Wir gehen relativ selten zu Filmpremieren, weil diese meist nicht in unserer Nachbarschaft stattfinden, sondern in München, Hamburg oder Berlin. Aber hin und wieder sind wir zufällig vor Ort, so auch bei der Europapremiere dieses Films im Rahmen des Münchner Filmfests. Sogar Kate Winslet war anwesend, die aufgrund des Schauspielerstreiks nicht zur Weltpremiere in Toronto fahren konnte, obwohl sie nicht nur die Hauptdarstellerin, sondern auch die Produzentin ist. Dafür hatten wir das Vergnügen, von ihr und ihrer Co-Produzentin Kate Solomon etwas über die lange Entstehungsgeschichte sowie über die Dreharbeiten des Films zu erfahren, und wie die meisten britischen Darsteller ist auch Kate Winslet ausgesprochen unterhaltsam.
Auf Lee Miller stieß Winslet demnach durch ihre Leidenschaft für Tische. Da sie bekannt dafür ist, solche zu sammeln, wurde ihr ein Objekt aus dem Haus Millers angeboten, an dem schon viele berühmte Künstler wie Picasso saßen und Sheperd’s Pie aßen (oder was Miller auch gekocht haben mag, denn sie war im späteren Leben tatsächlich eine preisgekrönte Köchin). Und als Winslet später an diesem Küchentisch saß und darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass sie einen Film über diese außergewöhnliche Frau machen musste. Oder Sheperd’s Pie backen.
Die Fotografin
Ende der Dreißigerjahre gehört das ehemalige amerikanische Fotomodell Lee Miller (Kate Winslet), die inzwischen eine respektierte Porträtfotografin ist, zu einem illustren Kreis aus Künstlern und Bohemiens in Frankreich. Dort lernt sie den britischen Kunsthistoriker Roland Penrose (Alexander Skarsgård) kennen, heiratet ihn und zieht später mit ihm nach London. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wird Penrose einberufen, und Miller möchte als Kriegsfotografin arbeiten, was die Briten ihr jedoch verweigern. Als Amerikanerin kann sie jedoch mit der US-Armee zusammenarbeiten und erreicht 1944 mit ihrem Kollegen David Scherman (Andy Samberg) schließlich Frankreich, fotografiert die Befreiung von Paris, aber auch der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald.
Der Film wird in Rückblenden erzählt, während die Rahmenhandlung 1977 in England spielt, dem Todesjahr Millers. Hier steht sie einem jungen Mann (Josh O’Connor) Rede und Antwort, während sie ihm ihre Aufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg zeigt. Auf diese Weise wird der Zuschauer geschickt in die Vergangenheit geführt, wo schlaglichtartig Millers Stationen kurz vor und während des Krieges nacherzählt werden. Die Rückblenden erlauben den Drehbuchautoren Lem Dobbs, Liz Hannah, John Collee und Marion Hume, sich auf einige Episoden dieser Zeit zu konzentrieren, denn Millers aufregendes Leben und ihre vielseitigen Interessen würden sonst jeden Rahmen sprengen.
Durch diese Erzählweise bekommt die Geschichte jedoch auch etwas ausgesprochen Episodenhaftes. Millers Leben im Vorkriegs-Frankreich wird nur ganz kurz gestreift und sogar ein bisschen voyeuristisch herausgestellt, zudem werden einige bekannte Künstler und Journalisten vorgestellt, denen sie später in Paris wiederbegegnet, darunter auch Marion Cotillard als französische Vogue-Chefin.
Wichtiger sind jedoch ihre Monate mit der US-Armee in Frankreich und Deutschland, in denen sie häufiger in Gefahr gerät, aber vor allem bei der Befreiung der Konzentrationslager an ihre psychischen Grenzen stößt. Diese Szenen sind von außerordentlicher Intensität, ebenso wie Millers berühmte Fotografien. Hier kommt man Miller emotional am nächsten und versteht sehr gut, warum sie stets distanziert und teilweise sogar abweisend gegenüber anderen Menschen war.
Ihr Sohn, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, sich um ihren Nachlass zu kümmern, hat ein Essay über das Rätsel Lee Miller geschrieben, und man spürt deutlich seinen Einfluss auf den Film, der ebenso versucht, sich der privaten Person Miller zu nähern, dies aber nur ganz selten schafft. Kate Winslet gelingt es aber immer wieder, den Zuschauer unter die raue Schale blicken zu lassen, manchmal durch intensive Momente wie den oben beschriebenen, manchmal durch banale Kleinigkeiten. So freut sich Miller einmal ungemein, als ihr die britische Vogue-Chefin frische Unterwäsche an die Front schickt, durch die sie sich endlich wieder weiblich fühlen kann.
Zwangsläufig bleibt vieles auf der Strecke, manches wird bewusst verändert oder verkürzt, anderes zu beiläufig erzählt. Gegen Ende des Films gibt es einen Moment der Offenheit, in dem die Figur über ein frühes Kindheitstrauma spricht, der aber leider nicht gut inszeniert ist und wie aufgepfropft wirkt, wodurch der beste Augenblick, sich der Figur zu nähern, leider verschenkt wird. Alles in allem bleibt Die Fotografin aber als ein durch und durch solides, gut gespieltes Bio-Pic in Erinnerung.
Note: 3