Longlegs

Dass manche Filme zu einem Massenphänomen und Überraschungshit werden, ist keine neue Erscheinung, sondern gehört seit eh und je zum Blockbusterkino dazu. Das Internet und die sozialen Medien sorgen, wie in vielen anderen Bereichen auch, allerdings dafür, dass diese Prozesse, die früher viel langsamer vonstattengingen, beschleunigt werden. Barbenheimer im vergangenen Jahr ist nur ein Beispiel dafür.

Erstaunlicherweise sind es in letzter Zeit vor allem Horrorfilme, die einen gewissen Hype beim Publikum generieren, und in manchen Fällen erschließt es sich mir nicht. Dass Smile dank einer guten Kampagne und einen gruseligen Trailer ein Hit wurde, kann ich nachvollziehen, die (freilich geringere, aber dennoch nicht zu leugnende) Begeisterung für Barbarian oder Tarot eher nicht. Nun ist ein weiterer Film gestartet, der zu einem Überraschungshit in den USA wurde, und ich musste ihn mit natürlich anschauen, um zu sehen, ob der Hype gerechtfertigt ist oder nicht.

Longlegs

Die frisch gebackene FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe) legt bei der Suche nach einem Gewaltverbrecher hellseherische Kräfte an den Tag, die selbst für Experten nicht zu erklären sind. Daher wird sie von Agent Carter (Blair Underwood) für einen rätselhaften Fall rekrutiert: Seit dreißig Jahren kommt es zu unerklärlichen Morden an Familien. Immer tötet der Vater grundlos seine Familie und sich selbst, am Tatort wird jedes Mal eine verschlüsselte Nachricht gefunden, die mit Longlegs unterschrieben ist. Das FBI geht von einem Serientäter aus, hat aber bislang weder seine Identität ermittelt noch herausgefunden, wie es ihm gelingt, die Familienväter in Killer zu verwandeln, ohne anscheinend selbst jemals das Haus zu betreten oder anderweitig mit ihnen zu kommunizieren.

Eine junge FBI-Agentin, die es mit einem berüchtigten Serienmörder zu tun bekommt – es ist naheliegend, dass man dabei unwillkürlich an Das Schweigen der Lämmer denkt. Tatsächlich gibt es ein paar Parallelen, und auch der düstere Look erinnert an den Klassiker. Der Anfang der Geschichte ist spannend und mysteriös, und dass Lee Harker über übersinnliche Fähigkeiten zu verfügen scheint, ist ein interessanter Twist.

Nicolas Cage war einer der großen Stars der Neunzigerjahre, rutschte aber aufgrund seines verschwenderischen Lebensstils (immer diese Hollywoodstars mit ihren Privatinseln) in die Miese, und nahm danach jeden Schauspieljob an, um seine Schulden zu begleichen. In der Folge entstanden zahlreiche, häufig schlechte Filme. Seit ein paar Jahren ist er nach eigenen Angaben wieder schuldenfrei und kann bei seinen Projekten wählerischer sein, und immer wieder heißt es, dass sein neuester Film gelungen sei. In den meisten Fällen stimmte das leider nicht. Auch Longlegs gehört dazu.

Regisseur und Drehbuchautor Oz Perkins gelingt zwar ein durchaus spannender und vielversprechender Anfang, nur setzt er den Film danach komplett gegen die Wand. Visuell ist er mit seinen düsteren Farben, den unterschiedlichen Formaten zu Beginn und einer insgesamt guten Kamera (Andres Arochi) ansprechend, nur fehlt ihm leider Tempo und Timing. Die Handlung schleppt sich über weite Strecken mühsam dahin, und Szenen, die spannend oder unheimlich sein sollen, sind teilweise schlecht inszeniert.

Die Story selbst ist in ihrem Ansatz interessant und macht neugierig, aber die Rätselspannung, die jeder gute Thriller aufwiesen sollte, die Suche des Zuschauers nach versteckten Hinweisen und Spuren, das Vergnügen, den Figuren vielleicht einen Schritt voraus zu sein, ist nahezu nicht vorhanden. Relativ bald, nachdem Lee an dem Fall mitzuarbeiten beginnt, taucht Longlegs sogar in ihrem Haus auf, und man erwartet nun eine Art Katz-und-Maus-Spiel, doch auch das bleibt aus. Tatsächlich ist dies die letzte halbwegs spannende Szene.

Die verschlüsselten Botschaften, die sämtliche Experten des FBI in dreißig Jahren nicht entschlüsseln konnten (der Zodiak-Killer diente hier wohl als Vorbild), werden von Lee in kürzester Zeit mühelos dechiffriert. Mit ihrer Bibel (natürlich kommt kein Entschlüsselungsexperte auf so ein seltenes Buch) und vermutlich mit ihren hellseherischen Fähigkeiten, die nie genauer definiert werden und ab diesem Zeitpunkt sowieso keine Rolle mehr spielen. Es scheint ohnehin, als würde Perkins nur einige wenige Dinge über seine Figuren behaupten, diese aber nie benutzen oder auch nur bebildern.

Maika Monroe schlafwandelt mehr durch den Film als wirklich zu spielen, und auch manche der anderen Darsteller scheinen nicht recht zu wissen, was sie tun. Nur Nicolas Cage hat die Zeit seines Lebens und liefert eine unheimliche Performance ab, die tatsächlich im Gedächtnis bleibt. Er wirkt aber oft wie im falschen Film.

Was soll man von einem Thriller halten, in dem den Ermittlern die wichtigsten Hinweise mühelos in den Schoss fallen, sie nie in Gefahr geraten und der Bösewicht sich ihnen freiwillig ergibt? Kein Wunder, dass manche Leute den Film für eine Parodie halten. Auch der Showdown, den man zudem meilenweit vorhersieht, ist komplett vermurkst. Dass Lee eine persönliche Beziehung zum Täter hat, ahnt der Zuschauer bereits von der ersten Minute an, die Auflösung selbst ist aber lächerlich, weil sie nicht vorbereitet wird und daher wie aus dem Hut gezaubert erscheint. Hinzukommt, dass die Hauptfigur ausgerechnet in dem Moment, in dem sie gefordert wird und endlich mal Initiative zeigen soll, in Passivität erstarrt.

Longlegs hat dank Nicolas Cage einen gruseligen Schurken und einen netten Anfang, insofern ist der Film tatsächlich nur etwas für hartgesottene Cage-Fans und beweist einmal mehr: Don’t believe the Hype.

Note: 4-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.