Die Sandalen sind angeblich schuld. Vor Jahren habe ich in einer Zeitschrift die Theorie gelesen, dass die abendländische Geschichte möglicherweise anders abgelaufen wäre, wenn die Römer Turnschuhe erfunden hätten (oder zumindest ein antikes Äquivalent dazu). Nicht weil ihre Armeen dann in nördlichen Ländern keine kalten Füße bekommen und besser gekämpft hätten, sondern weil dann die Möglichkeit bestanden hätte, eine Alternative zu den Gladiatorenspielen zu entwickeln. Man stelle sich vor: Die Römer hätten den Fußball erfunden und im Kolosseum wären die ersten Weltmeisterschaften ausgetragen worden. Der FC Londinium gegen den AS Roma oder so. Diesen Zweig der spekulativen Wissenschaft nennt man virtuelle oder kontrafaktische Geschichte. In Hollywood könnten ihre Vertreter viel Geld als Drehbuchautoren verdienen…
Dieses Jahr starten eine ganze Reihe von Sandalenfilmen, darunter allein zwei, die Hercules zum Titelhelden haben. Schuld daran ist Gladiator, der nicht nur wahnsinnig erfolgreich war, sondern auch so frisch und cool aussah, als hätte es die mittlerweile etwas angestaubten Monumentalfilme der Fünfziger und Sechziger nie gegeben. Einer dieser zur damaligen Zeit erfolgreichen Streifen, der auch immer wieder im deutschen Fernsehen lief, war Die letzten Tage von Pompeji von 1959, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Edward Bulwer-Lytton, interessanterweise eine deutsche Co-Produktion mit Italien, Spanien und Monaco mit Steve Reeves und Christine Kaufmann in den Hauptrollen. Passend dazu, wenn auch kein Remake, kam dieses Jahr ein deutsch-kanadischer Film in die Kinos, der sich ebenfalls mit dem Untergang dieser Stadt beschäftigte.
Pompeii
Als Kind muss Milo (Kit Harrington) mit ansehen, wie seine Eltern von römischen Soldaten unter Corvus (Kiefer Sutherland) in Britannien abgeschlachtet werden. Er gerät in Gefangenschaft und wird zum Gladiator ausgebildet. Weil er erfolgreich ist, verkauft man ihn an eine Gladiatorenschule in Pompeji. Unterwegs begegnet ihm die schöne und reiche Cassia (Emily Browning), in die er sich verliebt, auf die jedoch auch Corvus ein Auge geworfen hat. Er erpresst sogar ihre Eltern, um an sein Ziel zu gelangen, doch Cassia fühlt sich eher zu Milo hingezogen. Corvus will seinen Rivalen loswerden, indem er ihn in der Arena einem Kampf auf Leben und Tod aussetzt, doch der Ausbruch des Vesuvs wirbelt das Schicksal aller Beteiligten durcheinander.
Der Trailer versprach tolle Bilder und viel Action, auch wenn man über die Geschichte selbst nicht viel erfahren hat, doch die Kritiken und die Mundpropaganda fielen dann eher negativ aus. Um eines gleich vorwegzuschicken: Pompeii ist nicht der schlechteste Film des Jahres, aber man kann sich über ihn ärgern, vor allem über die Tatsache, dass es ein Leichtes gewesen wäre, ihn zu verbessern.
Katastrophenfilme besitzen in der Regel keine tiefschürfende Handlung, sondern erzählen meist einfache, menschliche Konflikte, die dann angesichts der über die Beteiligten hereinbrechenden Naturgewalten zu einem Nichts zusammenschrumpfen. Um mehr Dramatik in die Story zu bringen, spitzen sich diese Auseinandersetzungen gelegentlich in Kämpfe auf Leben und Tod zu, die vor der Kulisse des Untergangs ausgetragen werden. Das kann spannend sein, wirkt in den meisten Fällen aber eher lächerlich. So fragt man sich auch während des Showdowns von Pompeii ständig: Habt ihr eigentlich nichts Besseres zu tun?
