Es gibt nur sehr, sehr wenige Fortsetzungen, von denen ich glaube, dass sie wirklich notwendig gewesen wären. Aber Erfolg zwingt zur Serie, das ist ein ehernes Gesetz in Hollywood, und so war es keine Überraschung, als eine Fortsetzung zum Hit des Jahres 2019 angekündigt wurde, verblüfft hat uns alle nur, als es später hieß, der Film werde ein Musical. Singende Superhelden? Oder Superschurken in diesem Fall. Zumindest ist dies ein origineller Ansatz, aber funktioniert der Film auch so gut wie sein Vorgänger?
Die Welt war neugierig, als der Trailer erschien, und noch neugieriger, als der Film zum ersten Mal aufgeführt wurde. Die Reaktionen waren jedoch eher verhalten bis kritisch. Zum Start traf er noch auf breites Interesse, das jedoch schnell in Ablehnung umschlug. Mark G., der den ersten Teil schon nur so halb mochte, wollte ihn gar nicht sehen, und so bin ich alleine ins Kino gepilgert.
Joker: Folie à Deux
Seit seinem Mord vor laufender TV-Kamera ist Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) ein Star und wartet nun in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klink von Arkham auf seinen Prozess. Die Wärter misshandeln ihn, einige Häftlinge bewundern ihn, und vor den Mauern hat er immer noch eine riesige Gemeinde aus Fans, die sich wie er kleiden und gegen soziale Ungerechtigkeit protestieren. Arthurs Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener) will auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren und hält den Joker für einen abgespaltenen Teil von Arthurs Persönlichkeit, eine Folge des schweren Missbrauchs in seiner Kindheit. Doch dann bringt ein Wärter (Brendan Gleeson) Arthur, der sich gut geführt hat, bei einem musikalischen Therapieprogramm im weniger gesicherten Bereich von Arkham unter, wo er auf Lee Quinzel (Lady Gaga) trifft. Lee ist ein großer Fan des Jokers, und er verliebt sich auf der Stelle in sie. Doch auch Lee scheint nicht das zu sein, was sie vorgibt.
Man kann die literarische Geburt und Weiterentwicklung von Superhelden (und Superschurken) als direkte Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen in der amerikanischen Geschichte lesen. Die eskalierende Bandengewalt im Zuge der Prohibition, die Geburt der amerikanischen Mafia, korrupte Polizisten, politische und soziale Unruhen sowie die Verwerfungen durch die Große Depression haben eine tiefe Ohnmacht in der Bevölkerung verursacht und den Wunsch nach einem Rächer verstärkt, der für Gerechtigkeit sorgt, wenn Staat und Polizei versagen. Todd Phillips und sein Co-Autor Scott Silver haben dieses Narrativ in Joker aufgegriffen und geschickt ins Gegenteil verkehrt: In einer kalten Gesellschaft, in der große soziale Ungleichheit herrscht und die mächtige Elite im Bündnis mit dem Staat Arme und Benachteiligte unterdrückt, wird gewalttätiger Widerstand zur Heldentat. Das zynische, irre Gelächter des Clowns ist ein Schrei der Ohnmacht, geboren aus Verzweiflung und Not.
Obwohl die Geschichte in den frühen Achtzigern angesiedelt ist und vor allem die amerikanischen Verhältnisse jener Zeit widerspiegelt, hat sie viele heutige Menschen angesprochen, die sich ähnlich hilflos, sozial benachteiligt und verlassen fühlen. Eine Unsicherheit, die seither durch Pandemie, Krieg und Inflation sicherlich noch verstärkt wurde. Man kann verstehen, dass die Erwartungshaltungen an die Fortsetzung entsprechend groß waren.
Am Ende von Joker verlassen wir Arthur in der Psychiatrie, wo er seine Rolle inzwischen angenommen hat und souverän und selbstbewusst wirkt. Doch der Arthur in Joker: Folie à Deux ist ein gebrochener Mann, dessen Stimmung dank Psychopharmaka gedämpft wird. Die Wärter verspotten und misshandeln ihn, aber Arthur bleibt passiv und gehorsam. In gewisser Weise wiederholt sich hier seine Rolle aus dem ersten Teil, in dem er ebenfalls ein Opfer seiner Umwelt war.
