Was macht eigentlich …?

Wer weiß, wer Michael Igor Peschkowsky ist? Der gebürtige Berliner wurde gleich für seine erste Regiearbeit für den Oscar nominiert, für seine zweite wurde er nicht nur nominiert, sondern gewann ihn auch (beide Filme erhielten zusammen 20 Nominierungen). Er ist darüber hinaus auch ein gefeierter Theater- und TV-Regisseur – und besser unter einem anderen Namen bekannt. Was macht eigentlich …?

Mike Nichols

Sein Vater war Russe, seine Mutter die Tochter einer Schriftstellerin und eines bekannten Anarchisten und Pazifisten. 1938 emigrierte die jüdische Familie in die USA, sonst wäre dieses herausragende Regietalent wohl im Holocaust ermordet worden. Ende der Fünfzigerjahre verschlug es den Psychologiestudenten ans Theater, wo er – ausgerechnet – eine Comedygruppe mitbegründete, die so erfolgreich wurde, dass sie es bis zum Broadway schaffte.

Der New Yorker Theaterszene blieb Nichols bis heute treu. So brachte er Anfang der Sechziger Barfuss im Park und Ein seltsames Paar auf die Bühne, bevor er 1966 seinen ersten Film inszenierte: Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Sein zweiter Film Die Reifeprüfung war Dustin Hoffmans erster großer Leinwandauftritt und machte ihn schlagartig berühmt. Beide Streifen zählen zu den wichtigsten ihres Jahrzehnts, und auch sein dritter, Catch-22 – Der böse Trick, gehört zu den bekanntesten Filmen jener Zeit.

Danach folgten einige weniger bekannte Produktionen, und Nichols feierte vor allem Erfolge am Theater, so mit der Aufführung des legendären Musicals Annie 1977. Im Kino sorgte er erst in den Achtziger wieder für Furore. 1983 erhielt er eine weitere Oscarnominierung für Silkwood, jener Film, mit dem Pop-Diva Cher bewies, dass sie auch eine durchaus ernstzunehmende (und gar nicht mal so schlechte) Schauspielerin ist. Es war auch die erste Zusammenarbeit mit Meryl Streep, die auch drei Jahre später in Sodbrennen die Hauptrolle übernahm, zusammen mit Jack Nicholson, einem weiteren Lieblingsschauspieler von Nichols.

Anders als in den USA, wo seine ersten beiden Filme auch seine erfolgreichsten sind, konnte Nichols bei uns vor allem mit seinen späteren Filmen punkten. Übermäßig erfolgreich waren seine Filme bei uns leider alle nicht – aber seit Silkwood ist nicht einer darunter, den man nicht kennt oder nicht gesehen hat.

Nichols beherrscht das große Drama ebenso wie die leichte Komödie, den Thriller oder die Satire. Es ist unglaublich, wie viele tolle Filme der Mann gedreht hat, und ich kann nicht sagen, welcher davon mein Lieblingsfilm wäre. Vermutlich Die Waffen der Frauen, weil er auch heute noch Spaß macht. Oder doch Silkwood, weil er emotional aufwühlend und politisch brisant zugleich ist und solche Filme heutzutage leider nicht mehr gedreht werden. Oder doch Sodbrennen, obwohl er ganz schön in die Jahre gekommen ist, aber ich irgendwie immer noch an ihm hänge. Ich liebe die Szene, in der Meryl Streep mit Wehen ins Krankenhaus gefahren wird und sich die Sache mit dem Kinderkriegen doch noch mal überlegen möchte, und wer genau hinsieht, kann Kevin Spacey in seiner ersten Rolle als namenloser Räuber entdecken.

Seine späteren Filme hatten leider nicht mehr den Biss, diesen präzisen Blick auf das Zwischenmenschliche. Grüsse aus Hollywood war als Satire zu harmlos, Wolf – Das Tier im Mann wahlweise eine missglückte Satire oder ein missglückter Horrorfilm. The Birdcage war nett, aber auch furchtbar albern, und Mit aller Macht habe ich nicht gesehen, weil mir der Rummel um Clinton damals wahnsinnig auf die Nerven ging. Von Good Vibrations – Sex vom anderen Stern wollen wir hier erst gar nicht anfangen …

Seine letzten Kinofilme, Hautnah und Der Krieg des Charlie Wilson, mochte ich beide nicht. Letzterer ist nun auch schon wieder acht Jahre her, und obwohl er inzwischen bereits stolze 83 Jahre alt ist, inszeniert Nichols nach wie vor Stücke am Broadway. 2012 erhielt er einen Tony für Tod eines Handlungsreisenden, und seine Inszenierung von Betrayal mit Daniel Craig und Rachel Weisz brach letztes Jahr alle Rekorde. Es gibt Gerüchte, dass Nichols die Regie bei der Leinwand-Adaption des Jonathan Tropper Romans Der Sound meines Lebens übernehmen wird. Produziert wird diese übrigens von J.J. Abrams, der schon vor über zwanzig Jahren mit Nichols zusammengearbeitet hat: Er schrieb damals das Drehbuch zu In Sachen Henry.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.