The Good Nurse

Krankenhäuser sind Orte, die die meisten Menschen nach Möglichkeit meiden, assoziiert man sie doch in erster Linie mit Krankheit, Siechtum und Tod. Hinzukommt, dass es immer wieder Berichte über Gefahren gibt, seien es multiresistente Bakterien, Killerpilze wie Candida auris oder Behandlungsfehler. Trotzdem sind wir alle froh, dass es Hospitäler gibt, in denen eine fähige Ärzteschaft und kompetentes Pflegepersonal dafür sorgen, dass wir im Ernstfall gut versorgt werden.

Immer wieder kommt es aber auch vor, dass ein Krankenhaus zur Todesfalle wird, wenn ein Serienmörder als Pflegekraft sein Unwesen treibt. Hierzulande erinnern sich vielleicht noch einige an den Fall Niels Högel, der in über 80 Fällen wegen Mordes verurteilt wurde und möglicherweise noch mehr Menschen auf dem Gewissen hat.

Ein sehr ähnlicher Fall hat sich, nahezu zur selben Zeit, in den USA zugetragen und wurde vergangenes Jahr für Netflix verfilmt. Der imdB-Wert ist zwar etwas schwach, aber die Besetzung hat mich neugierig gemacht, daher habe ich ihn mir angesehen.

The Good Nurse

Amy (Jessica Chastain) arbeitet als Krankenschwester auf einer Intensivstation und ist bei ihren Patienten überaus beliebt. Sie leidet unter einem schweren Herzfehler, der ihr Leben bedroht, kann sich die Operation aber erst leisten, wenn sie eine Krankenversicherung hat. Bis dahin dauert es noch vier Monate. Als Charlie (Eddie Redmayne) neu auf der Station anfängt, freunden sich die beiden schnell an. Charlie entdeckt ihr Geheimnis und kümmert sich rührend um sie und ihre kleinen Töchter. Doch dann nimmt die Polizei Ermittlungen wegen eines unklaren Todesfalls auf, und Charlie gerät in Verdacht.

Der Film von Tobias Lindholm basiert auf dem Sachbuch von Charles Graeber mit dem griffigen Titel The Good Nurse: America’s Most Prolific Serial Killer, the Hospitals that Allowed Him to Thrive, and the Detectives Who Brought Him to Justice. Damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, was man über den Film wissen muss.

Im Mittelpunkt stehen aber weder Charlie noch die ermittelnden Beamten, sondern Amy, und das war eine gute Entscheidung der Drehbuchautorin Krysty Wilson-Cairns, denn die freundliche Krankenschwester ist so sympathisch, dass man gerne Anteil an ihrem Leben nimmt, das durch eine schwere Krankheit bedroht ist, die sie vor allen geheim halten muss. Die Kritik, die der Film am US-amerikanischen Gesundheitssystem übt, könnte gar nicht vernichtender sein. Nicht nur, dass es immer wieder, und sehr viel häufiger, als jedem von uns lieb sein sollte, zu Medikationsfehlern kommt, auch das Verhalten der Verwaltung ist mehr als nur unmoralisch. Aus Angst, von den Angehörigen der Opfer vor Gericht gebracht zu werden, haben die Krankenhäuser Charlies Verhalten lange gedeckt, ihn lieber entlassen als zur Verantwortung gezogen, und über allem den Mantel des Schweigens gebreitet. Ein Skandal, für den niemand jemals Rechenschaft ablegen musste.

So werden zwar die Detectives Tim Braun (Noah Emmerich) und Danny Baldwin (Nnambi Asomugha) von der Verwaltung hinzugezogen, als eine Patientin plötzlich und unter ungeklärten Ursachen stirbt, ganz wie vom Gesetz vorgeschrieben, aber mit so viel Verspätung, dass praktisch kaum mehr Beweise, geschweige denn eine Leiche vorhanden sind. Doch selbst die dürftigen Hinweise, die die Beamten schließlich erhalten, deren Misstrauen durch die Abwiegelungstaktik des Krankenhauses längst geweckt wurde, lassen bei ihnen die Alarmglocken schrillen.

So empörend die Umstände auch sind, so skandalös das Verhalten des Krankenhauses ist, das versucht, alles zu vertuschen, Verantwortung von sich zu weisen, und das nichts unternimmt, um dem Mörder das Handwerk zu legen oder auch nur die Missstände zu beseitigen, die ihm das Morden erleichtert haben, als Kriminalgeschichte taugt The Good Nurse leider kein bisschen. Die Polizei ermittelt so gut wie gar nicht, weil sehr schnell ein Verdächtiger benannt wird und die Krankenhäuser, in denen Charlie früher gearbeitet hat, mauern. Mehr als einen vagen Verdacht haben sie nicht.

Dafür haben sie Amy, der bei einer Befragung einige Ungereimtheiten in den Krankenhausakten auffallen und die den Ermittlern hilft. Sie besorgt ihnen fehlendes Beweismaterial und spricht mit einer ehemaligen Kollegin von Charlie, die den Verdacht nicht nur bestätigt, sondern auch weiß, wie er seine Opfer getötet hat.

Krimispannung kommt also nicht auf, und erst spät, wenn Amy und die Polizei versuchen, Charlie dingfest zu machen, bekommt die Geschichte eine Intensität, die beinahe an Suspense heranreicht. Lohnenswert ist in erster Linie die herausragende schauspielerische Darstellung sowohl von Eddie Redmayne als auch von Jessica Chastain. Da der echte Charlie sich nie zu seinen Motiven geäußert hat, bleiben leider zu viele Fragen unbeantwortet, und es wäre wünschenswert gewesen, hätten die Macher wenigstens ansatzweise versucht, die Lücken zu füllen.

Alles in allem zeichnet The Good Nurse ein verheerendes Bild vom amerikanischen Gesundheitssystem, das zumindest in diesem Bereich erschreckende Parallelen zum deutschen aufweist. Zwei glänzende Hauptdarsteller überzeugen auf ganzer Linie, und auch die Miniaturen der betroffenen Patienten sorgen für Gänsehaut und Emotionen, doch der Film bleibt leider mit seiner viel zu geradlinigen, distanzierten Erzählweise hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Note: 3-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.