Richtig in Fahrt kommt die Geschichte erst, wenn Arthur Lee begegnet und sich in sie verliebt. Lee behauptet, aus demselben Viertel wie er zu stammen und eine ähnliche Biografie mit einem toten Vater und einer dominanten Mutter zu haben, und sie bestärkt ihn darin, der Joker zu sein. Tatsächlich ist dies alles, was sie in ihm sieht: ein Disruptor, ein Rebell, einer, der die Regeln bricht.
Phillips setzt das Psychogramm seines Antihelden fort und stürzt ihn in eine Identitätskrise, die durch die unterschiedlichen Meinungen anderer über ihn noch verstärkt wird. Seine Anwältin sieht ihn als Opfer, als Kranken, der Hilfe benötigt, die Wärter hassen ihn, weil er berühmt ist, von vielen Insassen bewundert wird und dadurch eine Macht besitzt, die sie nicht kontrollieren können, und die Medien stilisieren ihn zum Monster, das umso grausamer sein muss, je mehr sie mit ihm verdienen wollen. Insofern handelt die Story von Wahrnehmung und Identifikation, davon, dass Arthur in diesem Wirrwarr aus Deutungen und Vermutungen über seine Person versuchen muss, sein wahres Selbst zu finden. Arthur oder Joker – wer ist er wirklich?
Das alles ist interessant und wird solide geschildert – unterläuft dabei aber konsequent die Erwartungen des Publikums, das vermutlich auf eine Geschichte über den Joker und wie er die Welt erschüttert gewartet hat. Doch anstatt die Story nach außen zu wenden, von Flucht, Komplizenschaft mit seinen Anhängern und Widerstand zu erzählen, vielleicht auch von einer Amour Fou mit Lee oder Harley Quinn, dreht er sie konsequent nach innen. Und um Arthurs medikamentös unterdrückte Gefühle zu transportieren, benutzt Philips Musik.
Tatsächlich funktioniert der Einsatz von Songs anfangs erstaunlich gut, dieses Element nutzt sich aber schnell ab, weil es irgendwann nur noch selbstreferenziell ist, aber nichts Neues mehr zur Figurenbeschreibung beiträgt. Was dem Film aber vor allem schadet, ist seine Abkapselung von der Welt. Im ersten Teil hatte man ein Gespür für Gotham und seine Probleme, Arthur hatte Familie und einen Job, sogar Freunde, er musste sich mit Menschen und seiner Umwelt auseinandersetzen. Nun ist er isoliert und von Leuten umgeben, denen er misstraut und die ihn benutzen. Selbst Lee entpuppt sich als extremes Fan-Girl, das Arthur belügt und irreführt, um gegen die Langeweile in ihrem Wohlstandsleben aufzubegehren, und die sich von ihm abwendet, sobald er sich gegen den Joker entscheidet. Die Liebe zwischen ihnen existiert wie die Musik nur in seinem Kopf.
Wie schon im ersten Teil nimmt sich Phillips viel zu viel Zeit, um das Wenige, das er hat, zu erzählen. Im ersten Teil ging es um soziale Ungerechtigkeit, davon ist hier nichts mehr zu spüren, die Proteste auf den Straßen und die gewaltbereiten Anhänger des Jokers sind fern und spielen erst ganz am Ende eine Rolle. Aber da ist es schon zu spät, für den Zuschauer und für Arthur erst recht. Übrig bleibt nur die Geschichte eines Mannes, der zum schillernden Antihelden wurde und sich nun allmählich wieder in ein armes Würstchen verwandelt. Das hat der Joker nicht verdient.
Joker: Folie à Deux fehlt die Wucht des ersten Teils, den Willen aufzurütteln und anzuprangern, der Film wirkt trotz seines gelungenen Psychogramms und seiner guten Ansätze kraftlos und müde. Kamera und Ausstattung, auch die Musik und die Darsteller sind wieder exzellent, man fragt sich aber auch, wofür das, verglichen mit dem Vorgänger, mehr als doppelt so hohe Budget ausgegeben wurde. Wie bei einem Ballon geht der Story nach dem ersten Drittel langsam die Luft aus, und das Ende dürften die meisten Zuschauer hassen. Auch wenn die wahre Geschichte des Jokers hier erst beginnt. Den geplanten dritten Teil werden wir wohl nun nie sehen.
Note: 4+