Der Film stand ziemlich weit oben auf meiner Heiß-auf-Liste für dieses Jahr, aber als er dann endlich anlief, habe ich es nicht ins Kino geschafft, bevor er wieder verschwand. Auf den Film hatte ich mich vor allem gefreut, weil er gleich zwei meiner liebsten britischen Schauspielerinnen vereinte und weil er endlich mal wieder eine schöne, geradezu deftige Komödie versprach.
Seit kurzem ist der Film bei Amazon Prime verfügbar, und da er im Original Wicked Little Letters heißt, dachte ich mir, er passt ganz gut zum gestrigen Beitrag. Außerdem handeln beide Filme von verleumdeten Frauen.
Kleine schmutzige Briefe
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg zieht die junge, lebenslustige Rose (Jessie Buckley) mit ihrer Tochter in das beschauliche Städtchen Littlehampton, wo sie sich bald mit ihrer scheuen, frommen Nachbarin Edith (Olivia Colman) anfreundet, die unter der Fuchtel ihres strengen Vaters (Timothy Spall) steht. Ihr Vater hintertreibt diese Freundschaft, die auch schon bald zerbricht, nachdem ein anonymer Tippgeber das Jugendamt auf Rose ansetzt. Kurz darauf erhält Edith zum ersten Mal einen Brief mit obszönen Inhalten, und weil immer weitere folgen, besteht ihr Vater schließlich auf einer Anzeige.
Im Vor- oder Abspann heißt es, dass diese Geschichte kaum bekannt sei, was aber nicht stimmt. Vor etlichen Jahren habe ich einmal einen längeren Artikel darüber gelesen, und ich konnte mich auch noch gut an die Auflösung erinnern. Tatsächlich ist die Urheberschaft dieser kleinen schmutzigen Briefe nicht allzu schnell zu erraten.
Aber im Grunde geht es ja nicht darum, wer die obszönen Briefe geschrieben hat, sondern was dieser Vorfall mit den Menschen in Littlehampton macht, von denen mit der Zeit immer mehr Empfänger dieser bizarren Post werden. Die Mutmaßungen und Verdächtigungen können einen Keil zwischen Nachbarn treiben und Freunde zu Feinden werden lassen, und als alle beginnen, Rose zu beschuldigen, weil sie ein freches Mundwerk besitzt und ausgiebig flucht, schießen die Verdächtigungen erst recht ins Kraut, doch leider geht Drehbuchautor Jonny Sweet zu wenig auf diese Aspekte ein.
Er konzentriert sich vor allem auf Ediths Freundinnen, mit denen sie sich regelmäßig zum Kartenspielen trifft und die nun herauszufinden versuchen, ob Rose, mit der sie Mitleid haben, weshalb sie auch ihre Kaution stellen, tatsächlich für die Schreiben verantwortlich ist. Zusammen mit Gladys Moss (Anjana Vasan), einer Polizistin, spielen Mabel (Eileen Atkins), Kate (Lolly Adefope) und Ann (Joanna Scanlan) Detektiv und stellen dem geheimnisvollen Absender schließlich eine raffinierte Falle.
Ihre Gegenspieler sind allerdings in erster Linie die Männer, nicht so sehr der anonyme Briefeschreiber, denn sowohl die Polizisten als auch der Richter und die Anwälte ignorieren in ihrer arroganten Selbstherrlichkeit sämtliche Beweise, wie eine Handschriftenprobe, die die Damen ihnen vorlegen. Das passt ganz gut in die Zeit, in der erbittert um das Wahlrecht für Frauen gestritten wurde, und auch Ediths despotischer Vater steht stellvertretend für ein patriarchales System, das sich gegen die Veränderungen in der Gesellschaft stemmt, die sich seit dem Ende des Krieges entwickelt haben. Insofern ist der Film von Regisseurin Thea Sharrock beinahe eine feministische Zeitkritik.
Dennoch täuschen diese interessanten Themen nicht darüber hinweg, dass die Story eher dürftig und nicht viel mehr als eine kuriose Anekdote ist, die zu einem Film aufgeblasen wurde. Getragen wird er vor allem von seinen beiden Hauptdarstellerinnen: Olivia Colmans Performance ist meisterhaft subtil, nach außen hin ist sie fromm und gehorsam, aber man spürt, dass es unter der frommen Oberfläche gärt und sie wütend auf ihren Vater ist, weil er ihr das Lebensglück genommen hat. Jessie Buckley wiederum tobt sich in ihrer Rolle hemmungslos aus und genießt sichtlich jeden ihrer Auftritte, in denen sie nach Herzenslust fluchen darf. Das Schimpfduell, das sich die beiden gegen Ende liefern, ist unzweifelhaft der köstliche Höhepunkt.
Insgesamt hätte man viel mehr aus diesem Stoff herausholen können, zumal der Humor in eher homöopathischen Dosen verteilt wird, so dass man sich über weite Strecken fragt, ob man es überhaupt mit einer Komödie zu tun hat. Wirklich störend ist hingegen erneut das Colorblind-Casting, das für ein schiefes Bild der Historie sorgt und in letzter Konsequenz ein Schlag ins Gesicht all derer ist, die jahrzehntelang um Anerkennung und einen sichtbaren Platz in der Gesellschaft gekämpft haben. Geradezu idiotisch ist auch die Idee, aus Gladys eine Polizistin zu machen, um den schalen Gag vom „female Police Officer“ zu Tode zu reiten, was ebenfalls zu einem falschen Geschichtsbild führt. Weibliche Polizeibeamte gab es auch in England erst während des Zweiten Weltkriegs, als der Fronteinsatz der Männer Frauen die Türen zu vielen Berufen öffneten. Und ob es 1920 eine farbige Postbotin in einem Kaff wie Littlehampton gegeben hat, darf ebenfalls stark bezweifelt werden. Diese Geschichtsklitterung, selbst wenn sie gut gemeint ist, ist einfach nur ärgerlich,
Note: 3-