Wer ist nicht mit der Musik von Bob Dylan aufgewachsen? Manche Menschen sogar, ohne zu wissen, dass die Songs, die sie hören und lieben, ursprünglich aus seiner Feder stammen, gibt es doch zahllose Coverversionen seiner Hits. So ist es auch mir mit einigen Songs gegangen, und meine Enttäuschung war groß, als ich irgendwann einmal die Originale angehört habe. Tatsächlich mag ich bis heute Dylans nasale Stimme nicht besonders, auch wenn ich viele seiner Texte schätze. Ob er dafür einen Nobelpreis für Literatur verdient hat? Warum nicht? Hätten andere aber auch oder in sogar noch stärkerem Maß.
Like A Complete Unknown war einer der diesjährigen Oscarkandidaten, und Regisseur James Mangold, der mit Jay Cocks auch das Drehbuch dazu verfasst hat, konnte schon einmal mit einer Musikerbiografie – Walk the Line über Johnny Cash – überzeugen. Also bin ich brav ins Kino gepilgert, obwohl mich der Trailer nicht gerade umgehauen hat.

Like A Complete Unknown
Bob Dylan (Timothée Chalamet) trampt nach New York City, um sein Idol Woody Guthrie (Scott McNairy) im Krankenhaus zu besuchen, wo er seit langem dahinsiecht. Dort trifft er auf Pete Seeger (Edward Norton), einen weiteren berühmten Folksänger, der Dylan unter seine Fittiche nimmt und ihm erste Auftritte verschafft. Sein großes Talent beschert ihm bald einen Plattenvertrag, aber der ganz große Erfolg tritt erst ein, als er seine eigenen Texte vertonen darf.
Glücklicherweise konzentriert sich Mangold auf die Anfangsjahre Dylans, in denen er rasch zu großem Ruhm gelangte, sowie auf seinen Wandel vom Folk- zum Rockmusiker. Das liegt in erster Linie daran, dass die Grundlage für das Drehbuch das Sachbuch Dylan Goes Electric! von Elijah Wald ist. Bei Walk the Line hat Mangold noch einen breiteren Ansatz gewählt und sich vor allem auf die große Liebesgeschichte konzentriert. Hier muss er mit weniger auskommen, Dylan scheint außerdem ein recht bodenständiges Leben ohne Drogenexzesse und große Skandale geführt zu haben, was uns immerhin ein beliebtes Musikerklischee erspart. Dennoch handelt der Film auch von einer Liebesgeschichte – zwischen Dylan und Sylvie Russo (Elle Fanning).
Sylvie, die weitgehend ein fiktiver Charakter ist, aber von einer realen Lebensgefährtin Dylans inspiriert wurde, ist künstlerisch interessiert, vor allem aber politisch engagiert. Sie setzt sich für Bürgerrechtsorganisationen ein und schärft Dylans Blick auf die Welt. Mangold stellt sie als seine Muse dar, durch die der Musiker seine Stimme findet. Im Gegenzug betrügt Dylan sie bei erster Gelegenheit mit der berühmten Joan Baez (Monica Barbaro).
Dass Dylan so überaus unsympathisch geschildert wird, ist die eine Überraschung des Films, die andere ist, dass man trotzdem nicht das Interesse an ihm verliert. Mangolds Dylan ist ein richtiger Arsch, der Frauen heruntermacht und von seiner eigenen Größe und Bedeutung überzeugt ist. Mit seinem Ruhm wird es noch schlimmer, schließlich ist großer Erfolg dem menschlichen Charakter bekanntlich nur selten förderlich. Stellenweise kann man ihn gut verstehen, die Menschen bedrängen ihn, behandeln ihn wie einen Tanzbären oder dressierten Affen und wollen die immer gleichen Sachen von ihm hören, während er sich ständig selbst herausfordert und seine Grenzen erweitern möchte. Außerdem will er nicht den Erwartungen anderer entsprechen, weshalb er stets ein großes Geheimnis um sich macht.
Tatsächlich hat das Rätselhafte oder genauer gesagt, die bewusste Täuschung, in seiner Biografie durchaus Methode, diente es doch der Markenbildung. Dylan wusste von Anfang an, dass man bestimmte Erwartungen an ihn als Folksänger hatte, und bediente sie bewusst, indem er sich eine proletarische Herkunft andichtete, von mühseliger Arbeit auf dem Rummel und einem Vagabundenleben erzählte, was alles erfunden war. Das spiegelt sich auch in seinen ersten Songs wider, in denen die üblichen Topoi wie einsame Tramper und soziale Ungerechtigkeit auftauchen, die sich an seinen Vorbildern aus der Großen Depression wie Guthrie oder den Beatniks orientierten. Dylans Kunst und Genie liegt darin, sie poetisch zu verbrämen, ihnen Tiefe und Vielschichtigkeit zu verleihen und das Ganze eingängig zu instrumentieren.
Dylan hatte auch Glück. Guthrie und Seeger waren zwar musikalische Legenden, erreichten aber nie den Kultstatus und dieselbe Berühmtheit wie Dylan. Das war erst in den Sechzigern möglich, einer Zeit des Wandels, in der die Jugendkultur ihre endgültige Form annahm und eine neue Generation von den größeren gesellschaftlichen Freiheiten und vor allem ökonomischer Stabilität profizierten.
Like A Complete Unknown lebt in erster Linie von der tollen Musik, von der man mehr als genug zu hören bekommt. Natürlich fehlt kein Hit auf der Liste, auch andere Musiker wie Baez oder Johnny Cash (Boyd Holbrook) haben ihre Auftritte, aber zuvorderst ist dies eine One-Man-Show. Man vermisst dabei gar nicht mal so sehr die fehlenden Inhalte, die Konflikte, die sich nicht richtig entfalten oder eher akademischer Natur sind. Ob Dylan nun auf einem Folk-Festival elektrisch spielen darf, wie die Bewahrer der Asche verlangen, oder nicht, ist einem schnurz, solange man die grandiose Musik genießen kann.
Alles in allem ist Mangolds Film ziemlich unterhaltsam, ein wenig zu lang, mit viel Musik und wenig Inhalt und rundherum gefällig. Wie ein Bild in einer Zahnarztpraxis.
Note: 3