Der Graf von Monte Christo

Dieser Roman des Vielschreibers Alexandre Dumas, der große Teile seines rund sechshundert Titel umfassenden Oeuvres übrigens in einer „Schreibfabrik“ von fleißigen Lohnschreibern verfassen ließ, gehört zu den beliebtesten Stoffen der Literaturgeschichte und wurde bereits über zwei Dutzend Mal verfilmt, allein siebenmal zwischen 1908 und 1929. Einige erinnern sich vielleicht an den Klassiker mit Jean Marais von 1954 oder die Version mit Richard Chamberlain, die zwanzig Jahre später entstand, oder den Film mit James Caviezel von 2002. Es gab auch einige Fernsehserien und modernde, freiere Adaptionen. Vermutlich kennt jeder die Geschichte.

In Frankreich hat die jüngste Version Besucherrekorde aufgestellt und sogar die bisher erfolgreichste Version von 1954 überholt, wurde aber mit sagenhaften 9,5 Millionen Besucher „nur“ der zweiterfolgreichste Film des letzten Jahres. Glückliches Frankreich. Auch bei uns läuft er, in deutlich bescheidenerem Rahmen, nicht schlecht. Dem Publikum gefällt er, und als Fan historischer Stoffe war er daher ein Muss für mich.

Der Graf von Monte Christo

1815, kurz nach der Verbannung Napoleons, rettet Edmond Dantès in einem Sturm die schiffbrüchige Angèle (Adéle Simphal) vor dem Ertrinken, obwohl es ihm sein Kapitän Danglars (Patrick Mille) verboten hat. Doch der Reeder Morrel (Joachim Simon) ist von dieser Heldentat so beeindruckt, dass er Danglars entlässt und stattdessen Dantès zum Kapitän befördert. In dieser Position ist es dem jungen Mann endlich möglich, seine große Liebe Mercédès zu heiraten, die aus einer wohlhabenden Familie stammt. Am Tag der Hochzeit wird Dantès jedoch verhaftet, weil Danglars ihn als napoleonischen Agenten angeschwärzt und ihm einen Brief des Kaisers, den er bei Angèle gefunden hat, untergeschoben hat. Der Staatsanwalt Villefort (Laurent Lafitte) ist zwar von Dantès‘ Unschuld überzeugt, doch Angèle ist seine Schwester und ihre Verurteilung würde seine Karriere ruinieren, daher verbündet er sich mit Danglars, und auch Mercédès‘ Cousin Fernand, der die Frau ebenfalls liebt, beteiligt sich daran.

Dantès landet in einem berüchtigten Inselgefängnis, wo er nach Jahren der Isolationshaft auf den geheimnisvollen Abbé Faria (Pierfrancesco Favino) trifft, der versucht, sich einen Weg in die Freiheit zu graben. Die beiden verbünden sich, und Faria bringt ihm nicht nur all sein Wissen bei, sondern erzählt ihm auch von einem gewaltigen Schatz, der auf der Insel Monte Christo schlummert. Mit diesem will Dantès sich an den Männern rächen, die sein Leben zerstört haben.

Rache ist ein sehr starkes Motiv, das beim Publikum starke Sympathien weckt, schließlich musste der unschuldige Held zuvor einiges erleiden. Dantés selbst sieht sich als Vollstrecker göttlicher Gerechtigkeit, wobei er sich bequemerweise auf das Alte Testament beruft und nicht auf die Lehren Jesu, der bekanntlich gepredigt hat, seine Feinde zu lieben und ihnen zu vergeben. Aber das wäre dann eine weitaus weniger spannende und dramatische Geschichte geworden. Also heißt das Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Der Roman von Dumas ist ein dicker Wälzer mit zahllosen, handelnden Figuren, vielen Nebengeschichten und komplexen Intrigen. Allein das Zustandekommen der Verschwörung gegen Dantés, die Motive seiner Gegner und ihre Vorgehensweise ist relativ umständlich. Man kann daher verstehen, dass die Dumas-Fans Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière, die das Drehbuch geschrieben und diesmal sogar Regie geführt haben, sich nicht sklavisch an die Vorlage gehalten haben. Angèle ist beispielsweise ihre Erfindung, um Villeforts Verbindung zu einem Agenten Napoleons zu erklären (im Roman ist es ein an seinen Vater adressierter Brief), was sich aber als Glücksgriff entpuppt, denn auf diese Weise bekommt der Film einen überaus spannenden und dramatischen Anfang. Insgesamt gelingt es den Autoren sehr gut, den ausufernden Stoff auf das Wesentliche zu reduzieren und die komplexen Verbindungen der Figuren zueinander zu vereinfachen.

