mit maßgeschneidertem Content beliefern bzw. von sich aus anbieten. So würden sie beispielsweise zum aktuellen Kinostart des neuen Woody Allen- oder Kim Ki Duk-Films die älteren Arbeiten des jeweiligen Regisseurs gezielt zur Verfügung stellen. Vielleicht sogar für einen gewissen Zeitraum exklusiv oder auch zu besonderen Konditionen – hier wären der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Die VoD-Portale
Indem sie ihre Filmdatenbank den Kinos in einer Art Content Management System zur Verfügung stellen, können auch die bereits bestehenden VoD-Portale in das System integriert werden. So müssten die Kinos ihr eigenes Portal nicht alleine und von Grund auf neu aufbauen, was für viele kleinere Programmkinos, die wirtschaftlich sowieso schon zu knabbern haben, sicherlich schwer zu stemmen wäre. Sie könnten vielmehr ihr eigenes Angebot nach der powered by-Methode in die Webseiten der Kinoportale integrieren. Bei der Abrechnung der Abrufe wird dann der Anteil am Umsatz, den das Streamingportal erhält, mit dem Kino-Portal geteilt – so bekämen alle etwas vom VoD-Kuchen ab.
Weiter, vor allem aber im Sinne des Kunden gedacht, wäre sogar die Schaffung eines sogenannten Meta-Portals sinnvoll, in der alle bestehenden VoD-Anbieter, Filmverleiher und auch Produzenten ihre jeweiligen Programme (natürlich zu den von ihnen frei gewählten Konditionen) den Kinobetreibern zum Einbau in ihre eigenen Portale zur Verfügung stellen. So könnten diese schnell und unkompliziert auf einen viel größeren Inhalte-Pool zurückgreifen und müssten nicht jedem Film einzeln hinterherjagen.
Die Kino-Verbände
Auch die Kinoverbände wie die AG Kino-Gilde oder der HDF hätten die Chance, statt altbekannte Forderungen (niedrigere Leihmieten, mehr Kinoförderung, konstante Auswertungsfenster etc.) immer wieder aufs neue abzuspulen und damit den Status Quo zu zementieren, endlich wirklich einmal etwas für ihre Mitglieder zu tun. Und damit letztlich nicht nur für diese, sondern für die gesamte Film- und Kinolandschaft unseres Landes.
So könnten die Verbände beispielsweise über eine kommerziell ausgerichtete und entsprechend am Markt auftretende Tochterfirma selbst zur Betreiberin des bereits erwähnten VoD-Meta-Portals werden, auf dessen Filmbestand die einzelnen Mitgliederkinos mit ihren eigenen Webseiten zurück- und zugreifen können. Statt noch ein weiteres Mal die Schlachten von gestern zu schlagen und einer neuen Bewegung immer nur hinterherzuhecheln, könnten die Verbände endlich einmal die Speerspitze bilden.
Die Produzenten
Was passiert, wenn die Rechte nach der kommerziellen Erstauswertung eines Werkes wieder an den Produzenten zurückfallen? Meistens nicht mehr viel. Dies könnte sich nun ändern. Sie müssten ihre Werke an niemandem mehr lizenzieren, sondern könnten sie direkt einem VoD-Portal, idealerweise dem bereits genannten Meta-Portal zur Verfügung stellen und so direkt von den Einnahmen durch die VoD-Abrufe profitieren. Alternativ (aber derzeit wahrscheinlich in einer stark von den TV-Anstalten dominierten Produktionslandschaft schwer umsetzbar) könnte der jeweilige Produzent die VoD-Rechte auch bei sich behalten und selbst auswerten. Selbst wenn sich durch diese Modelle mittelfristig keine großen Reichtümer anhäufen lassen, so summieren sich ja auch kleine Beträge, zumal der Aufwand sich stark in Grenzen hält. Und zudem könnten Werke durch diese einfache Art der digitalen Verfügbarkeit davor bewahrt werden, allzu schnell in Vergessenheit zu geraten.
Wo könnte die Reise hingehen?
Vielleicht wird es ja demnächst für den potenziellen Kinobesucher möglich sein, sich auszusuchen, ob er einen Film lieber im Kino oder Zuhause mit seinen Lieben auf der Couch vor dem heimischen Fernsehen sehen will. Das Kino würde dann einen Film parallel in seinen Sälen wie auch als Stream auf seiner Webseite anbieten. Der Unterschied würde im Preis liegen. Da Zuhause sich ja mehrere Personen vor dem Fernsehen versammeln könnten, müsste der Preis für einen Stream beim 2,5- bis 3-fachem des Kinokartenpreises liegen, also deutlich höher sein. Für das Kino würde darin auch eine Chance bestehen, sein Programm weiter diversifizieren zu können: So könnte auch ein aktueller Film beispielsweise nur mit einer Vorstellung am Tag im Kino laufen, wer den Film zu einer anderen Zeit sehen möchte, muss auf das Streamingangebot des Kinos zurückgreifen.
Denkbar wäre auch eine Kopplung des Streamings mit dem Aufführung des Films in dem jeweiligen Kino: Nur ein Kino, das den Film auch in seinen Sälen zeigt, darf auch den Stream anbieten. Für das Kino wäre das ein durchaus attraktives Angebot, da es ja auch von den höheren Preisen der Streamingabrufe profitieren würde.
Mit der richtigen Strategie, einem ordentlichen Schuss Fantasie, vor allem aber mit der Bereitschaft aller Marktbeteiligten zum Handeln könnte sich das diffus vor sich hin spukende VoD-Gespenst, das anscheinend viel Furcht und Schrecken verbreitet, das aber bisher niemand so richtig zu fassen bekommen hat, in eine gute Fee verwandeln, die die Branche auf magische Weise nicht nur näher zusammen führt, sondern für alle Beteiligten zumindest perspektivisch auch eine interessante Einnahmequelle darstellt.