Horizon

Bevor mein Jahresrückblick erscheint, müssen noch ein paar Kritiken zu Filmen aus 2024 raus, die ich bislang nicht unterbringen konnte. Diese und nächste Woche ist also das große Thema: The Rest of 2024.

Eine Auffälligkeit im vergangenen Jahr war, dass es gleich zwei altgediente Filmemacher noch einmal wissen wollten und dafür sogar bereit waren, ihr eigenes Geld zu riskieren. Dabei sollten sie eigentlich wissen, wie die oberste Regel für Produzenten lautet: Steck niemals dein eigenes Geld in ein Projekt. Aber sowohl Kevin Costner als auch Francis Ford Coppola glaubten so fest an ihre künstlerischen Visionen, dass sie den Rat in den Wind schlugen. Beide können es sich allerdings auch leisten, notfalls einige Millionen zu verbrennen. Oder hundert Millionen.

Sowohl Coppola als auch Costner können auf lange, außerordentlich erfolgreiche Karrieren zurückblicken. Nötig hat es keiner von beiden, Geld, Ruf und Image aufs Spiel zu setzen. Was treibt sie also dazu, sich in dieses Abenteuer zu stürzen? Eitelkeit? Die Angst vor dem Alter und die Frage, welches Vermächtnis sie hinterlassen? Coppola ist Mitte achtzig, Costner Ende sechzig, da denkt man schon mal darüber nach, wie viele Filme man noch drehen kann, bevor man auf die eine oder andere Weise zum Aufhören gezwungen wird. Vielleicht ist es auch der verzweifelte Wunsch, noch einmal der Welt zu beweisen, was in ihnen steckt, noch einmal einen letzten Triumph zu feiern.

Kevin Costner konnte mit seinem Regiedebüt Der mit dem Wolf tanzt bereits schon einmal einen immensen Überraschungserfolg verbuchen. Der Western brach mit den üblichen Klischees des Genres, widmete sich ausführlich der Geschichte der amerikanischen Ureinwohner, deren Dialoge sogar in ihrer Muttersprache geführt wurden, und beeindruckte mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen. Vieles davon war nicht neu, traf aber damals den Nerv des Publikums.

Angeblich hat Costner schon etliche Jahre, bevor er mit den Wölfen tanzte, damit begonnen, an Horizon zu arbeiten. Es sollte der Western aller Western werden. Allerdings hat dieses Genre sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Von den formelhaften, klischeebeladenen Schwarz-Weiß-Schinken des alten Hollywoods sind die modernen Western mindestens ebenso weit entfernt wie ein Hipster von Buffalo Bill. Es gibt in dem Genre praktisch nichts, was es nicht gibt, und etwas Neues zu erzählen und die Zuschauer damit zu überraschen, ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich geworden. Aber es würde ja schon reichen, eine bewegende und packende Geschichte zu erzählen, wie er es damals mit Der mit dem Wolf tanzt getan hat. Als Horizon in unsere Kinos kam und bereits den Ballast eines von der Kritik nur mäßig aufgenommenen und von den Zuschauern weitgehend ignorierten Films mit sich herumtrug, war ich dennoch neugierig und gespannt auf den ersten Teil dieses gewaltigen Epos.

Horizon

1859 tauchen Vermesser an der Flussbiegung im San Pedro-Tal auf, das als Standort einer neuen Stadt namens Horizon auserkoren wurde, und stecken die ersten Grundstücke ab. Doch die in der Nähe lebenden Apachen sehen durch die Weißen ihre Existenz bedroht, werden durch die Siedlungen die Wildtiere, von denen sie leben, vertrieben oder ausgerottet. Deshalb fallen sie über die Männer her und töten sie. Vier Jahre später haben sich trotzdem einige Siedler dort niedergelassen und eine kleine Zeltstadt errichtet, und auch sie werden bei einem Überfall nahezu alle massakriert.

Frances (Sienna Miller) und ihre Tochter überleben diesen Angriff und gehen mit den Soldaten, die ihnen zu Hilfe eilen, in das nächstgelegene Fort. Dort erfahren sie, dass die Union nicht so viele Kavalleristen abstellen kann, um alle Siedler zu schützen, da sie gleichzeitig noch gegen die Südstaaten kämpft. Eine Rückkehr nach Horizon ist also fraglich, ein Neubeginn im Fort die einzige Alternative. Dort kommt Frances schließlich dem Offizier Trent (Sam Worthington) näher und denkt über eine Zukunft mit ihm nach.

Hayes (Kevin Costner) schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten und Pferdehandel durch, als er in einer Siedlung in Wyoming auf Marigold (Abbey Lee) trifft, die sich gelegentlich prostituiert. Sie lebt bei Ellen (Jena Malone), die einen zweijährigen Sohn hat und auf der Flucht vor einem gewalttätigen Mann ist. Dessen erwachsene Söhne tauchen auf, um Ellen und das Kind zurückzubringen, und als einer von ihnen sich mit Hayes anlegt, wird er von diesem erschossen. Hayes und Marigold müssen fliehen.

Gleichzeitig nähert sich ein Treck Siedler unter der Führung von Matthew (Luke Wilson) Horizon, sie stoßen unterwegs aber auf Apachen, die sich nach dem Massaker von ihrem Stamm gelöst haben und von einigen Siedlern von Horizon verfolgt werden, die auf Rache aus sind.