Weil man die Geschichte so gut kennt, zumindest ihren Kern, erscheinen in vielen Verfilmungen die Jahre auf der Gefängnisinsel und die Flucht etwas langweilig. Es passiert dort nicht übermäßig viel, der Knastalltag ist bekanntlich immer gleich und die Freundschaft mit dem Abbé schnell etabliert. Auch hier wird viel gestrafft und einiges ausgelassen, was der Story mehr Tempo verleiht. So ist der erste Teil, der von Dantés‘ Aufstieg und Fall, seiner Haft und Flucht erzählt, temporeich und spannend.

Das Beste an Der Graf von Monte Christo ist ohnehin die Rache an seinen Feinden, und auch hier enttäuscht der Film zunächst nicht. Dantès findet die dunklen Machenschaften seiner Gegner heraus und verbündet sich mit weiteren Opfern der Männer. Dazu zählen Andréa (Julien De Saint Jean), ein unehelicher Sohn Villeforts, und Haydée (Anamaria Vartolomei), die von Fernand während eines Feldzugs im Osmanischen Reich in die Sklaverei verkauft wurde. Sie soll Albert (Vassili Schneider) verführen und zugrunde richten, den Sohn von Fernand und Mercédès.

Erstaunlicherweise ist ausgerechnet die Racheerzählung am schlechtesten gelungen. Danglars‘ und Villeforts Untergang erfolgen nahezu zeitgleich und so unspektakulär und schnell, dass man schon ein wenig enttäuscht ist. Immerhin gibt es als Ausgleich zuvor eine bemerkenswerte Szene, in der Dantès die Verschwörer mit seinem Wissen um ihre Verfehlungen in Angst und Schrecken versetzt. Sie ist das Beste am ganzen Film.

Dennoch ist es enttäuschend, dass die Autoren und Regisseure sich so wenig mit der Psychologie der Figuren auseinandergesetzt haben. Obwohl es um starke Gefühle geht, Liebe, Hass und Rache, wirken viele Figuren wie sediert, und auch ihre Aktionen scheinen oft eher vom Intellekt als vom Gefühl motiviert zu sein. Das gilt vor allem für Andréa, dem die Macher ein zwar dramatisches Ende andichten, das weit von der Vorlage abweicht, das dann aber leider aufgrund fehlender psychologischer Vorarbeit emotional verpufft.

Zum Glück wiederholen sie denselben Fehler nicht bei Haydée, die eine bemerkenswerte Wandlung durchmacht, die auch gut erzählt wird. Dieselbe Sorgfalt hätte man sich auch bei den anderen Handlungssträngen gewünscht. Was überdies fehlt, ist das eher versöhnliche Ende aus dem Roman, das tatsächlich von Einsicht und Vergebung handelt, hier aber ausbleibt.

Alles in allem ist die jüngste Version der altbekannten Geschichte ein opulentes, farbenprächtiges und effektgeladenes Epos, das vieles richtig macht und nur wenig falsch. Die Darsteller sind gut, die Musik mitreißend, die Kostüme prachtvoll, und auch wenn man die Story bereits zur Genüge kennt, wird man fast drei Stunden lang gut unterhalten.

Note: 3+

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.