Megalopolis

Francis Ford Coppola ist ein Besessener, der mit der Paten-Trilogie und Apocalypse Now einige der besten Filme aller Zeiten geschaffen, für Letzteren sich und seine Crew aber auch durch die Hölle geschickt hat. Schon einige Jahre später begann er, an Megalopolis zu arbeiten, musste das Projekt aber aufgrund finanzieller Schwierigkeiten einstellen. Vor einem Vierteljahrhundert unternahm er einen zweiten Versuch, der erneut scheiterte, diesmal an den Anschlägen vom 11. September, die angeblich zu nah an seiner Geschichte gewesen sein sollen.

Mit achtzig dann der neue Versuch. Coppola verkaufte Teile seines Weinguts, um das Projekt zu finanzieren, nahm über dreißig Kilo ab, um fitter zu sein, und setzte bewusst auf kontroverse Schauspieler. Vom Set kamen Nachrichten von Planlosigkeit, explodierenden Kosten und sexuellen Übergriffen des Regisseurs. Das alles verhieß schon nichts Gutes, und dann wurden die ersten Aufführungen auch noch vom Publikum ziemlich enttäuschend aufgenommen.

Als der Trailer erschien, war er zwar visuell ansprechend, aber man konnte nicht genau sagen, worum es in der Geschichte eigentlich gehen sollte. Richtig neugierig gemacht hat er nicht, aber weil es Coppolas Herzensprojekt ist, wollte ich ihm unbedingt eine Chance geben und habe ihn mir am Startwochenende angesehen.

Megalopolis

Cesar Catilina (Adam Driver), Chef der Stadtplanungsbehörde von New Rome und Erfinder eines neuen, „lebenden“ Baustoffs namens Megalon, befindet sich in einer Fehde mit dem Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito), der nichts von den architektonischen Utopien wissen will. Um seinen Gegner zu diskreditieren, hat Cicero ihn, als er noch Staatsanwalt war, sogar des Mordes an seiner Frau angeklagt, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, doch Cesar wurde freigesprochen. Als sich nun ausgerechnet Ciceros Tochter Julia (Natalie Emmanuel) in den Entrepreneur verliebt, spitzt sich die Feindschaft zwischen den Männern weiter zu.

Doch Cesar Catilina hat noch weitere Feinde, darunter seinen Cousin Clodio Pulcher (Shia LaBeouf), der ihn mit einem fingierten Sex-Skandal zu Fall bringen will und auch vor Mord nicht zurückschreckt. Und auch Cesars verschmähte Geliebte Wow (Aubrey Plaza) sinnt auf Rache, indem sie seinen Onkel Hamilton Crassus (Jon Voight) heiratet.

Kurz vor dem Start des Films rühmte sich Coppola selbst der Weitsicht, dass er in seiner Geschichte auf die Parallelen zwischen dem Untergang der römischen Republik in der Antike und dem heutigen Amerika hinweist. Dabei sind diese Überlegungen schon jahrzehntealt und wurden immer wieder in diversen populärwissenschaftlichen Sachbüchern erörtert. Natürlich ist der Gedanke nach wie vor faszinierend, und ein Film oder eine Serie über die letzten hundert Jahre der römischen Republik wären sicherlich lohnenswert, schließlich gab es keine Epoche in der Geschichte der Menschheit, in der mehr berühmte und einflussreiche Männer und Frauen gleichzeitig an einem Ort agiert haben.

Aber Coppola ist nicht an einem Geschichtsunterricht interessiert, sondern transferiert die Story mehr oder weniger in unsere Gegenwart, übernimmt dabei aber antike Namen und stellt New York als New Rome da (die Stadt wird ja manchmal auch das vierte Rom genannt). Man versteht aber nie so richtig, was das bedeutet. Ist das Amerika von Megalopolis eine frühere römische Kolonie? Gibt es eine amerikanische Republik mit Washington als Hauptstadt? Irgendwie scheint Coppola alles beibehalten zu haben, was wir kennen, gleichzeitig hat er auch alles verfremdet. Ein Widerspruch unter vielen.

Man weiß einfach nicht, was man von dem Setting halten soll. Vieles mutet römisch an, die Mäntel erinnern teilweise an Togen, die Frauen tragen antikisierende Kleider, und die Schuhmode gehört vermutlich zur ausgefallensten der letzten Jahre. Es tauchen hier und da römische Götter auf, es gibt aber auch christliche Symbole. In den Sexskandal ist eine Vestalin verwickelt, die Coppola als Popsternchen darstellt, und man fragt sich, was denn eigentlich der Skandal sein soll, wenn es nur um ihr jungfräuliches Image geht, aber nicht um das, was eine römische Vestalin tatsächlich ausgemacht hat. Die Antike, so begreift man mit der Zeit, dient dem Regisseur und Drehbuchautor Coppola lediglich als Steinbruch oder Gemischtwarenladen. Alles bleibt vage, konzeptlos und Stückwerk und wird damit weder der römischen Antike noch der politischen Gegenwart der USA gerecht.

