Es wird seit Jahren immer schwieriger, Filme zu finden, die einen wirklich interessieren, geschweige denn begeistern. Vielleicht hat sich mein Geschmack gewandelt, vielleicht habe ich inzwischen zu viele Filme gesehen und bin mit zu vielen Plotmustern vertraut, vielleicht hat das Fernsehen bzw. Streaming in den letzten Jahren einfach die besseren Geschichten erzählt (wobei ich denke, dass das „goldene Zeitalter des Fernsehens“ bereits vorbei ist, aber das ist ein anderes Thema).
Wenn man schon im Kino und auf den Streamingplattformen wenig findet, worauf man Lust hat, wendet sich der Blick gerne in die Vergangenheit. Ich suche immer wieder nach alten Filmen, die ich noch einmal sehen möchte, und manchmal mache ich dabei eine ungewöhnliche Entdeckung. Vor einiger Zeit habe ich, eher durch Zufall, eine alte Hollywood-Komödie bei Arte aufgenommen, von der ich noch nie gehört hatte, in der aber Gary Grant und Katherine Hepburn die Hauptrollen spielten. Grund genug, dem Film eine Chance zu geben, noch dazu, als ich entdeckte, dass er im selben Jahr gedreht wurde wie die legendäre Komödie Leoparden küsst man nicht, in denen die beiden brillierten. Da ich noch nichts von dem Film gehört hatte, waren meine Erwartungen nicht sehr hoch, was immer eine gute Voraussetzung für eine Überraschung ist.
Die Schwester der Braut
Johnny Case (Gary Grant) ist ein aufstrebender New Yorker Manager, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt und sich daher zum ersten Mal einen Urlaub gegönnt hat. Dort hat er Julia Seton (Doris Nolan) kennengelernt und sich sofort in sie verliebt. Die beiden wollen so schnell wie möglich heiraten, und zu dem Zweck sucht er ihre Familie auf – um dort zu erfahren, dass sie die Tochter eines der reichsten Männer der USA ist. Edward Seton (Henry Kolker) ist zunächst gegen diese Verbindung, erkennt aber Johnnys Geschäftssinn und billigt daher die Verbindung. Er bietet ihm sogar einen Job in seiner Bank an. Doch Johnny hat andere Pläne: Mit dem frisch verdienten Geld will er sich eine Auszeit gönnen, das Leben genießen und herausfinden, wer er eigentlich ist. Dieses exzentrische Verhalten stößt auf die Missbilligung von Julia, doch deren unkonventionelle Schwester Linda (Katherine Hepburn) ist von seiner Idee höchst angetan – und von dem attraktiven Mann auch.
1938 galt Katherine Hepburn bereits als Kassengift, weshalb sie einen Imagewechsel anstrebte und gleich zwei Komödien an der Seite von Gary Grant drehte. Leider waren beide keine Kassenhits, und ihr Comeback sollte noch zwei Jahre lang auf sich warten. Der erste Film, Leoparden küsst man nicht, ist wohl die bekannteste Screwball-Comedy der Filmgeschichte und eine der besten Komödien überhaupt. Der zweite Film, Die Schwester der Braut, ist ein Remake und die Adaption eines Bühnenstücks, das 1928 uraufgeführt wurde und in dem die damals noch unbekannte Hepburn als Zweitbesetzung denselben Part verkörpern durfte (allerdings nur an einem einzigen Abend).
Man kann verstehen, dass Die Schwester der Braut kein großer Erfolg war, die Geschichte ist sehr vorhersehbar und verglichen mit Leoparden küsst man nicht fehlen ihr die großen, witzigen Momente. Viele Filmhistoriker glauben zudem, dass die Story über reiche Menschen, die eine Auszeit planen, um sich dem Müßiggang hinzugeben, nicht so recht in die Zeit der Großen Depression passte. Das mag sein, gleichwohl ist der Film eine kluge, tiefgründige Gesellschaftssatire.
Donald Ogden Stewart und Sidney Buchman haben das Bühnenstück von Philip Barry gehörig aufpoliert und ein Drehbuch abgeliefert, das in manchen Bereichen seiner Zeit weit voraus war. Schon wenige Jahre später wäre eine solche Geschichte nicht mehr möglich gewesen, und Anfang der Fünfzigerjahre standen beide Autoren sogar auf der schwarzen Liste und durften nicht mehr arbeiten.