Drei Drehbuchautoren (Janet Scott Batchler, Lee Batchler und Michael Roebrt Johnson) haben an dem Film gearbeitet, aber leider besitzt kein einziger von ihnen ein Händchen für eine gute Figurenzeichnung. Abgesehen davon, dass die Grundkonstellation der Liebesgeschichte exakt der von Titanic entspricht, ist diese weder glaubwürdig geschrieben noch wirken die Beteiligten besonders sympathisch. Kit Harrington agiert etwas stoffelig, und Emily Browning besticht vor allem durch ihren rehäugigen Blick. Dass echte Gefühle zwischen ihnen aufkommen, spürt man keine Sekunde, was auch damit zusammenhängt, dass sie sich nur zweimal und unter eher erzwungenen Umständen sehen, bevor nach gut einer Stunde (endlich) der Vulkan ausbricht.
Der zweite große Film, der hier Pate gestanden hat, ist natürlich Gladiator, und so darf es an einigen Arenakämpfen nicht fehlen. Dank des Jugendschutzes fallen diese dann wesentlich zahmer und unspektakulärer aus als in der TV-Serie Spartacus, sind aber nicht schlecht choreografiert. Mein Hauptproblem ist, dass ich diese ewigen Gladiatorenkämpfe leid bin. Man kann auch auf andere Art spannende Kämpfe inszenieren, ohne schon wieder einen Gladiator zu bemühen.
Neben einer ausgefeilteren Liebesgeschichte wären auch ein paar interessante Nebenplots von Vorteil gewesen, um das Schicksal mehrerer, möglichst sympathischer Figuren zu erzählen. So hätte man beim Vulkanausbruch wenigstens um den einen oder anderen bangen können. Doch sämtliche Figuren bleiben erstaunlich blass oder werden wie Corvus so schlecht dargestellt, dass man sich mit Grausen abwendet. Carrie-Anne Moss und Jared Harris als Eltern von Cassia haben mir direkt leid getan, da sie weitgehend zum Nichtstun verurteilt waren.
Der Untergang Pompejis gehört zu den vermutlich am häufigsten nacherzählten Katastrophen. Wer sich für die Materie interessiert, hat mindestens ein oder zwei Dokus dazu gesehen und erkennt daher, was alles an dem Vulkanausbruch nicht stimmt. Meist sind es Kleinigkeiten, aber richtig ärgerlich war der Tsunami, der den Hafen zerstört. Daneben gibt es natürlich noch jede Menge anderer Logikfehler. Jeder, der schon einmal die Ruinen der Stadt besichtigt hat, weiß, dass man nicht so weite Strecken mit einem vierspännigen Streitwagen zurücklegen konnte wie Corvus es getan hat. Noch dazu, wenn wenige Minuten zuvor alle Straßen voller Flüchtlinge waren. Im Bemühen, die Bilder möglichst spektakulär aussehen zu lassen, schießen die Macher weit übers Ziel hinaus und geben ihren Film damit der Lächerlichkeit preis.
Natürlich sind die Macher von Historienfilmen in den Interviews immer wahnsinnig stolz darauf, wie authentisch, wie wirklichkeitsnah ihre Interpretation der Ereignisse ist. William Wyler, der Regisseur von Ben Hur war es ebenfalls, als er eine Historikerin durch die Requisite führte, ihr seine historisch korrekten Kostüme und Waffen zeigte und sie dann fragte, ob es noch etwas gäbe, was man verbessern könnte. Ihre Antwort war: „Verbrennen Sie alles.“
Paul W. S. Anderson ist leider kein William Wyler, aber ein solider Handwerker, dem einige sensationelle Aufnahmen gelungen, dem aber auch einige Patzer unterlaufen sind. Bernd Eichinger hätte seinerzeit sicherlich nicht nur mehr Wert auf ein ausgereiftes und solides Drehbuch gelegt, das sowohl die Liebhaber von Actionspektakel als auch Cineasten zufriedengestellt hätte, sondern er hätte auch einen Regisseur engagiert, der ein besseres Renommee besitzt. Wie sehr er fehlt, erkennt man vor allem an Projekten wie diesem.
Alles in allem ist dieser Katastrophenfilm keine filmische Katastrophe. Er setzt vor allem auf Schauwerte, was in diesem Genre schließlich das Wichtigste ist, und muss sich, gemessen an seinem Budget, nicht hinter anderen internationalen Produktionen verstecken. Es ist nur so schade und ärgerlich, dass man mit einem besseren Drehbuch so vieles mehr hätte herausholen können.
Note: 4