Das Nacherzählen von Ereignissen hilft uns, sie besser zu verstehen, Traumatisches zu verarbeiten und die daraus gewonnenen Erfahrungen für andere begreifbar zu machen. Saßen unsere Urahnen um das Lagerfeuer und erzählten sich Anekdoten von der letzten Mammutjagd, sitzen wir in der Dunkelheit eines Kinosaals und lassen uns von den Schicksalen einer Natascha Kampusch oder einer Philomena Lee berühren oder lauschen der Geschichte von der Jagd auf den größten Bösewicht unserer Zeit (Zero Dark Thirty).
Im Prinzip ist auch nichts gegen diese Kommerzialisierung zu sagen, sind die Stoffe häufig von gesellschaftlicher Relevanz und allgemeinem Interesse. Auch früher hat Hollywood tragische, reale Ereignisse, die die Menschen bewegt haben, in fiktionale Stoffe umgesetzt, sei es der Absturz der Hindenburg oder die Story von Bonnie und Clyde. Problematisch ist aus meiner Sicht jedoch, dass dies immer schneller geschieht. Die Vermarktungskette, vom Interview zum Buch zum Film, darf vermutlich nicht zu lange unterbrochen werden, sonst erlahmt das Interesse der Öffentlichkeit oder steht schon wieder ein neuer Mensch im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit.
So wurde nur wenige Tage, nachdem Bowe Bergdahl nach Jahren aus seiner Gefangenschaft bei den Taliban befreit worden war, bereits die Verfilmung seines Schicksals angekündigt. Kathryn Bigelow soll angeblich Regie führen, womit sie sich thematisch in der Nähe ihrer letzten Filme, The Hurt Locker und Zero Dark Thirty, bewegt. Und ich bin sicher, auch bei den bedauernswerten Eltern von James Foley haben die ersten Hollywood-Agenten bereits angerufen, kaum dass das Video seiner Ermordung im Internet war.
Vermutlich liegt die bisweilen unziemlich Hatz daran, dass die Produzenten sich möglichst rasch die Rechte an den Geschichten sichern müssen, bevor ein anderer ihnen zuvorkommt. Und wenn man erst einmal einen stattlichen Betrag hingeblättert hat, will man, dass sich die Investition auch recht bald bezahlt macht. Nur frage ich mich, ob es wirklich von Vorteil ist, eine Begebenheit, die der Zuschauer gerade erst in den Nachrichten verfolgt hat, schon nach nur ein, zwei Jahren auf die große Leinwand zu bringen. Zumal in vielen Fällen die Aufarbeitung der Ereignisse und ihre Einbettung in den geschichtlichen Kontext noch gar nicht abgeschlossen ist.
Kürzlich habe ich mir The Company Men angesehen, einen Film zur Finanzkrise von 2008 von John Wells (Buch und Regie), der als Produzent von The West Wing, Emergency Room oder Shameless bekannt geworden ist. Entstanden ist der Film 2010, bei uns lief er allerdings erst ein Jahr später in den Kinos. Sowohl in den USA als auch bei uns wurde er als Nischenprodukt feilgeboten – entsprechend mit überschaubarem Erfolg. Aber auch sonst nehme ich an, dass er einfach zu früh kam und in den USA noch zu viele unter den Nachwehen jener Krise litten, um sich damit beschäftigen zu wollen.
The Company Men
Bobby Walker (Ben Affleck) arbeitet für einen Misch-Konzern, der im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 in Schieflage geraten ist und nun einige Sparten abstößt, um sich zu sanieren. Betroffen ist davon auch der Schiffsbau, einst das Herzstück des Unternehmens, und Bobby wird arbeitslos. Zunächst überzeugt, bald wieder einen Job zu finden, gestaltet sich das trotz hervorragender Referenzen als schwierig, und so setzt der Niedergang einer amerikanischen Mittelschichtsfamilie ein, die mit dem Verlust ihrer Statussymbole fertig werden muss. Am Ende arbeitet Bobby sogar auf dem Bau bei seinem Schwager (Kevin Costner), um Frau und Kind zu ernähren. Etwas später als Bobby erwischt es seinen Kollegen Phil Woodward (Chris Cooper), der zu alt ist, um noch einmal von vorn anzufangen, und für den die Arbeitslosigkeit das Ende bedeutet. Und sogar Gene McClary (Tommy Lee Jones), einer der Mitbegründer des Konzerns, sitzt am Ende auf der Straße – allerdings mit einer satten Abfindung und genug Energie, um noch einmal neu zu starten.
Erzählt wird ein Jahr im Leben dreier Männer, die in derselben Firma arbeiten. Es ist eine sehr amerikanische Geschichte, die den Niedergang der US-Schwerindustrie ebenso widerspiegelt wie die jüngste Wirtschaftskrise oder die vielfach beschworene amerikanische Tugend, sich allen Widrigkeiten zum Trotz wieder nach oben zu kämpfen. An Bobbys Story sieht man, wie schnell der amerikanische Traum ausgeträumt sein, wie rasch sich der soziale Niedergang vollziehen kann, wenn es keine staatlichen Absicherungen wie in Europa gibt. Ben Affleck spielt ihn gut, den stolzen Selfmademan, der alles verliert, sein luxuriöses Haus, seine Mitgliedschaft im Golfclub und sogar seinen Porsche, er erträgt jede Demütigung stoisch und im Glauben daran, dass es schon besser wird, wenn man nur an sich glaubt und hart genug arbeitet. Dass er in dieser ein wenig naiven Grundannahme letztendlich bestätigt wird und dank Gene, der sich wieder auf alte, amerikanische Werte besinnen will und einen Neustart wagt, den Wiederaufstieg schafft, hat in gewisser Weise ein Geschmäckle, ist aber so gut gespielt, dass man diese kleine Verlogenheit gerne in Kauf nimmt.
The Company Men hätte ein wenig mehr Drama und Tiefgang vertragen können, besticht aber vor allem durch seine starken, gut gespielten Charaktere, die einen fesseln und an deren Schicksal man gerne Anteil nimmt.
Note: 3-