Wenn ich mir unser Land und die Welt gerade ansehe, frage ich mich, ob wir in den vergangenen Jahrzehnten zu viele oder eher zu wenige Filme, Serien und Dokus über den Holocaust produziert haben. Falls es zu viele waren, könnte es beim Publikum zu einem Überdruss geführt haben, dann will man von der schwierigen Vergangenheit nichts mehr sehen oder hören. Waren es zu wenige, würde es einige Probleme erklären, die wir zurzeit haben. Vielleicht haben aber auch nur die falschen Leute diese Produktionen gesehen, nämlich jene, die ohnehin politisch aufgeklärt durchs Leben gehen, während die, die diese Form der Aufklärung gebraucht hätten, sich erfolgreich wegducken konnten.
Ich habe es lange aufgeschoben, diesen Film zu sehen, nicht so sehr wegen des Themas, sondern vor allem wegen seiner Machart. Grundsätzlich bin ich kein großer Fan von semi-dokumentarischen oder experimentellen Filmen, und der Trailer hat mir auch nicht besonders gefallen. Aber am Tag nach der Bundestagswahl schien mir der Zeitpunkt, diese Produktion nachzuholen, passend zu sein.
Der Beitrag hätte schon vergangene Woche erscheinen sollen, was aber aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht möglich war. Hoffen wir, dass nun wieder alles in Ordnung ist.

The Zone of Interest
Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß (Christian Friedel) und seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) führen mit ihren Kindern ein beschauliches Leben direkt neben dem KZ. Während sie picknicken, mit den Kindern im Garten spielen oder Geburtstag feiern, hört man immer wieder Schreie und Schüsse von jenseits der hohen Mauern. Als Höß versetzt werden soll, entscheidet sich Hedwig, mit den Kindern im Haus zu bleiben, während ihr Mann nach Berlin geht.
Hannah Arendt prägte den Begriff von der „Banalität des Bösen“, der einigermaßen umstritten war, weil manche Kritiker annahmen, er reduziere die Schrecken der Nazis auf eine Alltäglichkeit. Tatsächlich ist vielmehr die Gedankenlosigkeit der Täter und Mitläufer gemeint, die nicht einmal die Nazi-Ideologie teilen mussten, um schuldig zu werden, sondern einfach nur ihren Job im Staatsapparat machten, den sie jederzeit hätten aufgeben können. Die Nazis wiederum haben es ihren Helfern und Vollstreckern einfacher gemacht, indem sie eine Sprache wählten, die den Horror ihrer Taten verschleierte und durch Verharmlosung dazu beitrug, das Gewissen zu beruhigen.
In einer frühen Szene des Films trifft sich beispielsweise Höß mit Vertretern der Firma, die Verbrennungsöfen für das Krematorium herstellt, und die Verkäufer preisen ihr neuestes, speziell für die Bedürfnisse des Vernichtungslagers ausgerichtetes Modell. Dabei fällt niemals das Wort „Leiche“, sondern es wird immer von der „Ladung“ gesprochen, als handelte es sich um Holz oder Briketts. Auf diese Weise konnten alle Beteiligten ignorieren, dass sie mithelfen, eine Maschinerie des Tötens aufzubauen.
Regisseur und Autor Jonathan Glazer erzählt in The Zone of Interest, benannt nach dem „Interessengebiet“, wie das Areal rund um das KZ genannt wurde, keine Geschichte, sondern beleuchtet semi-dokumentarisch das Alltagsleben der Familie Höß. Über die schlichten, leicht verwaschenen Bilder legt er jedoch eine Tonspur, die ihre vermeintliche Harmlosigkeit Lüge strafen. Man hört nicht nur vereinzelte Schreie und Schüsse, sondern immer wieder auch ein maschinelles Grundrauschen, ein Stampfen oder Brummen wie von Motoren, was einen unwillkürlich an den industriellen Charakter der Vernichtungsmaschinerie denken lässt, der die Taten der Nazis so einzigartig macht.
Die Kamera wahrt dabei immer einen gewissen Abstand, man soll den Figuren nie nahekommen, vor allem nicht emotional. Das ist klug durchdacht, führt aber bisweilen zu Problemen: Details sind schlecht zu erkennen, etwa erahnt man bestenfalls nur, was Höß einmal im Fluss findet (laut Wikipedia einen menschlichen Kieferknochen), woraufhin er seine Kinder erschrocken nach Hause bringt, wo ihnen die Asche der Toten vom Körper geschrubbt wird. Im Gesamtzusammenhang wird später einiges deutlich, aber in manchen Szenen bleibt der Zuschauer zunächst ratlos zurück.
Glazer zeigt keine Verbrechen, er lässt sie bestenfalls über den Ton erahnen, nimmt, wie gesagt, Abstand zu den Details. Sein Interesse gilt vor allem der Familie Höß, dem Kommandanten, der geflissentlich seinen Job macht und abends mit der Frau Urlaubspläne schmiedet, vor allem aber Hedwig. Die Geschichte basiert lose auf Martin Amis‘ Roman Interessengebiet, der viel breiter erzählt und auch von KZ-Insassen handelt, aber auch von einer Liebelei zwischen Hedwig und einem Offizier ihres Mannes.
The Zone of Interest seziert die Psyche der Nazi-Täter, zeigt mit klinischem Blick ihre Empathie- und Gedankenlosigkeit, mit der sie ihren Alltagsgeschäften nachkommen, während um sie herum Menschen leiden und getötet werden. Das Vorlesen einer Gute-Nacht-Geschichte bekommt somit den gleichen Stellenwert wie das Anprobieren eines gestohlenen Pelzmantels oder das Abwaschen der Asche von den Körpern der Kinder. Mit derselben emotionslosen Distanz werden aber auch Akte des Widerstands geschildert sowie die Arbeit der heutigen Museumsmitarbeiter im KZ Auschwitz. Das ist etwas zu vereinfacht erzählt, so als seien wir alle nur willenlose Schauspieler in einem Stück ohne emotionale Bedeutung.
Note: 3+