Sherlock und das Rätsel des Sommerlochs

Das Fernsehprogramm am vergangenen Pfingstwochenende war gar nicht mal so schlecht. Es gab zwei, drei neue Filme, dazu jede Menge attraktive Wiederholungen und sogar eine Retrospektive mit Bud Spencer und Terrence Hill-Filmen für die ganz Hartgesottenen. Nur wer hat sich das alles angeschaut? Vermutlich kaum einer, denn bei den hochsommerlichen Temperaturen zieht es die Menschen lieber ins Freie. Wovon natürlich auch die Kinos ein Klagelied singen können. Die (bescheidene) Qualität des Programms war natürlich dem Feiertag geschuldet und sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Realität ganz anders aussieht.

Keine vier Millionen Zuschauer können die Sendungen mit den Spitzenquoten im Augenblick für sich verbuchen, was eine Katastrophe ist. Sicherlich ist dieser Umstand vor allem dem schönen Wetter geschuldet, aber ganz bestimmt auch dem miesen Programm. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob es früher schon ein Sommerloch gegeben hat, das von den Sendern mit lauter Wiederholungen gefüllt wurde, oder ob sich das erst in den letzten zehn Jahren so entwickelt hat. Und wie das Ozonloch vor der Eindämmung der FCKW wird es von Jahr zu Jahr größer. Inzwischen reicht es schon von Anfang April bis Ende September. Die Begründung der Programmplaner für die vielen Wiederholungen liegt auf der Hand: Weil das Wetter gut ist, schaut sowieso keiner fern, warum also die Perlen unseres Programms verschwenden? Abgesehen davon, dass so mancher Zuschauer sich über einen halbjährlichen Sommer freuen würde, die Welt aber leider nicht so lange voller Sonnenschein ist, ist es wohl eher anders herum: Nur weil ständig Wiederholungen laufen, schaltet keiner mehr ein. Im Grunde haben die Sender sich also das Sommerloch selbst geschaufelt und wundern sich nun, dass sie darin feststecken.

Als Sommerloch bezeichnete man früher übrigens nur die nachrichtenarme Zeit, in der Kohl zum Abspecken fuhr und die europäischen Grenzen dank des Blockdenkens festgemeißelt waren, eine Zeit, in der nicht jeder Blödsinn dank Twitter und Internet dreimal um die ganze Welt gegangen ist, bevor derjenige, der ihn verzapft hat, zum Nachdenken kam. Damals brauchte man Nessie, um Schlagzeilen zu produzieren, oder wenigstens einen politischen Hinterbänkler mit einer richtig schwachsinnigen Idee. Heute jagt eine politische Krise die nächste, und Merkel regiert mit ihrem Handy.

Aber zurück zum alltäglichen Schwachsinn des Fernsehprogramms. Die ARD hat es am Wochenende tatsächlich geschafft, einmal zu einer halbwegs vernünftigen Zeit etwas Gutes zu zeigen. Natürlich hat sie es nicht selbst produziert, aber immerhin auch nicht wie sonst zu nachtschlafender Zeit versteckt. Sherlock hatte zwar nur zweieinhalb Millionen Zuschauer und damit weniger als durchschnittlich zusehen, aber dafür überdurchschnittlich viele Jüngere, die tatsächlich noch die ARD auf ihrer Senderliste gefunden haben. Für einen öffentlich-rechtlichen Sender ist das sicherlich ein zweischneidiges Schwert, einerseits wollen auch sie eine gute Quote, andererseits aber auch viele junge Zuschauer, was in der Regel leider nicht zusammenpasst.

Wenn man sich Sherlock anschaut, weiß man erst, wie mies der deutsche Fernsehfilm wirklich ist. Visuell und inszenatorisch auf der Höhe der Zeit, tolle Schauspieler und ein interessanter Plot, da können sich die Tatorte direkt eine Scheibe von abschneiden. Werden sie aber nicht, genauso wenig wie man jemals etwas Vergleichbares aus deutscher Produktion zu sehen bekommen wird – weil es das vergreiste Stammpublikum nämlich zu sehr verschreckt. Es entspricht nicht den deutschen Sehgewohnheiten, lautet die hilflose Erklärung der Redakteure, wenn man sie fragt, warum man nicht etwas wie Sherlock, Downton Abbey oder Orphan Black in Deutschland produzieren kann. Sehgewohnheiten, wage ich zu behaupten, können sich ändern, vielleicht nicht von heute auf morgen, aber mit der Zeit. Sonst haben wir irgendwann ein ganzjähriges Sommerloch.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.