Wie gestern bereits gesagt, sollte die Geschichte des Films eine Episode in Chungking Express werden, bevor Wong Kar-Wai aufgrund der Länge sich entschied, daraus einen eigenen Film zu machen, der mit etwas gutem Willen als Fortsetzung durchgehen kann. Zwar kommen nicht dieselben Figuren vor (mit Takeshi Kaneshiro gibt es aber einen Schauspieler, der in beiden Filmen auftaucht, allerdings in unterschiedlichen Rollen), aber die Erzählweise, das Thema und die episodische Struktur sind recht ähnlich.
Fallen Angels
Wong Chi-Ming (Leon Lai) ist ein Auftragsmörder, der an seinem Job zwar mag, dass er keine eigenen Entscheidungen treffen muss, sich dabei aber in seiner Willensfreiheit eingeschränkt fühlt. Seine Auftraggeberin (Michelle Reis) ist hoffnungslos in ihn verliebt, putzt heimlich seine Wohnung und durchsucht sogar seinen Müll, doch Wong hält sie auf Distanz. Die beiden kommunizieren vor allem per Fax. Als er eine Beziehung mit der exzentrischen Punkie (Karen Mok) eingeht und nach einer Verletzung erkennt, dass ihn sein Job nicht mehr erfüllt, will er aussteigen, und seine eifersüchtige Partnerin stellt ihm eine tödliche Falle.
In der zweiten Geschichte geht es um den stummen Kleinkriminellen He Zhiwu (Takeshi Kaneshiro), der auf der Flucht vor der Polizei ist und nachts in leerstehende Geschäfte einbricht, um deren Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Er verliebt sich zunächst in die liebeskranke Charlie (Charlie Yeung), die auf der Suche nach Punkie ist, für die ihr Ex sie verlassen hat, aber gibt ihm bald den Laufpass. Eine Weile experimentiert er mit einer Kamera, aber nach dem Tod seines Vaters beschließt er, sich einen geregelten Job zu suchen.
Wie schon in Chungking Express gibt es zwei getrennte Stories, die in diesem Fall jedoch mehr Berührungspunkte aufweisen. Die Figuren begegnen sich gelegentlich, haben teilweise eine gemeinsame Vergangenheit, und am Ende scheinen beide Geschichten sogar zu einem gemeinsamen Ende zu führen. Standen in dem einen Film vor allem zwei Polizisten im Mittelpunkt, sind es nun zwei Kriminelle, und auch die Gewalt spielt eine deutlich größere Rolle. Das liegt vor allem am Killer, dessen Mordaufträge regelmäßig in Gewaltorgien enden, in denen das Blut der Opfer auf die Kameralinse spritzt.
Wong Kar-Wie bleibt seinem Stil treu und treibt ihn sogar noch auf die Spitze. Die Bilder sind noch dunkler, die Farben noch kräftiger, die Kamera ist unstet, verwackelt und hektisch, was zum Teil auch daran liegen kann, dass die Produktion keine Genehmigung für bestimmte Schauplätze wie z. B. die U-Bahn hatte und in ständiger Furcht vor den Sicherheitskräften gedreht hat.
Fallen Angels ist ein Film, der vor allem von seiner Stimmung lebt und versucht, das Innenleben seiner Figuren in Bilder zu verwandeln, indem er etwa mit seinen verzerrten Perspektiven die Einsamkeit der Protagonisten herausstreicht. Zeitlupe und Zeitraffer kommen ebenso zum Einsatz wie Schwarz-Weiß-Kompositionen und andere technische Spielereien. Untermalt wird das alles von einem hypnotischen Trip Hop-Sound, der sehr gut dazu passt. Das ist manchmal anstrengend, manchmal aufregend, kann seine Wirkung aber nur auf der großen Leinwand voll entfalten.
Die Geschichten erinnern teilweise an den Film Noir. Auch hier sind die Menschen einsam, verloren und einer grausamen Welt hilflos ausgeliefert. Es gibt auch nur sehr wenige Dialoge, dafür zahlreiche Off-Kommentare der Figuren, was ebenfalls ihre Einsamkeit unterstreicht. Das Leben der Menschen in beiden Filmen ist öde, trostlos und sinnentleert, der Tod beiläufig und grausam. Alle Figuren sind verlorene Seelen, und wenn die Protagonisten in Chungking Express noch auf der Suche nach der Liebe sind und sie teilweise sogar finden, haben die Helden in Fallen Angels bereits jede Hoffnung verloren. So entfaltet Wong Kar-Wie ein düsteres Großstadtmärchen, das wie ein Fiebertraum von der Unmöglichkeit des Glücks erzählt. Vor allem der Handlungsstrang um He Zhiwu bricht jedoch immer wieder in Momente greller Situationskomik aus, wenn er seinen Kunden Waren oder Dienstleistungen aufdrängt, die diese nicht wollen und sie geradezu malträtiert. Man kann es als bitterbösen Kommentar auf den Kapitalismus verstehen.
Sowohl Chungking Express als auch Fallen Angels sind sehenswerte Filme und stehen stilistisch für eine bestimmte, expressive Form des Erzählens in den Neunzigern, die manche, analog zur Musikrichtung, als Grunge-Ästhetik bezeichnen. Zusammengenommen sind beide Filme auch ein Porträt des spät-kolonialen Hongkongs kurz vor seiner Übergabe an China und damit der Schlusspunkt einer filmischen Ära. Filme wie diese können dort heute vermutlich nicht mehr entstehen.
Note: 3