Nosferatu – Der Untote

Der übermäßige Erfolg des Films hat mich erstaunt, überhaupt kann man zurzeit das Publikumsverhalten nur sehr schwer einschätzen, Filme, die so gefällig sind, dass man davon überzeugt ist, sie werden Hits, floppen, während eher sperrige Arthausproduktionen plötzlich groß rauskommen. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach etwas Anderem, nach einer neuen Form des Erzählens mit ausdrucksstarken Bildern und ungewohnten Perspektiven auf unsere Welt. Vielleicht auch nur eine besonders effektive Medienkampagne.

Einige Tage, bevor ich den Film gesehen habe, habe ich zufällig ein Gespräch zwischen zwei jungen Leuten mit angehört, die hinter mir gingen und über Nosferatu gesprochen haben. Einer meinte, er sei „bildtechnisch und schauspielerisch brillant, hat aber so viele Längen. Es ist halt nicht Dracula“. An dieser Stelle musste ich leise lachen, denn natürlich ist es Dracula. Auch im Abspann steht, dass er von Bram Stokers Roman inspiriert wurde.

Tatsächlich konnten oder wollten die Produzenten von Murnaus Nosferatu – Symphonie des Schreckens die Rechte an dem Werk nicht erwerben, weshalb sie die Namen und Orte sowie ein paar Details der Geschichte veränderten. Es half nichts, sie wurden trotzdem von Stokers Witwe verklagt, und das Gericht ordnete an, den Film, der aufgrund eines Ufa-Boykotts ein Misserfolg geworden war, zu vernichten. Zum Glück überlebten genügend Kopien, wenn auch in unterschiedlichen Schnittfassungen, um ihn später wiederherzustellen.

Als Robert Eggers vor einiger Zeit ein Remake von Nosferatu ankündigte, hielt sich meine Begeisterung deutlich in Grenzen. Dracula-Adaptionen gibt es nun wahrlich genug, und auch Murnaus Meisterwerk wurden bereits neu verfilmt. Aber wenn einer ein Händchen dafür hat, dann vermutlich Eggers, also habe ich dem Film eine Chance gegeben.

Nosferatu – Der Untote

Als junges Mädchen ruft Ellen (Lily-Rose Depp) übernatürliche Mächte an und erweckt dabei in einer unbewussten nekromantischen Beschwörung den Vampir Nosferatu (Bill Skarsgård) im fernen Transsilvanien. Die beiden gehen eine psychosexuelle Verbindung an, die erst mit Ellens Heirat mit Thomas (Nicholas Holt) endet. Um wieder Macht über Ellen zu erlangen, kontaktiert Nosferatu als Graf Orlok den Makler Knock (Simon McBurney), der ihm ein Haus in der Nähe der Frau verkaufen soll. Dieser schickt Thomas daraufhin nach Rumänien, um den Vertrag zu besiegeln.

Robert Eggers hat bei seiner Neuverfilmung den Untertitel geändert und sich dabei klar auf Stoker berufen, der van Helsing den Namen Nosferatu benutzen lässt und ihn als Untoten bezeichnet, was jedoch auf einen Übersetzungsfehler bzw. einer falschen Annahme beruht. Die genaue etymologische Herkunft des Begriffs ist nicht ganz klar, eine Übersetzung legt jedoch nahe, dass Nosferatu eher „der nicht zu Ertragende“ bedeutet, was ziemlich passend wäre. Möglicherweise wollte Eggers mit dieser Titeländerung klar machen, dass dies kein genaues Remake ist, sondern seine eigene Interpretation von Stokers Roman, mit einer Referenz an Murnau.

Tatsächlich hält sich Eggers in seinem Drehbuch stark an die Vorlage von Henrik Galeen und folgt den einzelnen Stationen seiner Geschichte. Galeens geschicktester Einfall war bekanntlich, die Pest mit Nosferatu in Verbindung zu bringen und damit den Vampir von einem blutsaugenden Räuber in eine Tod und Verderben bringende Naturgewalt zu verwandeln, einen Zerstörer der Menschheit. Ein Motiv, das beispielsweise auch die Serie The Strain aufgegriffen und in unsere Moderne übertragen hat.

