Bilde ich es mir nur ein oder gibt es gerade tatsächlich eine Flut von Bio-Pics? Oppenheimer und Napoleon waren wohl die bekanntesten in letzter Zeit, aber es gab auch noch die Lebensgeschichten von z.B. George Foreman, Lee Miller oder Jeanne du Barry (der Beitrag dazu folgt morgen) im Kino zu sehen, ganz zu schweigen von den vielen, von wahren Ereignissen und Personen inspirierten Geschichten.
Aber auch ein Bio-Pic ist nur so gut wie das dramatische Potential, das die Lebensgeschichte bietet, und das ist leider nicht immer gegeben. Es ist beispielsweise nahezu unmöglich, kein Fan von Aretha Franklin zu sein und einige ihrer Songs auf einer Playlist zu haben, das bedeutet aber nicht automatisch, dass man unbedingt einen Film über ihr Leben sehen muss. Nun gibt es ihn aber, und ich habe ihn mir, ein wenig widerstrebend wegen seines uninspirierten Trailers, angesehen.

Respect
Schon als kleines Mädchen wurde Aretha (Jennifer Hudson) von ihrem Vater (Forest Whitaker) zum Singen ermutigt, und später tritt sie in seiner Kirche als Solistin auf. Da ihr Vater ein enger Freund von Martin Luther King (Gilbert Glenn Brown) ist, engagiert sie sich auch leidenschaftlich für die Bürgerrechtsbewegung. Als junge Erwachsene versucht sie ihr Glück schließlich bei einem großen Label in New York, bringt mehrere Alben heraus, hat aber lange Zeit keinen riesigen Erfolg.
Der Film von Liesl Tommy beginnt ganz konventionell mit der Kindheit Arethas, die sie in einem wohlhabenden Elternhaus verbracht hat, was angesichts ihrer afroamerikanischen Herkunft nicht selbstverständlich ist. Aretha wächst sehr privilegiert auf und wird dank der zahlreichen Musiker in der Familie auch von Kindesbeinen an gefördert, vor allem von ihrer geliebten Mutter (Audra McDonald), die allerdings seit der Scheidung nur ein eingeschränktes Sorgerecht besitzt und früh verstirbt.
Neben diesem Schicksalsschlag muss Aretha noch weitaus Entsetzlicheres erdulden, denn sie wird im Kindesalter wiederholt von einem Verwandten oder Freund des Vaters vergewaltigt und bereits mit zwölf Jahren schwanger. Mit vierzehn bekommt sie dann ihr zweites Kind. Was diese Tatsache aber geradezu unerträglich macht, ist, dass anscheinend nicht darüber geredet wird. Aretha ist völlig allein und lange Zeit sprachlos, sie scheint den Missbrauch sogar so verinnerlicht zu haben, dass er für sie zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.
Leider ist die Regie an dieser Stelle ungeheuer zurückhaltend, so als müsste der Zuschauer geschont werden, als könnte man ihm die Wahrheit nicht zumuten. Man wundert sich darüber, dass Aretha – nach einem Zeitsprung – plötzlich schon so große Kinder hat, erfährt aber erst viel später, wie jung sie bei der Geburt war. Warum hat ihr Vater nichts unternommen? Oder die resolute Haushälterin, die gleichzeitig Mutterersatz ist? Wo waren die Behörden? Auch viel später, wenn Aretha sich endlich von ihrem Vater löst, wird dieses Thema nicht angesprochen. Vielleicht hat es sich wirklich so verhalten, aber es wirkt auf den Zuschauer befremdlich, wenn nicht sogar verstörend, dass diese ungeheuren Ereignisse so an den Rand gedrängt wird.
Stattdessen gibt es viel Musik und ein bisschen Bürgerrechts-Engagement, das ebenfalls weitgehend ausgeblendet wird. Man hört davon, vor allem in einer Dialogszene mit King, man sieht es aber kaum. Das rächt sich später, wenn King ermordet wird und die Emotionen an dieser Stelle nur schwach nachvollziehbar sind.
Das Hauptaugenmerk der Autorinnen Tracey Scott Wilson und Callie Khouri liegt auf der musikalischen Selbstbestimmung. Aretha kommt nach der Loslösung vom Vater vom Regen in die Traufe, als sie eine Ehe mit dem ebenso dominanten und gewalttätigen Ted White (Marlon Wayans) eingeht, der über ihre Karriere bestimmt und extrem eifersüchtig ist. Arethas Kampf um Unabhängigkeit ist zuerst ein Kampf um die richtige Musikwahl. Sie muss ihre Stimme finden, als Sängerin, vor allem aber als Frau.
Das gelingt ihr eindrucksvoll mit der titelgebenden Power-Hymne Respect, ihrem zweiten großen Hit und dem internationalen Durchbruch. Weil Aretha sich zu wenig mit ihrer Missbrauchsvergangenheit auseinandergesetzt hat und weil Psychotherapien damals vermutlich nur etwas für gelangweilte Weiße waren, folgt der Erzählung von Aufstieg und Ruhm der Bruch: Alkoholismus. Wäre es kein Bio-Pic, würde man ob der Klischeehaftigkeit vermutlich mit den Augen rollen. Hudson spielt dabei durchweg solide und bemüht sich, den Schmerz, der in Aretha vorhanden gewesen sein muss, deutlich zu machen, kommt aber gegen ein wenig inspiriertes und zu oberflächliches Drehbuch nicht an. Es scheint aber, dass selbst ihr wichtiger war, Aretha stimmlich gerecht zu werden als tief in ihr Wesen einzudringen und den Menschen dahinter sichtbar zu machen. Alles ist zu brav, zu gefällig, zu vorhersehbar.
Natürlich folgt zwangsläufig auf den Absturz die Wiederauferstehung, begleitet von den Gospelgesängen ihres berühmtesten Albums, mit dessen legendärer Aufnahme der Film endet. Im Grunde erzählt Respect also nur von den stürmischen Anfängen einer jahrzehntelangen Karriere.
Mit fast zweieinhalb Stunden ist der Film viel zu lang und vor allem zu langatmig. Interessante Aspekte wie der familiäre Missbrauch oder ihr distanziertes Verhältnis zu ihren Kindern kommen zu kurz, andere werden dagegen viel zu sehr ausgewalzt. Das Ergebnis ist ein über weite Strecken wenig überzeugender Film, der zwar solide inszeniert ist, aber in erster Linie von seiner phänomenalen Musik lebt. Es ist ein Film, der zu oberflächlich die Stationen eines Lebens abklappert, es dabei aber versäumt, tiefer zu blicken und auszuloten, was die Verheerungen in der Kindheit mit einer Frau angestellt haben. Wie aus Schmerz und Einsamkeit und Verlust Kunst entsteht.
Note: 3-