Das Popcornkino der Gegenwart wird von Comicverfilmungen dominiert, das kann man begrüßen oder bedauern, aber wenn man sich mit dem ersteren beschäftigt, kommt man nicht umhin, sich auch mit den Geschichten und ihren Vorlagen auseinanderzusetzen. Nun bin ich, wie ich immer wieder betont habe, kein Comic-Fan und werde vermutlich auch keiner mehr werden, dennoch habe ich fast alle Verfilmungen gesehen und meine Lieblinge unter den Superhelden gefunden. Am liebsten waren mir immer die X-Men, vor allem weil es in ihren Geschichten um Außenseiter ging, die sich gegen Diskriminierung und Verfolgung zur Wehr setzen mussten, und wessen Herz schlägt nicht für Außenseiter?
So waren die ersten beiden Filme der Reihe großartig, während man über den dritten besser den Mantel des Schweigens breitet. Mit den Wolverine-Ablegern bin ich nicht recht warm geworden, habe allerdings nur den ersten davon gesehen, aber mit X-Men: Erste Entscheidung (und Bryan Singers Rückkehr) wurde die Qualität wieder sehr viel besser, und so war ich gespannt auf…
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit
2023 tobt ein erbitterter Krieg zwischen den Menschen und den Mutanten und ihren Unterstützern. Sentinels, Roboter, die die Fähigkeiten der Mutanten kopieren und ihnen damit als überlegene Gegner gegenübertreten können, haben viele von ihnen bereits getötet. Nur einer kleinen Gruppe gelingt stets die Flucht, weil Kitty Pryde (Ellen Page) die Fähigkeit besitzt, den Geist eines anderen in die Vergangenheit zu schicken und dadurch ihre Mitstreiter zu warnen. Professor Xavier (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) beschließen daraufhin, Wolverine (Hugh Jackman) in das Jahr 1973 zurückzuschicken, um die Ermordung des Sentinel-Erfinders Bolivar Trask (Peter Dinklage) durch Mystique (Jennifer Lawrence) zu verhindern, den die US-Regierung als Vorwand benutzt hat, den Krieg gegen die Mutanten zu beginnen. Doch Wolverine muss feststellen, dass seine heutigen Verbündeten in der Vergangenheit zu sehr verfeindet waren und zu unterschiedliche Interessen verfolgten, um an einem Strang zu ziehen…
Die Anfänge der X-Men-Comics liegen in den Sechzigern, und auch die Vorlage zu diesem Film ist bereits rund dreißig Jahre alt, so dass etwaige Ähnlichkeiten zum Plot von Terminator oder anderen Science Fiction-Spektakeln eher darauf beruhen, dass diese sich von den X-Men inspirieren ließen. Nur so viel zu den Kritikern, die bemängeln, dass die Story quasi geklaut wäre.
Es ist schwer für einen Nicht-Comicleser, den Überblick zu behalten. Vermutlich auch für den Leser der Graphic Novels, denn es gibt so viele Reihen und Nebenreihen, Crossovers und Reboots, dass man schnell den Überblick verlieren kann. Außerdem sind manche Charaktere – und es gibt Hunderte von Mutanten – mal gut, mal böse oder durchlaufen eine Wandlung von einem Extrem zum anderen und wieder zurück. Magneto ist das beste Beispiel, und es ist ein Glück, dass er mit Ian McKellen und Michael Fassbender so hervorragend besetzt ist, so dass man ihn selbst dann mag, wenn er Dinge tut, die man nicht gutheißt. Und es ist wahrlich nicht leicht, in einem merkwürdig geschnittenen Cape und mit einer furchtbaren Kopfbedeckung in Jesus-Pose durch die Luft zu schweben und dabei auch noch cool auszusehen.
Neben den bekannten jungen und alten Helden aus X-Men: Erste Entscheidung tauchen auch Figuren aus den älteren Filmen wie Storm (Halle Berry) oder Jean Grey (Famke Janssen) wieder auf, spielen aber leider so gut wie keine Rolle. Ein kurzer Kampf, ein Dialogsatz, im Falle von Anna Paquin alias Rogue sogar nur ein Auftritt im Hintergrund – es gibt mittlerweile einfach zu viele Charaktere, um allen gerecht zu werden. Das ist schade, aber unvermeidlich. So kommt auch die charakterliche Entwicklung der Hauptfiguren ein wenig zu kurz, wobei man diese allerdings schon in den vorangegangenen Filmen verfolgen konnte.
Das ist auch mein Hauptproblem: Der Film erzählt zu wenig Neues, er variiert vielmehr zum vierten oder fünften Mal das – an sich ja interessante – Grundthema und berichtet einmal mehr, wie es zum Krieg zwischen Menschen und Mutanten kommt. Kontinuität, wie sie in den ersten drei Teilen erkennbar ist, zeigt sich hier nur in Ansätzen, es scheint vielmehr, dass jeder neue Film lediglich lose mit seinen Vorgängern verknüpft ist und außer den Charakteren und seinem Thema nicht sehr viel gemein hat. In diesem Fall sorgt das Motiv der Zeitreise noch zusätzlich für Komplikation. Man muss schon sehr genau hinsehen und sich gut mit den einzelnen Charakteren auskennen, um in Randfiguren wie Colonel Stryker wichtige Gegenspieler aus früheren Filmen zu erkennen, und wissen, welche Schlüsselrolle sie in der Historie der X-Men spielen. So ist die erste Hälfte des Films auch mit Abstand die stärkste und besitzt in der im Pentagon spielenden Szene ihren absoluten Höhepunkt, gegen den der Rest leider nicht mithalten kann.
Für sich genommen, ist es ein guter Film mit spannenden Szenen, interessanten Charakteren und einer komplexen, zum Nachdenken anregenden Geschichte, aber das waren die beiden ersten Teile der Reihe ebenfalls, und dies ist eine neuerliche Variante desselben Themas. Nach dem großartigen X-Men: Erste Entscheidung hatte ich ein klein wenig mehr erwartet.
Note: 2-