Enthüllung um Mitternacht

Ich habe schon häufiger beklagt, dass man kaum noch alte Filme im Fernsehen sieht, und mit alt meine ich, die Schwarz-Weiß-Filme aus der Glanzzeit Hollywoods in den Dreißigern und Vierzigern. Vor dreißig Jahren liefen sie noch häufig auf ARD oder ZDF, aber inzwischen bekommt man immer nur dieselben Streifen zu sehen, meistens die Klassiker wie Casablanca oder Manche mögen’s heiß. Dabei gibt es noch unzählige weitere Filme zu entdecken, die ungemein witzig, spannend oder raffiniert erzählt sind. Nicht einmal auf DVD sind viele davon erhältlich, allenfalls als Import-DVD.

Einen meiner liebsten Filme aus jener Zeit habe ich kürzlich noch einmal anschauen können, dank eines Freundes, der ihn mir geschenkt hat:

Enthüllung um Mitternacht

Nachdem sie all ihr Geld in Monte Carlo beim Roulette verloren hat, erreicht Eve Peabody (Claudette Colbert) Paris völlig mittellos, mit nichts weiter als einem schicken Abendkleid und einem Pfandschein in der Tasche. Vor dem Bahnhof nimmt sie der ungarische Taxifahrer Tibor Czerny (Don Ameche) mit, der sich augenblicklich in die freche, lebenslustige Eve verliebt. Sie fühlt sich auch zu ihm hingezogen, ist aber festen Willens, einen reichen Ehemann zu finden und ein sorgloses Leben zu führen. Sie flüchtet vor Tibor und schleicht sich auf eine exklusive Party, wo der reiche Playboy Jacques Picot (Francis Lederer) ein Auge auf sie wirft – sehr zum Leidwesen seiner Geliebten Helene (Mary Astor). Als Eve, die sich als Baronin Czerny ausgibt, aufzufliegen droht, erhält sie unerwartet Hilfe von Helenes Ehemann Georges Flammarion (John Barrymorre): Er bietet ihr viel Geld an, wenn sie es schafft, seine Frau und Jacques auseinander zu bringen. Eve geht darauf ein, schließlich ist Jacques eine gute Partie – doch dann taucht plötzlich Tibor als ihr eifersüchtiger Ehemann auf…

Die Screwball Comedy ist eine Sonderform der Romantischen Komödie, die besonders in den Dreißigern und Vierzigern ihre Blütezeit hatte. Sie spielt meist in der besseren Gesellschaft und besticht vor allem durch ihre geschliffenen Dialoge und ihr schnelles Tempo. Häufig wird der Geschlechterkonflikt thematisiert, wobei die Frauen – im Gegensatz zur damaligen Realität – äußerst emanzipiert, selbstbewusst und schlagfertig agieren. Jean Harlow war einer der frühen weiblichen Stars in diesem Fach, ein Sexsymbol wie später die Monroe, und wie diese starb sie in jungen Jahren.

Eine ihrer Nachfolgerinnen war Claudette Colbert, die in zahlreichen Scewball Comedys brillierte, etwa in Es geschah in einer Nacht oder Blaubarts achte Frau. Einer ihrer häufigsten Partner war der hierzulande kaum bekannte Fred MacMurray, mit dem sie zahlreiche Filme drehte, darunter Perlen wie Keine Zeit für die Liebe oder Sturzflug ins Glück. Neben Myrna Loy ist Claudette Colbert eine meiner liebsten Schauspielerinnen überhaupt.

Sie ist auch der Dreh- und Angelpunkt in Enthüllung um Mitternacht, ein charmanter Freibeuter auf Männerfang, die jedoch bekennt, sich immer in den falschen zu verlieben. In einem Raum voller Millionäre entscheidet sie sich am Ende einer durchtanzten Nacht für den mittellosen Musiker mit der hübschen Nase. Wem das bekannt vorkommt, so ähnlich beschreibt sich auch Marilyn Monroe in Manche mögen’s heiß, was kein Zufall ist, denn in beiden Fällen hatte Billy Wilder seine Finger mit im Spiel.

Billy Wilder und Charles Brackett waren das Dreamteam ihrer Zeit und schrieben dreizehn Drehbücher zusammen, darunter Klassiker wie Ninotschka, Blaubarts achte Frau und Boulevard der Dämmerung. Bei den Dreharbeiten zu Enthüllung um Mitternacht gab es allerdings einige Kontroversen zwischen Wilder und Regisseur Mitchell Leisen, die schließlich dazu führten, dass Wilder beschloss, seine Drehbücher in Zukunft selbst zu verfilmen…

Leider ist Enthüllung um Mitternacht ein bisschen in die Jahre gekommen, er ist nicht so schnell wie andere Filme seiner Zeit, besitzt auch nicht so viele geschliffene und treffsichere Dialoge, witzige Gags oder wunderbare Einfälle, aber er hat enorm viel Charme und eine wendungsreiche, erstklassig erzählte Geschichte, die ihre Figuren ernst nimmt und auf ihre Psychologie eingeht und sie nicht einfach beliebig hin und her schiebt.

Insgesamt immer noch eine intelligente, lustige Komödie. Schade, dass man sie und viele andere Filme dieser Zeit nicht mehr zu sehen bekommt.

Note: 2

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.