Nachdem ich gestern über den nebeligen November gemeckert habe, dachte ich mir, ich koste die melancholische, monochrome Atmosphäre dieses Monats noch etwas länger aus und schreibe über moderne Schwarz-Weiß-Filme. Von denen gibt es immer wieder mal welche, meistens, wenn ein Regisseur besonders künstlerisch sein oder an die Tradition der alten Klassiker anknüpfen möchte. The Artist ist ein Beispiel dafür.
Ein weiteres ist einer der weniger bekannten Coen-Filme, um den es heute geht. Auf die beiden Brüder bin ich erstmals durch Arizona Junior aufmerksam geworden. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich ihn damals im Kino gesehen oder später auf Video nachgeholt habe, aber er gefiel mir nicht. Dann kam Miller’s Crossing, den ich tatsächlich im Kino gesehen habe und auf Anhieb sehr mochte, weshalb ich Arizona Junior eine zweite Chance gab, und diesmal konnte ich dem schrägen Humor viel mehr abgewinnen.
Fargo und The Big Lebowski stellten dann den Höhepunkt ihres Schaffens (in den Neunzigern) dar, aber mit O Brother, Where Art Thou? haben die Coens mich als Fan dann wieder verloren. Seither werde ich mit ihren Filmen nicht mehr so richtig warm, von denen mir zwar einige wenige noch gefallen haben (z.B. No Country for Old Man), viele aber leider überhaupt nicht. Immerhin habe ich einen, den ich im Kino ausgelassen habe, nun nachgeholt.
The Man who wasn’t there
Ed Crane (Billy Bob Thornton) arbeitet als Friseur im Salon seines Schwagers (Michael Badalucco) in einer kalifornischen Kleinstadt zu Beginn der Fünfzigerjahre. Seine Ehe mit Doris (Frances McDormand) ist erkaltet, aber die beiden verstehen sich dennoch ganz gut, und insgesamt ist Ed mit seinem Leben zufrieden. Nur manchmal fragt er sich, ob da nicht noch mehr möglich wäre, und als er eines Tages das – etwas zwielichtige – Angebot erhält, in eine Trockenreinigung zu investieren, schlägt er zu. Das nötige Kapital beschafft er sich, indem er Big Dave (James Gandolfini) erpresst, den Chef seiner Frau, den er verdächtigt, mit Doris eine Affäre zu haben.
Im Kino war der Film nicht übermäßig erfolgreich, zumindest für ein Werk der Coens, was vielleicht auch daran lag, dass er, obwohl ursprünglich in Farbe gedreht, in Schwarzweiß veröffentlicht wurde. Für einen Film noir überaus passend, vor zwanzig Jahren aber noch nicht cool und irgendwie aus der Zeit gefallen. Auch die große Starbesetzung, auf die die Coens in ihren späteren Produktionen zurückgegriffen haben, fehlt, dabei sind durchaus einige bekannte Gesichter vertreten: Neben den bereits Genannten agieren noch Scarlett Johansson, Tony Shaloub und Richard Jenkins in Nebenrollen.
Die Kamera von Roger Deakins ist mit Abstand das Beste am Film, die kontrastreichen Bilder und ungewöhnlichen Blickwinkel passen perfekt zum Film noir und unterstreichen mit ihrer Klarheit und Übersichtlichkeit den Ton der Geschichte. Diese wird rückblickend erzählt, von Ed Crane selbst, der auf sein Leben und die Ereignisse zurückblickt, die dieses entgleisen ließen.
Die Off-Kommentare sind ein Markenzeichen des Film noir, ebenso wie Motive wie Eifersucht oder Geldgier oder verbitterte, desillusionierte Hauptfiguren, die oft aus dem bürgerlichen Milieu stammen und in einen Strudel von Gewalt und Verzweiflung gesogen werden. Wie eine Lawine durch einen einzigen Fehltritt ausgelöst werden kann, setzt auch Ed mit seiner Entscheidung, Big Dave zu erpressen, eine Entwicklung in Gang, die er nicht mehr kontrollieren kann und die zu mehreren Todesfällen führt. Das ist grundsätzlich gut erzählt, besitzt aber leider auch einige Schwächen. Das größte Problem ist, dass man Ed nicht wirklich nahekommt. Man könnte seine Handlungen besser verstehen, wenn er es Doris und Dave heimzahlen wollte, weil sie ihn betrogen haben, aber Ed ist nicht eifersüchtig, im Grunde ist ihm der Seitensprung seiner Frau völlig gleichgültig.
Ed Crane gleitet so unbeeindruckt durch sein Leben wie ein Fisch durch ein Aquarium, alles lässt ihn kalt, er zeigt keinerlei Emotionen, keine Leidenschaft, keine Rachsucht, keine Wut, da ist einfach nur nichts. Vielleicht ist er depressiv oder leidet an einem Burnout, man weiß es nicht, weil man zu wenig über ihn erfährt. Er wirkt wie ein normaler Bürger seiner Zeit, der seinen Platz gefunden hat und dann einfach vor sich hinlebt. Immerhin erwacht irgendwann in ihm der Gedanke, dass da noch mehr sein könnte als diese bescheidene Existenz, und er unternimmt etwas, um alles zu verändern, überzeugend ist das aber nicht. Vielleicht wollen die Coens an dieser Figur die gesellschaftlichen Veränderungen während der Eisenhower-Jahre festmachen, die gleichzeitig auch das Ende des Film noir bedeutet hat, aber das ist Spekulation.
Auch die Ereignisse, die sich unmittelbar an Eds Entschluss anschließen, sind nicht überzeugend. Big Dave hat sofort einen Verdacht, wer hinter der Erpressung stecken könnte, lässt sich aber dennoch darauf ein, um sofort danach wieder seine Meinung zu ändern. Dieser Schlingerkurs passt überhaupt nicht zum Wesen dieses Mannes, ist aber unbedingt notwendig für die Geschichte, weshalb er erst spät enthüllt wird. Vielleicht in der Hoffnung, dass der Zuschauer diesen Patzer dann eher verzeiht.
Vielleicht aber auch in der Hoffnung, dass der Zuschauer bis dahin schon längst entschlummert ist. So wie Crane keine Gefühlsausbrüche oder auch nur eine andere Regung zeigt, die über das fast unmerkliche Heben einer Augenbraue hinausgeht, gleitet auch die Story unaufgeregt dahin. Das Tempo ist einschläfernd langsam, die Dialoge werden bedächtig vorgetragen, und die einzige „Actionszene“, ein Autounfall, wird mehr oder weniger im Stil der Zeit inszeniert, also weitgehend mit Auslassungen. Da zudem auch der typischen Humor der Coens nahezu nicht vorhanden ist (er würde auch nicht wirklich zum Film noir passen), gibt es, abgesehen von der schönen Kamera, nicht viel, was man dem Film abgewinnen kann.
Note: 3-