Die gesamte Geschichte der Besiedelung des amerikanischen Westens ist nicht in einem Film zu erzählen, auch nicht in einem Vierteiler mit zwölf oder mehr Stunden Laufzeit. Costner scheint sich daher auf ein Tal im heutigen Arizona an der Grenze zu Mexiko zu konzentrieren und auf die Phase der amerikanischen Besiedlung in den Jahren kurz vor und nach dem Bürgerkrieg. Angeblich soll eine Zeitspanne von fünfzehn Jahren abgedeckt werden und damit die Schicksale mehrerer Menschen.

Das ist als Ansatz nicht schlecht, kann doch dieses Tal mit seiner fiktiven Stadt Horizon sowohl als Blaupause für ähnliche Orte im gesamten Westen dienen als auch für den Prozess der Landnahme insgesamt. Er streift sogar die Vorgeschichte, denn wenn die Story von Horizon beginnt, ist sie für die Spanier bereits beendet. Nur wenige Meilen von der Flussbiegung entfernt befinden sich die Ruinen einer alten Mission, die irgendwann aufgegeben worden ist. Ihnen folgen nun, weitaus zahlreicher und aggressiver, europäische Siedler und Amerikaner aus dem Osten, und auch den dort siedelnden Stämmen ist klar, dass sie diesen Strom nicht aufhalten können. Ihr Häuptling erkennt dies und hat für seine Leute eine sichere Heimat in den Bergen gefunden, die jungen Männer sind jedoch unzufrieden und ziehen gegen die Siedler in den Krieg.

Mit dem Massaker von Horizon erreicht der Film gleich zu Beginn seinen ersten – und leider auch einzigen – Höhepunkt. Diese Sequenz ist ungeheuer spannend inszeniert und rührt einen später, wenn die Überlebenden Abschied von ihren getöteten Familienmitgliedern nehmen müssen, zu Tränen. Vor allem Frances‘ Schicksal, das hier exemplarisch geschildert wird, geht einem zu Herzen.

Einige Siedler schwören nach dem Angriff Rache, machen sich an die Verfolgung der Apachen, realisieren aber später, dass sie kaum Chancen haben, sie zu finden. Weil gleichzeitig ein Kopfgeld auf Indianerskalps ausgesetzt ist, planen sie schließlich den Überfall auf die Siedlung eines unschuldigen Stammes. Hier hätte sich die Chance geboten, eine ähnlich packende und emotional aufwühlende Szene zu realisieren, die gewissermaßen als Klammer des gesamten Films dient und dem Zuschauer vor Augen führt, dass Gewalt nur weitere Gewalt gebiert. Aber Costner vergibt diese Chance, indem er den Angriff weitgehend unspektakulär inszeniert und so beiläufig, als wäre ihm das Schicksal der ermordeten Siedler wichtiger als das der Ureinwohner.

Weitere Beispiele für vergeudete Chancen gibt es zuhauf, doch dieses ist vielleicht das deutlichste. Insgesamt scheint es, als hätten Costner und seine Co-Autoren Jon Baird und Mark Kasdan sich in den weit verästelten Handlungsfäden verheddert. Man erahnt zwar das Gesamtbild, die Entstehung von Horizon, wird aber mit einer Fülle von Details und einer Flut von Figuren überwältigt, so dass man schnell den Überblick verliert.

So dauert es ungefähr eine Stunde, bis der von Costner gespielte Hayes überhaupt auftaucht, und auch danach werden noch neue Figuren eingeführt. Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn all diesen Menschen wenigstens interessante Geschichten vergönnt wären, so dass man mit ihnen mitgehen, sich ihnen annähern und sie ins Herz schließen kann. Tatsächlich sind einem die Schicksale der meisten Beteiligten jedoch egal. Man lernt sie nur kurz kennen, beobachtet ihren meist wenig spektakulären Alltag und verlässt sie wieder. Das gilt besonders für die Siedler des Trecks. Das alles wirkt ein wenig lieb- und planlos aneinandergehängt, so als hätte Costner eine Liste abzuhaken und möchte einfach nur so schnell wie möglich fertig werden.

Vieles wird entweder zu belanglos oder zu umständlich erzählt. Letzteres gilt vor allem für Hayes‘ Geschichte, die man wesentlich einfacher und effektiver hätte darstellen können, ohne dafür eine Backstory zu bemühen, die rätselhaft bleibt. Möglicherweise ist für den zweiten oder dritten Teil noch eine überraschende Wendung oder eine Verquickung der diversen Schicksale geplant, die bei diesem Handlungsfaden eine Rolle spielen, aber das tröstet einen nicht über den weitschweifenden Plot des ersten Teils hinweg, der insgesamt wie eine sehr lange Ouvertüre wirkt. Oder wie die Pilotfolge einer Serie.

Horizon ist kein schlechter Film, aber leider auch kein guter. Er ist wunderschön fotografiert, aber man fragt sich auch, warum nicht gleich in CinemaScope, um noch beeindruckender zu sein. Er hat spannende Momente, aber viel zu wenige, die noch dazu fast alle am Anfang zu sehen sind, während die letzten Minuten eine Art Vorschau auf den nächsten Teil darstellen, als wollte Costner seinen Zuschauern versichern: Das, was du heute gesehen hast, hat dir vielleicht nicht gefallen, aber wir haben viel mehr und Besseres. Fragt sich nur, wer so viel Sitzfleisch oder Geduld hat.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.