Beast

Jessie Buckley ist mir zuerst 2018 in Wild Rose aufgefallen, ein eher mittelprächtiger Film über eine aufstrebende junge Musikerin, der aber mit einer Power-Performance von Buckley beeindruckt. Ein Jahr zuvor hat sie diesen Film gedreht, von dem ich noch nie gehört hatte und den ich bei Cabel Eins Classics entdeckt habe.

Beast

Mit 27 lebt Moll (Jessie Buckley) immer noch bei ihren Eltern, kümmert sich um ihren demenzkranken Vater und lässt sich von ihrer dominanten Mutter (Geraldine James) herumkommandieren. Sogar auf ihrer eigenen Geburtstagsfeier wird sie von den anderen in den Schatten gestellt, weshalb sie kurzerhand verschwindet und in einer Disco abfeiert. Auf dem Heimweg wird sie jedoch von einem betrunkenen Bekannten bedrängt, und Pascal (Johnny Flynn), ein einzelgängerischer Wilderer, kommt ihr zu Hilfe. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, und bald werden sie, gegen den Wunsch ihrer Mutter, ein Paar. Doch Pascal gerät ins Visier der Polizei, die auf der Suche nach einem Serienmörder ist, und Moll fragt sich, wie gut sie den Mann, den sie liebt, eigentlich kennt.

In seiner ersten Hälfte macht der Film alles richtig. Man lernt zunächst Moll und ihre Familie kennen und hat sofort Sympathien für die junge Frau, die so schäbig und geringschätzig behandelt wird, dass man unwillkürlich an Aschenputtel denken muss. Aber Moll hat auch düstere, gewalttätige Träume, von denen man zunächst annimmt, dass sie mit ihrer emotionalen Unterdrückung zusammenhängen, bis man erfährt, dass sie eine gewalttätige Vergangenheit hat: Als Kind wurde sie in der Schule schwer gemobbt und hat schließlich mit einer Schere auf eine Mitschülerin eingestochen.

Schon mit einem der ersten Bilder, in dem Moll ein Haar an ihrem Hals entdeckt, wird eine animalische Symbolik etabliert, die sich durch den gesamten Film zieht. Als Pascal ihr später ein Buch über wilde Tiere schenkt und dabei darauf hinweist, dass das gefährlichste Tier von allen der Mensch ist, weiß Moll noch nicht, dass auch er eine gewalttätige Ader besitzt und wegen Körperverletzung und sexueller Belästigung einer Vierzehnjährigen vorbestraft ist. Wie Moll tut Pascal dies als Jugendsünden ab, man ahnt aber bald, dass diese Neigung zu Gewaltausbrüchen, diese animalische Energie, die sich unvermittelt Bahn bricht, das entscheidende und verbindende Element in der Beziehung zwischen den beiden Außenseitern ist.

Doch ist Pascal auch ein Mörder? Oder könnte es vielleicht sogar Moll sein? Das Drehbuch von Regisseur Michael Pearce besitzt eine solide Grundlage für einen handfesten und spannenden Thriller, der eine unterschwellig bedrohliche Atmosphäre und jede Menge Rätsel besitzt – zumindest auf dem Papier. Molls düstere Träume sind packend inszeniert und bilden einen Kontrast zur idyllischen Landschaft von Jersey. Nur gelingt es Pearce nach einem vielversprechenden Anfang leider nicht, aus seiner Story etwas zu machen.

Der Film konzentriert sich ausschließlich auf die Beziehung zwischen Moll und Pascal, die seltsam flach und undynamisch bleibt. Es gibt keine Verdachtsmomente, sondern nur diffuse Ahnungen, keine psychologischen Abgründe oder Geheimnisse, die entdeckt werden müssen, sondern nur nüchterne Auseinandersetzungen. Gelegentlich, wenn die Außenwelt mit brutaler Macht in die Zweisamkeit der beiden Außenseiter einbricht, bekommt die Geschichte eine Art Elektroschock verpasst, um danach wieder tempoarm voranzuschreiten. Buckley spielt wie immer großartig, kann aber die Versäumnisse von Regie und Buch nicht wettmachen.

Für hartgesottene Krimiliebhaber, Buckley-Fans und Liebhaber der Insel Jersey ist der Film sicherlich sehenswert, alle anderen sind hiermit gewarnt.

Note: 4

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.