Filme erzählen nicht nur Geschichte, sie haben auch eine, nämlich die Geschichte ihrer Entstehung, die manchmal genauso abenteuerlich, spannend oder absurd ist wie das, was man später auf der großen Leinwand zu sehen bekommt. Vom Winde verweht, Apocalypse Now oder Der Weiße Hai sind alle unter schwierigen Umständen gedreht worden. Manchmal ist das, was während der Dreharbeiten passiert, sogar interessanter als das, was sich vor der Kamera ereignet. Anfang des 20. Jahrhunderts, so will es eine Legende Hollywoods, wollte ein US-Studio einen Film über eine Revolte in Mexiko drehen, vor Ort und so authentisch wie möglich. Also finanzierte man ein paar Rebellen jenseits der Grenze und filmte ihre Revolution, die sich als überaus erfolgreich entpuppte. Am Ende hatte Mexiko eine neue Regierung, doch den Studiobossen waren die Aufnahmen nicht „authentisch“ genug (vermutlich weil die Kameratechnik jener Tage mit der Dynamik der Ereignisse nicht mithalten konnte), weshalb man das Material verwarf und alles komplett neu im Studio drehte. Falls das nicht wahr sein sollte, ist es wenigstens gut erfunden…
Vor ein paar Tagen habe ich mich mit der Entstehungsgeschichte eines anderen Meilensteins des Films beschäftigt: Citizen Kane. Für viele (Kritiker) ist er immer noch der beste Film aller Zeiten, auch wenn er nicht mehr ganz oben auf den meisten Listen steht. Seiner Zeit war er vor allem in technischer Hinsicht weit voraus, obwohl viele Innovationen bereits für andere Filme entwickelt worden waren, aber Regisseur Orson Welles setzte sie so genial in seinen erzählerischen Kontext ein, dass es bei den Fachleuten zu einem Wow-Effekt kam. Beim Publikum kam er hingegen nicht so gut an. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurde er immer wieder kopiert und zitiert, und so erfuhr ich auch lange, bevor ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, was es mit dem ominösen Rosebud auf sich hat.
Diesem Spoiler zum Trotz hat mir Citizen Kane dennoch gefallen, auch wenn er nicht zu meinen Lieblingsfilmen gehört und ich ihn seither nicht wieder gesehen habe. Seinen Platz in der Filmgeschichte hat er allemal verdient. Doch fast ebenso interessant ist das, was zu seiner Entstehung geführt hat.
In RKO 281, Citizen Kanes Projektnummer beim Studio, einer HBO-Produktion von 1999, die bei uns etwas ungelenk Citizen Kane – Die Hollywoodlegende betitelt und von den Scott-Brüdern produziert wurde, geht es um Orson Welles‘ (Liev Schreiber) Bemühungen, bei RKO einen Film auf die Beine zu stellen. Alle seine Ideen werden abgelehnt, bis er nach einem Besuch bei dem exzentrischen Medien-Mogul William R. Hearst (James Cromwell) auf die Idee zu einem Film kommt, der sich um Aufstieg und Fall eines fiktiven Medienzaren dreht. Natürlich versucht Hearst unter allen Umständen, das Projekt zu verhindern…
Mir ging es bei dem Film wie bei Citizen Kane: Die Geschichte ist faszinierend, aber auch ein wenig langatmig erzählt – und beileibe nicht so spannend wie die Tatsachen. Das wirkliche Leben ist leider in den seltensten Fällen so in eine dramatische Form zu bringen, dass die Wahrheit Bestand hat, man muss Ereignisse verändern, überspitzen – und manchmal gegen fiktionale austauschen.
Sehr schön zitiert Regisseur Benjamin Ross allerdings immer wieder Citizen Kane, indem er zum Beispiel am Anfang das Leben Orson Welles ebenfalls in einem Wochenschau-Beitrag Revue passieren lässt. Auch die Ausstattung kann sich in ihrer Opulenz sehen lassen, und ich vermute, dass an Originalschauplätzen wie dem Hearst Castle gedreht wurde (das ich leider noch nicht gesehen habe). Die schauspielerische Leistung ist durchweg gut, vor allem Melanie Griffith als Hearsts unglückliche Geliebte Marion Davies macht ihre Sache ausgezeichnet, ansonsten wimmelt es nur so von hochkarätigen Namen wie John Malkovich, Brenda Blethyn, Fiona Shaw oder Roy Scheider.
Am besten ist der Film, wenn er die Winkelzüge Hollywoods thematisiert, die Intrigen und offenen Erpressungen, die Probleme beim Drehbuchschreiben oder die skurrilen Episoden am Set, wo Welles auch mal den Studioboden aufbrechen lässt, um seine Kamera zu versenken. Liest man sich ein bisschen in die Thematik ein, findet man noch mehr bizarre Details – und stellt fest, dass die Schlussszene, in der Welles Hearst nach geschlagener Schlacht im Fahrstuhl trifft und ihm frech Freikarten für die Premiere anbietet, dass ausgerechnet die Szene, die so sehr nach einer Erfindung des Drehbuchautors aussieht, tatsächlich passiert sein soll.
Das Leben erzählt manchmal eben die besten Geschichten, und in diesem Fall sorgen die Schicksale der beiden Hauptakteure noch für besondere Tragik, die beinahe zu einer mystischen Überhöhung der Ereignisse führt. Sowohl für Hearst als auch für Welles war jene Zeit ein Wendepunkt in ihrem Leben, denn der Medien-Mogul, der die Macht hatte, die Bosse Hollywoods zu erpressen, und der angeblich sogar mit einem Mord davon gekommen war, war aufgrund seines exzessiven Lebensstils nahezu pleite und verlor deshalb die Schlacht um seinen guten Ruf. Für Orson Welles, das künstlerische Wunderkind, sollte Citizen Kane der Höhepunkt seiner Karriere sein. Alle Filme, die er später drehte, konnte er nur unter extremen Mühen realisieren, und er war häufig vom Pech verfolgt.
Vielleicht sollte ich mir bei Gelegenheit noch einmal Citizen Kane anschauen, auch wenn er auf meiner Liste der besten Filme aller Zeiten nicht in den Top Ten auftauchen wird. Was Rosebud bezeichnet, werde ich hier natürlich nicht verraten, aber RKO 281 enthüllt zumindest, was das Wort angeblich wirklich bezeichnete…