Der Teaser, der zuerst erschienen ist, zeigt die ersten Sekunden des Films, in denen Cesar aus seiner Wohnung in der Spitze des Chrysler Buildings klettert und beinahe in die Tiefe stürzt. Aber er besitzt die Fähigkeit, die Zeit anzuhalten und sogar rückwärts laufen zu lassen, um so sein Leben zu retten. Schon nach diesen ersten ein oder zwei Minuten weiß man, dass Coppola seinen Film gegen die Wand fahren wird und keinen Plan hat, was er eigentlich erzählen soll. Das ist traurig und erschreckend zugleich. Erschreckend, weil man weiß, dass man noch über zwei Stunden dieses Trauerspiel ertragen muss.

Hier und da gelingen Coppola einige interessante Bilder, manches ist plakativ, etwa wenn Justitia geschlagen auf der Straße liegt, manches ist wunderschön, wie Cesars Entwürfe seines Megalopolis. Diesen Cesar lernen wir dann näher kennen, als er Wohnblöcke in die Luft sprengt, um seinen ehrgeizigen Traum zu verwirklichen. Zurückbleiben obdachlose und verzweifelte Menschen, die in tiefes Elend gestürzt werden, für die der geniale Mann in seinem Elfenbeinbeinturm (oder vielmehr dem Turm aus Chrom) keinen Blick hat, auch wenn er davon faselt, für sie eine neue Stadt zu errichten.

Warum sollte man sich als Zuschauer für einen solchen Menschen interessieren? Oder für einen der anderen Popanze? Man versteht über weite Strecken einfach nicht, was die Figuren antreibt, woher ihr grenzenloser Hass rührt oder auch, in Julias Fall, warum sie sich verlieben. Vieles wird nur angedeutet, die komplexe und komplizierte Backstory von Cesar und Cicero trägt auch nicht gerade zur Vereinfachung bei, und Coppolas wirre Erzählweise lässt einen mehr als nur einmal ratlos zurück.

So gibt es eine endlos lange und aufwändig inszenierte Hochzeitsfeier, bei der man sich die ganze Zeit über fragt, warum man sich das anschauen soll. Das Spektakel erinnert an einen Zirkus, der Amok läuft, an eine Realityshow ohne Regeln und einen drogeninduzierten Fiebertraum von Fritz Lang. Eine Weile macht es noch Spaß, die kunsthistorischen Zitate zu suchen, aber irgendwann überwiegt einfach nur Langeweile. Es gibt zwar so etwas wie eine Geschichte, die halbwegs Sinn ergibt, aber so abgehackt und sprunghaft erzählt wird, dass man selbst dann Mühe hat, ihr zu folgen, wenn man zwischendurch nicht für ein paar Minuten wegnickt. Letzten Endes ist vieles einfach nur Behauptung. Ob es sich um Wows Rachepläne oder Clodios Intrigen handelt, Coppola pfeift auf jegliche dramaturgisch sinnvolle und psychologisch nachvollziehbare Stoffentwicklung. Selbst seine Dialoge entbehren jeglicher Lebendigkeit und Dynamik, sondern sind meist nur pompöse Plattitüden oder kunstvoll vorgetragene Zitate von Klassikern wie Shakespeares Hamlet, die nichts mit der Handlung zu tun zu haben scheinen.

Irgendwann gegen Ende stürzt dann ein sowjetischer Satellit ab, und man hofft, dass er die ganze Stadt ausradiert, damit dem Elend ein Ende gesetzt wird. Auch er ist einer der vielen Einfälle aus den angeblich über dreihundert (!) Drehbuchfassungen, die in die finale Fassung eingeflossen sind und von denen man nicht weiß, was sie dort zu suchen haben. Megalopolis ist ein Flickenteppich solcher Ideen, ein Patchwork-Körper wie der von Frankensteins Monster, der sich jedoch einfach nicht zum Leben erwecken lassen will.

Vielleicht wäre der Film keine solche Katastrophe, wenn er wenigstens visuell ansprechend oder unterhaltsam oder atmosphärisch dicht wäre. Aber er ist pures Chaos, wirr und inkohärent und dabei unfassbar langweilig. Coppola behauptet, ein gesellschafts- und politikkritisches Werk geschaffen zu haben, er prangert die Eliten an, stellt sie als korrupt und machtgierig dar und warnt vor den Gefahren des Populismus. Er bietet aber keine Lösungen an, sondern propagiert lediglich die Utopie seines Helden, der den Namen gleich zweier Unruhestifter und Zerstörer trägt. Cesars Megalopolis ist die kühne Vision eines Künstlers, der zwar die Massen gegen sich aufbringt, weil er seine Pläne rücksichtslos in die Tat umsetzt, der sie aber auch zu begeistern vermag. Coppola glorifiziert Cesar sogar, indem er ihn einen brutalen Mordversuch überleben lässt, nach dem er wieder aufersteht wie ein zweiter Messias. Tatsächlich zeichnet der Regisseur jedoch nur das Bild eines Egomanen, der sich und andere für seine künstlerischen Visionen zerstört, die bei genauerer Betrachtung nicht mehr als Blendwerk sind. So ist Megalopolis das narzisstische Selbstbild eines vormals gefeierten Genies, das sich vollkommen überschätzt und in seinen wirren Traumwelten verloren hat, ein Spiegel, den sich Coppola selbst vorhält. Es ist, kurz gesagt, eine Tragödie.

Note: 5

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.