Der Trailer zu diesem Film lief so häufig im Vorprogramm, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Vor allem die Szene, in der ein Junge gestenreich verdeutlicht, dass ihm die Zunge herausgeschnitten wurde, ging mir unglaublich auf die Nerven. Meistens habe ich an dieser Stelle dann angestrengt in meiner Popcorntüte gewühlt. Das heißt nicht, dass ich nicht neugierig auf den Film war, schließlich versprach er spannende Unterhaltung. Nur dieses Über-Trailering war einfach zu viel des Guten.
Auch den Film haben wir uns in Köln ausgesucht und daher lange vor dem Start am vergangenen Wochenende gesehen.
Speak no Evil
Ben Dalton (Scott McNairy) ist der Arbeit wegen mit seiner Familie nach London gezogen, hat dann aber seinen Job verloren und sucht nun nach einer neuen Stellung. Seine Frau Louise (Mackenzie Davis) unterstützt ihn nach Kräften, verliert aber langsam mit ihm die Geduld. Auf einer Reise nach Italien lernen sie das britische Paar Paddy (James McAvoy) und Ciara (Aisling Franciosi) kennen, die einen Sohn haben, der nur etwas jünger ist als Bens und Louises Tochter und aufgrund einer Fehlbildung stumm. Man freundet sich an, und einige Monate später nehmen die Daltons die Einladung Paddys an, ein verlängertes Wochenende im abgelegenen Landhaus der Briten zu verbringen.
Eine Cousine von mir hat einmal im Urlaub auf Mauritius einer Einheimischen, mit der sie sich angefreundet hat, gesagt, sie könne sie gerne, sollte sie je nach Deutschland kommen, einmal besuchen. Einige Zeit später stand sie tatsächlich vor ihrer Tür, forderte die Gastfreundschaft ein – und wollte dann nicht mehr gehen. Sie verlangte sogar, dass man ihr einen deutschen Ehemann suchen sollte.
Vorsicht also, wen man zu sich nach Hause einlädt. Auch Speak no Evil handelt davon, allerdings mit umgekehrten Parametern, denn in diesem Fall sind es die Daltons, die in die Falle eines Psychopathen tappen. Dass Paddy nicht der ist, der er zu sein scheint, wird bereits im Trailer verraten, und man kann sich, sofern man schon mal einen oder zwei Filme dieses Genres gesehen hat, vorstellen, in welche Richtung sich die Story entwickelt.
Der Film basiert auf einem dänischen Thriller, den Regisseur James Watkins adaptiert hat und der vor allem von James McAvoy lebt. Der gebürtige Schotte hat schon früher unter Beweis gestellt, welche Urgewalt er auf der großen Leinwand entfesseln kann, und stellenweise erinnert seine Performance an Jack Nicholson in The Shining. Bis es jedoch spannend und ein wenig gruselig wird, vergeht viel Zeit. Sehr viel Zeit.
Man lernt dabei ein wenig die Daltons kennen, erfährt von ihren familiären Problemen, von den Schwierigkeiten der Tochter, die unter Angstzuständen leidet und sich an einen Stoffhasen klammert, der im späteren Verlauf fast das Schicksal der Familie besiegelt. Man folgt ihnen gerne in den Italienurlaub, wo sie auf Paddy treffen und seinem rauen Charme erliegen – und spürt die ganze Zeit über eine wachsende Bedrohung.
Das alles ist solide erzählt und gut gespielt. Mit McNairy und Davis finden zwei Darsteller aus der wunderbaren Serie Halt and Catch Fire wieder zusammen, und man nimmt ihnen das alte Ehepaar ebenso ab wie McAvoy den tyrannischen Familienvater. So schön das alles anzuschauen ist und so kurzweilig die Geschichte voranschreitet, man würde sich nur etwas mehr Suspense wünschen, mehr Abgründe, Katz- und Mausspiele und Geheimnisse. Leider verläuft die Story komplett überraschungsfrei und nach dem üblichen Muster.
Interessant ist, dass, wenn es endlich im finalen Akt zur Sache geht, vor allem die Frauen zu den Kämpferinnen werden. McNairy, der ohnehin schon durch Jobverlust und erfolgloser Suche ein gedemütigter Mann ist, wird noch weiter erniedrigt durch seine Nutzlosigkeit im Angesicht des Terrors. Wenn McAvoy den alten, weißen Mann, den chauvinistischen Unterdrücker und Misogynisten verkörpert, steht sein Gegenpart für den hilf- und wehrlosen neuen Mann, der die Rettung lieber gleich seiner Frau anvertraut, weil er nicht in der Lage ist, eine Prügelei anzufangen, geschweige denn zu gewinnen. Diese Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit ist vermutlich das Originellste an diesem Film.
Alles in allem ist Speak no Evil ein routiniert inszenierter, gut gespielter Thriller, der erst im letzten Drittel an Spannung und Tempo zulegt, ohne vorher zu langweilen. Das ist nicht top, aber völlig solide.
Note: 3