Nein, dies ist kein Kommentar zur kommenden Fußball-WM…
Jeder, der meine Artikel aufmerksam verfolgt, weiß, dass ich für den gewaltigen Besucher-Rückgang seit 2001 (immerhin über 48 Mio. Besucher bzw. 924.000 Besucher pro Woche) auch die gestiegenen Ticketpreise verantwortlich mache – schließlich sind in dieser Zeit die durchschnittlichen Eintrittspreise doppelt so stark gestiegen wie die Inflation…
Aber nach drei Jahrzehnten in der Kino-Branche weiß ich natürlich, dass sie auch extrem vom angebotenen Produkt abhängig ist. Einen entsprechenden Artikel über das auf dem Papier schwache Jahr 2014 und großartige Jahr 2015 habe ich ja schon verfasst (und 2016 sieht auch sehr stark aus).
Und dennoch beschleicht mich das Gefühl, dass die Hollywood-Studios zunehmend am deutschen Markt vorbeiproduzieren. Und wer kann es ihnen verdenken? Schließlich ist der deutsche Kinomarkt im Sinkflug (wobei die US-Studios den Sinkflug gar nicht mal wahrnehmen, da sie nur das Box Office und nicht die Besucherzahl interessiert – und das Box Office lag 2013 um „grandiose“ 3,6 % über 2001), während der asiatische und lateinamerikanische Raum immer mehr zum globalen Einspielergebnis beitragen.
Ist doch klar, dass die Studios lieber Filme herstellen, die den asiatischen Geschmack treffen, wenn ein Film wie Pacific Rim in Deutschland gerade einmal $6 Mio. einspielt, in der Volksrepublik China aber $112 Mio.!
Und so verselbstständigt sich diese selbsterfüllende Prophezeiung: Da Deutschland und Europa immer weniger zum globalen Einspiel beitragen, werden immer weniger Filme produziert, die auf unserem Kontinent gut ankommen.
Die Studios erschlagen uns mit einem Eventfilm nach dem anderen – am vergangenen Wochenende sind mit Maleficent und Edge of Tomorrow gleich zwei Filme mit Produktionskosten über der $175 Mio.-Marke gestartet worden. Und da beide Filme zudem in 3D sind, tragen sie zu den hohen Eintrittspreisen bei.
Ich brauche da nur auf einen meiner Neffen zu schielen: Ein junger Mann, der hauptsächlich Comicverfilmungen und Filme des phantastischen Genres mag (aber auch Testosteron-gesteuerten Produktionen à la Fast & Furious nicht abgeneigt ist). War er früher jede Woche im Kino, geht er heute nur noch etwa einmal im Monat, da ausgerechnet die Filme, die er am meisten mag, alle in 3D sind und diese auf Dauer nicht von ihm bezahlt werden können. Stattdessen wartet er bei vielen Filmen auf die DVD, die dann günstiger zu haben ist als ein Kino-Ticket.
Für die Filmstudios mag das ein Nullsummen-Spiel sein, aber warum die Kinobranche mit den hohen Eintrittspreisen da freiwillig mitmacht, Marktanteile von den Kinos in den Homevideo-Bereich zu schieben, bleibt mir ein Rätsel (an dieser Stelle möchte ich noch einmal auf diesen Artikel hinweisen).
Nun gut, zurück zum eigentlichen Thema. Die Deutschen scheinen den allermeisten Eventfilmen inzwischen überdrüssig zu sein. Es gibt kaum noch Filme, die mehr als eine halbe Million Besucher zum Start haben, und Blockbuster-Überraschungen aus den USA gibt es fast überhaupt nicht (Django Unchained mit 4,5 Mio. Besuchern dürfte im aktuellen Jahrzehnt die größte US-Überraschung darstellen). Stattdessen werden Filme wie Ziemlich beste Freunde (9,1 Mio.) und Fack Ju Göhte! (7,1 Mio.) zum Überblockbuster, die optisch und thematisch nicht gegensätzlicher zum US-Eventfilm sein könnten.
Aber genau dies erklärt auch den Erfolg (neben der Qualität der Filme). Zwischen all den amerikanischen Eventfilmen, in denen zum hundertsten Mal die Erde zerstört wird, sehen Filme wie ZBF und FJG erfrischend anders aus!
In einer Zeit, in der ein Film wie Best Exotic Marigold Hotel ähnlich viele Besucher zählt, wie der superteure Tom Cruise-Film Oblivion, in einer Zeit, in der Filme wie Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand mehr als eine Million Besucher in die Kinos lockt, extrem teure Produktionen wie Pacific Rim, Captain America, 47 Ronin und vielleicht auch Godzilla aber nicht, dann müsste doch jedem klar sein, dass sich hier eine gewaltige Chance für die deutschen Filmproduzenten auftut.
Während Hollywood also damit beschäftigt ist, die Welt noch zweihundert weitere Male zu zerstören, um in Brasilien und Südkorea neue Rekorde aufzustellen, muss die deutsche Filmindustrie die Filme produzieren, die die deutschen (und europäischen) Besucher wirklich sehen wollen. Wir brauchen mehr Filme wie ZBF, FJG oder Der Medicus – und zwar schnell…
Auch wenn ich dafür plädiere, dass der deutsche Film möglichst vielseitig sein sollte, ist es insbesondere die Komödie, die gefragt ist. Denn die US-Studios haben den Komödien-Output drastisch reduziert und viele Komödien á la Judd Apatow oder Will Ferrell treffen einfach nicht den deutschen Geschmack.
Die Chancen waren nie größer, mit einem deutschen Mainstreamfilm in den heimischen Kinos zu punkten, wenn die amerikanischen Mainstreamfilme nur noch Explosionen zeigen…
Auf die Plätze, fertig, los!