Ein süßer Fratz

Alles begann mit Ein Herz und eine Krone, sowohl für Audrey Hepburn als auch für mich auf der Suche nach schönen, alten Filmen. Als ich ihn bei Wow entdeckt habe, fiel mir auf, dass sie auch andere Filme der Schauspielerin im Programm haben, darunter einen, den ich noch nicht kannte. Wahrscheinlich aus dem Grund, dass er ein Musical ist und ich kein großer Fan dieses Genres bin. Aber der Trailer sah nett aus, es ist eine Aschenputtel-Geschichte, und vor Weihnachten war ich in der richtigen Stimmung dafür.

Im Original heißt der Film aus dem Jahr 1957 Funny Face, weil sich die Produzenten für die Musicalnummern bei einem dreißig Jahre alten Stück bedient haben, dessen Musik von George Gershwin und seinem Bruder Ira stammt, darunter der Klassiker S‘ Wonderful. Fred Astaire und seine Schwester spielten damals die Hauptrollen, und weil er sie immer funny Face nannte, wurde das Stück, als ein neuer Titel gebraucht wurde, ebenfalls so genannt. Mit der Geschichte des Fünfzigerjahre-Films hat das Bühnenmusical allerdings nichts gemein, weshalb man nun ungelenke Dialoge zu hören bekommt, die irgendwie erklären sollen, was an Audrey Hepburns makellosem Gesicht drollig sein soll.

Bei uns hat man sich für Ein süßer Fratz als Titel entschieden, die restaurierte Version, die ich gesehen habe, hieß allerdings Ein rosarotes Mannequin.

Ein süßer Fratz

Maggie Prescott (Kay Thompson) leitet ein bedeutendes Modemagazin in New York und sucht ständig nach neuen Ideen. Zuerst erklärt sie Pink zum neuen Schwarz, dann will sie ein neues Supermodel aufbauen, das nicht nur die Zeitschrift repräsentieren, sondern auch alle Ideale der amerikanischen Frau verkörpern soll. Bei einem Fotoshooting in einem auf Kunst und Philosophie spezialisierten Buchladen entdeckt der Fotograf Dick Avery (Fred Astaire) die hübsche, intelligente Verkäuferin Jo Stockton (Audrey Hepburn), die er zum Star machen will. Jo hält zwar nichts von der oberflächlichen Glamourwelt der Mode, aber die Aussicht auf eine Reise nach Paris lockt sie, weil sie dort Vorlesungen des von hier verehrten Philosophen Emile Flostre (Michel Auclair) hören will.

Am Anfang macht der Film von Stanley Donen, der als Choreograph angefangen hatte und in den Fünfzigern einer der bedeutendsten Musical-Regisseure Hollywoods war, alles richtig. Die Szenen im Modemagazin erinnern an Der Teufel trägt Prada, der erste Song Think Pink nimmt die Barbie-Manie vorweg und besticht durch eine interessante Choreographie, die auch den graphischen Charakter des Mediums mit einbezieht und wie eine Collage historischer Magazinfotos wirkt. Alles ist bunt und fröhlich und hübsch anzusehen.

Mit dem Auftauchen von Hepburn beginnt die eigentliche Story, und auch diese ist zunächst herrlich witzig. Die Modemacher kapern den kleinen Buchladen, stellen alles auf den Kopf, um Bücher und die damit implizierte Bildung als modische Accessoires zu benutzen, während das Model in den Pausen Comics liest. Dass Hepburn als intellektuelle Frau in einem grauen Sackkleid herumlaufen muss, nimmt man als Klischee nur am Rande wahr. Ihr Steckenpferd ist der „Empathikalismus“, eine Philosophie, die bedingungslose Empathie predigt und dabei den Existenzialismus auf die Schippe nimmt. Der Gegensatz zwischen der hedonistischen Fröhlichkeit der Mode und einer Philosophie, die sich mit Themen wie Angst, Tod und Freiheit beschäftigt, wäre zwar um einiges interessanter gewesen, aber man wollte das Publikum damals wohl nicht überfordern.

Problematisch wird es jedoch, als Avery nach dem Shooting beim Aufräumen hilft und der spröden Jo, die vorgibt, keinerlei Interesse an Männern zu haben, einen Kuss aufdrängt, weil er der Meinung ist, dass sie geküsst werden wollte. Es ist jedoch nicht allein diese Übergriffigkeit, die man früher als forsches Benehmen schöngeredet hat, die anstößig ist, sondern dass Jo danach schockverliebt ist. Als wäre Avery der Prinz, der Dornröschen wachgeküsst hat, tanzt die junge Frau nun mit einem albernen Hut durch den Laden, träumt von Romantik und schönen Kleidern. Was Sartre wohl dazu gesagt hätte?

Das Drehbuch von Leonard Gershe ist erstaunlich modern und wirkt wie eine Blaupause für viele romantische Komödien: Jo zweifelt anfänglich an ihrer neuen Aufgabe, stürzt sich dann aber in das Abenteuer, das sie und Avery nach Paris führt. Es gibt Montage mit pittoresken Bildern aus der Stadt der Liebe, die von der Tourismusbehörde stammen könnten, viele Fotoshootings mit prachtvollen Kostümen und eine Menge Musicalnummern. Zu viele Musicalnummern, die noch dazu reichlich konventionell in Szene gesetzt werden und die Innovation der Eingangssequenz vermissen lassen.

Die Story tritt in der Folge leider auf der Stelle und gewinnt erst gegen Ende wieder an Tempo und Witz, wenn Jo feststellen muss, dass ihr verehrter Professor nur mit ihr ins Bett will. Wo er vielleicht noch mit ihr über Philosophie diskutiert. Die Rivalität zwischen dem Professor und dem Fotografen kommt leider nie zum Tragen, da das Drehbuch viel zu viele Klischees verarbeitet hat. Selbst am Rande wird kein Vorurteil ausgelassen, sei es die bissige Pariserin, die nur dann liebevoll ihren Verehrer anschmachtet, wenn er ihr ins Gesicht schlägt, oder die düsteren, nur an Tod und Verlorenheit denkenden Intellektuellen, die selbstverständlich alle schwarz gekleidet sind. Es ist ermüdend einfallslos. Dass Jo den übergriffigen, aber sich sonst wie einen Gentleman aufführenden Avery, der doppelt so alt wie sie ist, dem gutaussehenden Verführer Flostre vorzieht, kann man nur nachvollziehen, weil Letzterer so abgeschmackt und niederträchtig gezeichnet wird. Da zeigt sich einmal mehr die amerikanische Überheblichkeit und Prüderie des US-Publikums, für die Europa nicht viel mehr als eine hübsche Kulisse und ein schaler Witz ist.

Ein süßer Fratz hat viele tolle Momente, vor allem in seinem ersten Drittel, schwelgt in opulenten Parisbildern und präsentiert Audrey Hepburn in hinreißenden Kostümen. Es gibt aber auch zu viele einfallslose Musicaleinlagen, und die Liebesgeschichte ist aufgrund des großen Altersunterschieds zwischen den Beteiligten etwas problematisch. Für Fans von Audrey Hepburn ist der Film jedoch ein Muss.

Note: 3-

An dieser Stelle verabschiede ich mich in die Weihnachtspause, wünsche allen Lesern eine besinnliche, entspannte Feiertagszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Voraussichtlich am 8. Januar geht es hier dann weiter.

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.