Die Erkältungssaison steht an, Corona ist ebenfalls immer noch ein Thema, und daher wird es Zeit für eine Reihe von Beiträgen, die sich im weitesten Sinne mit medizinischer Versorgung oder Krankheiten beschäftigen. Spannende Themen für hoffentlich spannende Filme.
Im ersten Beitrag geht es ums Kinderkriegen. In Aldous Huxleys dystopischem Roman Schöne neue Welt werden Babys künstlich in Flaschen gezüchtet und bei der Geburt entkorkt, um dann ihren vorab bestimmten Platz in der Gesellschaft einzunehmen. So radikal und lieblos geht es in der Sozialsatire von Sophie Barthes nicht zu, obwohl auch sie einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Anders als beispielsweise in George Orwells 1984 ist die Gesellschaft in Schöne neue Welt jedoch nicht von Unterdrückung geprägt, sondern von freiwilliger Unterwerfung, und hier setzt auch die franko-amerikanische Regisseurin und Drehbuchautorin mit ihrem Werk an. Der Film wird bei Prime Video gestreamt.
Baby to go
Rachel (Emily Clarke) und ihr Mann Alvy (Chiwetel Ejiofor) führen eine typisches Mittelklassedasein im New York des späten des 21. Jahrhunderts. Sie ist Managerin in einem Tech-Konzern, er arbeitet als Botaniker und Dozent. Die Menschen haben sich weitgehend von der Natur entfernt, das Essen wird gedruckt, Bäume kennt man hauptsächlich als Hologramme, und für die Extraportion Sauerstoff kann man sich an kleine, teilweise transportable Gewächshäuser anschließen. Als Emilys Konzern eine neue Firma kauft, die Paaren künstliche Gebärmütter zur Verfügung stellt, wird ihr diese Option als Teil einer Beförderung angeboten. Obwohl Alvy lieber auf natürliche Weise ein Kind bekommen möchte, lässt Emily sich darauf ein.
Wie könnte unsere Zukunft in einigen Jahrzehnten, in einem Jahrhundert aussehen? Diese Frage stellt sich die Menschheit schon seit sehr langer Zeit, vor allem aber seit die Industrialisierung begonnen hat, unsere Umgebung in nie gekannter Geschwindigkeit zu verändern und die Zukunft aus unendlichen Möglichkeiten zu bestehen schien. Manche Zukunftsvisionen sind daher hoffnungsvoll utopisch, manche dystopisch, die glaubwürdigsten sind jedoch immer jene, die derzeitige Entwicklungen aufgreifen und konsequent weiterdenken.
Barthes entwirft ein durchaus faszinierendes Bild einer relativ nahen Zukunft, die – vermutlich auch wegen eines überschaubaren Budgets – unserer Gegenwart in vielen Punkten gleicht. Es sind aber die kleinen, feinen Unterschiede, die den Zuschauer in den Bann ziehen, in diesem Fall vor allem die allgegenwärtige KI. Die Menschen kommunizieren ständig mit Maschinen, die sie fragen, wie es ihnen geht, und bei kleinen Veränderungen in der Stimmlage anfangen, sie zu analysieren. Verstimmungen und negative Gefühle sind nicht erwünscht und werden mit Nahrungsergänzungsmitteln oder einem Aufenthalt in einem entspannenden Nature-Pod behandelt. Sogar Therapeuten wurden von KIs verdrängt (und bestehen aus einem riesigen Auge mit Blumen-Iris). Nicht alles geht glatt in dieser Welt, so kann es auch mal verbrannten Toast geben, entweder weil die Maschine einen Befehl falsch versteht – oder weil die KI beleidigt ist.
Alles in allem ist es eine Welt, die auf Optimierung und Effizienz angelegt ist, die aber auf subtile Weise Unbehagen erzeugt. Vielleicht weil wir schon die Ansätze erleben. Es ist aber auch eine Welt, in der – und das ist sehr amerikanisch – das Leben weitgehend von privaten Firmen geregelt wird. Und hier geht es vor allem um begehrte Datensätze und, damit einhergehend, Kontrolle. Aber das wird ebenfalls sehr subtil und vor allem in den Nebensätzen vermittelt.
Die eigentliche Geschichte handelt von Emilys und Alvys Schwangerschaft und dem Pod mit ihrem Baby, der einen immer wichtigeren Platz in ihrem Leben einnimmt. Hier hätte Barthes sich ruhig mehr trauen können, sogar müssen, um der Story Tiefe und Bedeutung zu verleihen. Es gibt zwar einige interessante Diskussionen über die Bedeutung von Natürlichkeit, elterliche Bindungen und die Auswirkungen des Pods auf die mentale Entwicklung der in ihnen herangewachsenen Kinder, die anscheinend nicht mehr träumen können, aber alles wird viel zu oberflächlich erzählt. Einen richtigen Konflikt sucht man jedenfalls vergeblich.
So plätschert der Film über weite Strecken belanglos dahin, ohne die Figuren oder den Zuschauer zu fordern. Weder die Bedrohung durch die Firmen, die die Pods für ihre Zwecke missbrauchen oder Alvys geliebte Natur noch weiter zurückdrängen und zerstören wollen, wird ausgebaut oder zugespitzt noch wird deutlich, wie die beiden Hauptfiguren sich aufgrund des Drucks verändern. So entsteht am Ende zwar eine Wandlung, aber auch die ist recht subtil, und selbst das Finale ist so unspektakulär und aufregend wie eine Stunde im Wellnesscenter.
Insgesamt eine gute Grundidee und eine nicht uninteressante System- und Sozialkritik, die aber nie wirklich bissig oder radikal ist, sondern viel zu subtil und ereignisarm vorgebracht wird. Schade, daraus hätte man viel mehr machen können.
Note: 4+