Wenn man bereits gefühlte hundertfünfzig Woody Allen-Filme gesehen hat, ist es manchmal schwer, sich für einen weiteren zu begeistern. Man kennt einfach seine Art, eine Geschichte zu erzählen, seine Eigenheiten, die sich auf Charakterentwicklung und Dialogführung auswirken, und in den vergangenen Jahren waren seine Filme auch nicht immer wirklich gelungen. Doch hin und wieder schafft es der Altmeister aus New York, einen zu überraschen …
Blue Jasmine
Jasmine (Cate Blanchett) war die ungekrönte Königin von New York, angesehen, beliebt und unermesslich reich. Doch ihr Leben entpuppte sich als Lüge, denn ihr Mann Hal (Alec Baldwin) hat sein Vermögen durch Schwindel und Betrug erworben. Inzwischen wurde er verhaftet und verurteilt und beging Selbstmord. Bei ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins) will Jasmine nun ganz von vorne beginnen, ist aber psychisch stark angeschlagen und merkt bald, dass sie vor ihrer Vergangenheit nicht davonlaufen kann.
Der Skandal um den Milliardenbetrüger Bernie Madoff stand eindeutig Pate bei der Geschichte vom Fall einer High Society Lady, doch auch die Figurenkonstellation aus Endstation Sehnsucht diente Woody Allen als Blaupause. Es fällt jedoch schwer, mit einer so oberflächlichen und selbstsüchtigen Frau wie Jasmine Mitleid zu haben, so dass sich bei ihrem Scheitern häufig ein beklemmendes Gefühl der Genugtuung einschleicht. Hochmut kommt eben vor dem Fall.
Irritierend sind anfangs auch die willkürlich eingestreuten Rückblenden in die New Yorker Vergangenheit, die von Gingers Besuch handeln, der das Leben beider Frauen stark beeinflusst hat. Sie bringen die eigentliche Geschichte nicht voran, im Gegenteil, sie erzählen Dinge, die man eigentlich gar nicht wissen müsste, weil sie bereits im Dialog vorweggenommen werden, aber wer genau hinhört, erkennt, worauf Allen hinauswill, weshalb die große Überraschung am Ende gar keine mehr ist. Wirkungsvoll ist diese letzte Wendung dennoch.
Abgesehen von Jasmine kommt man den Figuren leider nicht wirklich nahe. Ginger ist trotz Sally Hawkinsʼ sympathischer Darstellung ein zu oberflächlicher Charakter, dessen Motive und Beweggründe weitgehend im Dunkeln bleiben. Das ist schade, denn so wird eine Menge Konfliktpotential verschenkt. Das ganz große Plus ist jedoch Cate Blanchett, die ihrer Figur wahrhaftig Seele verleiht. Es ist eine der besten schauspielerischen Leistungen der letzten Jahre und durchaus einen Oscar wert. Man mag Jasmine nicht, keineswegs, man hat im Grunde auch kein Mitleid mit ihr, denn sie ist an ihrem Elend zu einem großen Teil selbst schuld, und ihre Versuche, sich selbst wieder aus dem Sumpf von Demütigung und aufkeimendem Wahnsinn zu ziehen, können nur scheitern, weil sie sich konsequent weigert, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Jasmine verändert sich nicht, das zeigen die Rückblenden, sie demontiert sich nur selbst und wundert sich dabei, wie das alles geschehen konnte. Die Hölle sind diesmal ausnahmsweise nicht die anderen. Das Ende ist bitter und deprimierend, aber alles andere wäre wohl auch verlogen gewesen.
Note: 2-