„I need a Hero”, röhrte Bonnie Tyler Mitte der Achtzigerjahre in einem scheußlichen, aber recht erfolgreichen Popsong, und inzwischen ist man bereit, mit einzustimmen. Unsere Welt verändert sich in einem rasenden Tempo und leider nicht zum Besseren. Zeit also für neue und alte Heldengeschichten. Oder so.
Die schöne neue Welt hat in den USA vor über einem Monat begonnen, und das Elend fühlt sich bereits jetzt endlos an. Irgendwie hat man gerade so überhaupt keine Lust auf dieses Amerika oder alles, was damit zusammenhängt. Was natürlich für einen Film mit einer Figur, die sich auf dieses Land bezieht wie keine zweite, schwierig ist. Wir sind trotzdem ins Kino gegangen, mit sehr gemischten Gefühlen, nicht so sehr wegen dem, was auf der anderen Seite des Teichs passiert, sondern weil die Kritiken so verhalten waren.
So ganz verstehe ich auch die Strategie von Disney nicht, in nur fünf Monaten vier Marvel-Produktionen rauszuhauen, anstatt sie gleichmäßiger über das Jahr zu verteilen. Vielleicht soll eine Überdosis der zunehmenden Superheldenmüdigkeit entgegenwirken, nach dem Motto: Viel hilft viel. Das kann funktionieren, muss es aber nicht. In naher Zukunft sind wir schlauer.

Captain America: Brave New World
General Thaddeus Ross (Harrison Ford) wird zum neuen US-Präsidenten gewählt und verfolgt das ehrgeizige Ziel, das neuentdeckte Metall Adamantium, das auf der Insel vorkommt, die aus dem Körper des Celestials Tiamut entstanden ist, für alle Nationen nutzbar zu machen. Doch ein unbekannter Gegenspieler versucht, dies zu verhindern, indem er ein Attentat auf Ross verübt und einen Krieg zwischen den USA und Japan anzuzetteln versucht, und nur der neue Captain America (Anthony Mackie) kann ihn noch aufhalten.
In der Vergangenheit hat Disney auf seinem hauseigenen Streamingdienst in der Reihe Marvel Studio: Legends seine Helden ausführlich vorgestellt und ihre bisherigen Abenteuer zusammengefasst, so dass man vor dem Start eines neuen Films wieder up to date war. Leider gibt es jedoch kein Update zum ehemaligen Falcon und dem neuen Captain America. Und wer die Serie The Falcon and the Winter Soldier, in der diese Verwandlung thematisiert wurde, nicht gesehen hat, hat sowieso schlechte Karten.
Aber auch Zuschauer mit einem notorisch schlechten Gedächtnis (so wie ich), die die Serie gesehen aber manche Details vergessen haben, sitzen mitunter etwas ratlos im Kino. Das beginnt schon bei der Erwähnung von „Celestial Island“, bei der man erst, wenn man die Hand aus dem Meer ragen sieht, an Eternals und die von ihnen im Stadium des Schlüpfens getötete „Planetenraupe“ denkt, und geht dann munter weiter. Abomination? Ja, da war mal irgendwas mit Hulk und She-Hulk. Und wer ist noch mal dieser Mann, der aussieht wie ein vergammelter Blumenkohl?
Die fünf Drehbuchautoren, zu denen noch vier weitere gehören, deren Material es nicht in die endgültige Fassung geschafft hat, haben eine Patchwork-Decke geschaffen, die sich noch vor ihrer Vollendung an den Nähten aufzulösen beginnt. Zum Glück ist die Story in ihrem Kern relativ simpel und beschränkt sich auf einen Gegenspieler (der Blumenkohl), der es aus halbwegs nachvollziehbaren Gründen (die irgendwas mit Hulk, Abomination und Gammastrahlung zu tun haben, aber letzten Endes durch den Wunsch nach Rache motiviert sind) auf Ross abgesehen hat. Captain America muss den Übeltäter zur Strecke bringen, Ross entdeckt ein großes Geheimnis, das bereits im Trailer enthüllt wurde, und dabei geht einiges zu Bruch.
Nichts Neues unter der Marvel-Sonne, aber das erwartet auch keiner. Wie immer kommt es darauf an, wie diese Geschichte erzählt wird, und das ist – leider – ziemlich schwach. Die Actionszenen sehen teilweise nach Fernsehen aus, die Effekte auch, und manche Dialoge sind so schlecht, dass sich selbst eine KI dafür schämen würde. Weil irgendeiner der Autoren das erkannt hat, wollte er es vermutlich mit Humor retten, was den Fremdschämfaktor aber noch weiter erhöht hat. Und in den Szenen zwischen den Kloppereien herrscht gähnende Langeweile.
Neben der unnötig verworrenen Handlung liegt die Schuld vor allem beim Gegenspieler, der nicht nur aussieht wie ein Schurke aus einem B-Movie der Fünfzigerjahre, sondern der auch noch so agiert und sich, obwohl ein Superhirn, dabei auch noch reichlich dämlich anstellt. Selbst ohne die Logikfehler und Plotlöcher im Drehbuch, die die Größe eines Celestials haben, wäre sein Modus Operandi der Gedankenkontrolle noch eine blöde Idee.
Am gelungensten ist noch der Auftritt von Isaiah Bradley (Carl Lumbly), dem ehemaligen Super-Soldaten, der unschuldig dreißig Jahre im Gefängnis saß und nun wieder in Verdacht gerät, ein Bösewicht zu sein. Am nervigsten ist der neue Falcon Joaquin Torres (Danny Ramirez), der anscheinend vergessen hat, seine ADHS-Medikamente einzunehmen, und Bucky Barnes (Sebastian Stan) scheint bei seinem Auftritt nur an seinen Gehaltsscheck gedacht zu haben.
Captain America: Brave New World ist ein schlecht geschriebenes, schwach inszeniertes und unterfinanziertes Abenteuer, das schnell wieder vergessen ist. Gebraucht wird es vermutlich nur, um Adamantium in das Marvel-Universum einzuführen, jenes superharte Metall, das Wolverine erst zu dem macht, was er ist oder demnächst wieder werden wird oder in einem Paralleluniversum hätte gewesen sein können. Mit Barnes Auftritt wirft der Anfang Mai bei uns startende Thunderbolts* bereits seinen Schatten voraus, und möglicherweise tragen seine Helden nicht zufällig den Spitznamen von Ross alias Red Hulk. Ansonsten soll Captain America die Avengers neu aufbauen, und in der Post-Credit-Szene gibt es noch ein wenig Geraune über bevorstehende Gefahren für die Truppe. Es geht also endlich in eine neue Richtung, fragt sich nur, ob das Studio sich mit solch schwachen Filmen dabei nicht selbst ein Bein stellt.
Note: 4-