Wale und Wagner

Wenn man kein Tatort-Fan ist und auf keinen Fall gepilchert werden möchte, hat man als Fernsehzuschauer am Sonntagabend meistens schlechte Karten. Immerhin hat sich das ZDF diesmal bemüht und einen vermutlich sündhaft teuren Film auf die Beine gestellt, der Liebhabern von Historienfilmen ebenso gefallen könnte wie den Verehrern von Richard Wagner. Große Oper gewissermaßen. Damit lockt man keine Teenager hinterm Baum hervor, allerdings ist das Durchschnittspublikum des ZDF auch schon 61.

Doch Der Wagner-Clan, dessen Titel vermutlich nicht von ungefähr an den Denver-Clan erinnerte, entpuppte sich schon kurz nach dem Abspann als typisch öffentlich-rechtliches Gewächs. Die Kamerafahrt über ein animiertes Venedig des 19. Jahrhunderts erinnert an Terra X, und dann liegt der Bombast-Komponist auch schon tot auf dem Teppich. Auftritt: Iris Berben als maßlos trauernde Witwe, die schon in der Sekunde seines Todes beschließt, dass die Marke Wagner nicht sterben darf.

Die nächsten zehn Minuten schwören uns dann ganz auf dieses Mutter-Drama ein: Kinder eingeschüchtert und auf einen Lebensweg gezwungen, der nur ins Unglück führen kann, Testament gefälscht und Leute erpresst, um die Macht auf dem Grünen Hügel an sich zu reißen, sowie heimliche Geliebte, aufmüpfige Sänger und Wagnerianer kalt gestellt. Als dann der erste Antisemit auftauchte, um auch dieses Thema einzubringen, hatte ich die Nase voll. Hektischer und emotionsloser konnte man einen solchen Film kaum beginnen.

Von Richard Wagner nun einen Bogen zu schlagen zu Walen vor Alaska ist nahezu unmöglich, weshalb ich es auch gar nicht erst versuche…

Der Ruf der Wale

Ende der Achtziger Jahre: Der Kalte Krieg geht langsam zu Ende, Reagans zweite Amtszeit endet, und George Bush bewirbt sich als Präsident. Die Welt ist überschaubar und klar aufgeteilt. In Alaska, wo nie etwas passiert, werden drei Wale – Vater, Mutter, Kind – im Eis eingeschlossen, Adam (John Krasinski), ein Lokalreporter, macht eine Geschichte darüber, und seine Ex-Freundin und Greenpeace-Aktivistin Rachel (Drew Barrymoore) setzt die örtlichen Politiker unter Druck, um sie zu retten. Durch eine Kette glücklicher Zufälle geht der Beitrag landesweit auf Sendung, und bald sind die Tiere in aller Munde. Doch die Rettung gestaltet sich schwierig…

Jeder mag Wale, heißt es irgendwann zu Beginn des Films, und das erklärt vermutlich auch die Begeisterung für die kleine Familie, die im ewigen Eis eingeschlossen wurde und nicht ins Meer zurückkommt. Wie Rachel sich für sie einsetzt, sogar einen schmierigen Ölmulti (Ted Danson) für ihre Zwecke benutzt, ist von Drew Barrymoore großartig gespielt, doch all die menschlichen Schicksale treten in den Hintergrund. In erster Linie wird hier die Rettungsaktion geschildert, die sich genau so (oder so ähnlich) zugetragen hat, und die zeitgeschichtlichen Aufnahmen, die beim Abspann zu sehen sind, beweisen, dass die Umsetzung hervorragend geklappt hat. Immer wieder müssen die Akteure Rückschläge hinnehmen, denen eine Rettung in letzter Minute folgt, auch wenn am Ende nicht alles gut ausgeht.

Insgesamt ein schönes, nostalgisches Drama, solide inszeniert und gespielt, mit einigen anrührenden Bildern von den majestätischen Säugern. Ja, jeder liebt Wale…

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.