Die größten Änderungen betreffen vor allem die Figuren. Nosferatus Erscheinungsbild ist völlig anders und weniger grotesk, es erinnert nun stärker an slawische Stammesführer und wirkt insgesamt düsterer. Willem Dafoes Figur des Schweizer Gelehrten, die stark an van Helsing angelehnt ist, ist eine Neuinterpretation des Professors, der bei Murnau die Seuche bekämpft. Interessanterweise hat Dafoe in Shadow of the Vampire über die Dreharbeiten zu Murnaus Film dessen Hauptdarsteller Max Schreck verkörpert, der sich als echter Vampir entpuppt.

Die Figur, die sich am stärksten verändert hat, ist Ellen. Auch bei Murnau ist nur sie in der Lage, den Vampir aufzuhalten, indem sie sich ihm aus freien Stücken hingibt, aber sie sollte dafür reinen Herzens sein. Das klassische Jungfrauenopfer also. Eggers hingegen legt Ellen als ambivalente Frau mit sexuellen Bedürfnissen an, die sie anfangs in ihrer Beziehung mit Nosferatu befriedigt, bis sie sich in Thomas verliebt. Am Ende muss sie aber ihre Dunkelheit und Sündhaftigkeit als Teil ihres Wesens akzeptieren und zulassen, um schlussendlich darüber zu triumphieren. Das ist einerseits ein modernerer Ansatz, der aber dennoch den märchenhaften Charakter der Erzählung beibehält, andererseits diskreditiert Eggers damit jedoch das weibliche Lustempfinden als unheilbringend. Wie bei Eva im Paradies bringt Ellens Neugier nur Tod und Elend über die Welt. Damit wird der sexuelle Appetit der Frau als sündhaft gebrandmarkt, es sei denn, er wird durch die Ehe reglementiert, was gut ins 19. Jahrhundert passt, aber nicht so sehr in unsere Zeit. Insgesamt gibt das dem Film ein Geschmäckle.

Nichtsdestotrotz ist Ellen die interessanteste Figur, auf die Eggers sich ruhig stärker hätte fokussieren können. Die Geschichte einer Frau, die ihrem natürlichen Verlangen nachgibt und dadurch ungewollt eine Kraft heraufbeschwört, die sie nicht mehr eindämmen kann, setzt einen spannenden Kontrapunkt zum männlichen Machtstreben. Alle Darsteller sind sehr überzeugend, leiden aber unter einem Drehbuch, das ihnen bisweilen allzu umständliche Dialoge in den Mund legt. Vor allem Willem Dafoe rennt wie ein enthemmter Erklärbär durch die Szenerie, um das Wesen Nosferatus zu ergründen und ein Regelwerk zu etablieren, das jeder geschulte Horrorfilmfan bereits kennt.

Nicht nur bei diesen Szenen, sondern auch insgesamt hätte Eggers einiges kürzen können, denn sein Film besitzt zahlreiche Längen und ein Tempo, das vom Zuschauer einiges an Geduld erfordert. Viel wäre gewonnen worden, hätte er auf einige seiner langsamen Schwenks verzichtet und stattdessen geschnitten. Sein Film ist rund vierzig Minuten länger als Murnaus und dadurch leider nicht spannender. Er lebt aber, wie sein Vorgänger, von einer düsteren und beklemmenden Atmosphäre und einer einfallsreichen Regie. Die Kamera von Jarin Blaschke hätte definitiv den Oscar verdient gehabt.

Insgesamt ist Nosferatu – Der Untote ein sehenswerter, bildgewaltiger und beeindruckender, aber streng genommen auch überflüssiger Film, weil er nichts zur altbekannten, ohnehin viel zu oft erzählten Story von Stoker hinzufügt.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.