Philip Barry hat in seinen Stücken häufig die bessere Gesellschaft und das Streben nach Reichtum kritisiert. Hier wird daraus die Geschichte einer mächtigen Familie, die ihren Wohlstand dem Großvater, einem skrupellosen Räuberbaron, zu verdanken hat. Seine Machenschaften werden jedoch nur angedeutet und mit dem „Diebstahl einer Eisenbahn“ amüsant kommentiert. Als Vertreter der nächsten Generation ist Edward ein etabliertes Mitglied der Gesellschaft und versucht, seine Macht und seinen Einfluss zu wahren. Linda, Johnny und seine Freunde erscheinen ihm wie eine unbekannte, subversive und unheilvolle Macht, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Ähnlich wie im heutigen Kulturkampf stehen sich Konservative, die harte Arbeit, strenge Moral und patriarchalische Strukturen fordern, und Liberale, die sich für Individualismus, freiheitliches Denken und Selbstverwirklichung einsetzen, unversöhnlich gegenüber. In einer Szene wird es sogar politisch, wenn die snobistischen Verwandten von der liberalen Clique mit dem Hitlergruß empfangen werden.
Edwards drei Kinder verkörpern die Gegensätze dieser zerrissenen Gesellschaft: Julia ist angepasst, konventionell und langweilig, Linda aufgeweckt, unkonventionell und rebellisch. Dazwischen steht ihr Bruder Ned (Lewis Ayres), der wie Linda denkt, sich aber von seinem Vater in die Zwänge gesellschaftlicher Erwartungen pressen lässt und sein Leid im Alkohol ertränkt. Sein brillanter Monolog über die Wirkung von Alkohol und seinem absichtsvollen Missbrauch, fasst das ganze Elend dieser Figur zusammen, die ihr künstlerisches Talent auf dem Altar des Mammon opfern musste. Tatsächlich sagt Linda auch, dass Geld der einzige Gott ist, der in diesem Haus verehrt werde.
Zur unverhohlenen Kapitalismuskritik gesellt sich schließlich noch Johnnys Philosophie, sich nach dem ersten Erfolg eine Auszeit zu nehmen, um das Leben zu genießen, solange man jung ist, und herauszufinden, wer man ist und was man eigentlich will. Diese Haltung ist so unkonventionell, dass sie besser in die Sechzigerjahre passen würde. Gary Grant verkörpert den Freigeist Johnny, der zwar ein Talent für Geschäfte, aber dem puritanischen Geist des Geldverdienens abgeschworen hat, auf so erfrischende und leidenschaftliche Weise, dass er praktisch jedem die Show stiehlt. Er stellt dabei sogar sein akrobatisches Können unter Beweis, das er sich in den Anfängen seiner Karriere bei einer Varieté-Gruppe in England angeeignet hat.
Regisseur George Cukor hat die Dreharbeiten als ein großes Vergnügen bezeichnet, und die Spielfreude sieht man seinem Ensemble in fast allen Szenen an. Vor allem zwei Nebenfiguren, Freunde von Johnny, sorgen dabei für den dringend benötigten Humor und liefern einige herrlich trockene Kommentare ab. Edward Everett Horton verkörperte, nebenbei bemerkt, diesen Part bereits in der ersten Adaption des Stücks von 1930, und liefert hier eine der besten Darstellungen seiner Karriere ab.
Auf den ersten Blick ist Die Schwester der Braut eine typische romantische Screwball-Comedy dieser Zeit, in der man bereits nach zehn Minuten weiß, wie sie ausgeht. Verglichen mit anderen Filmen dieses Genres ist sie stellenweise auch etwas langsam (aber immer noch temporeicher als viele heutige Komödien) und weniger witzig. Es fehlen vor allem die typischen Slapstick-Momente. Auch der kammerspielartige Charakter der Inszenierung wirkt etwas altbacken (was sie erstaunlicherweise mit den meisten heutigen deutschen Komödien gemein hat). Doch die Geschichte besticht durch exzellente Darsteller, eine nahezu perfekte Psychologie der Figuren und beißende Gesellschaftskritik, und ihre Thematik besitzt auch heute noch Aktualität und Relevanz.
Note: 2
Übrigens: Katherine Hepburns Comeback war ebenfalls an der Seite von Gary Grant, in einer weiteren Adaption des Dramatikers Philip Barry und unter der Regie von George Cukor: Die Nacht vor der Hochzeit.