The Substance

Der Trailer zu The Substance erschien mir zwar etwas wirr, grell und plakativ, er war visuell aber auch sehr ansprechend, und die Mundpropaganda des Films war seit seiner Cannes- Premiere durchweg positiv. Grund genug also, neugierig zu sein, und als wir die Gelegenheit hatten, ihn im Rahmen der Filmtage Köln lange vor dem Start zu sehen, habe ich nicht gezögert.

The Substance

Elisabeth Sparkle (Demi Moore) war einst ein großer Filmstar, doch ihr Ruhm ist inzwischen verblasst ist und ihr einziges Engagement ist die Leitung einer Fitnesssendung im Frühstücksfernsehen, wo sie als Vorturnerin Hausfrauen zu Aerobic animiert. Als ihr Produzent (Dennis Quaid) sie gegen eine jüngere Darstellerin austauschen will, verliert Elisabeth mit einem Schlag alles. Verbittert sitzt sie allein zu Hause und vermisst den Ruhm und die Liebe der Fans. Nach einem Autounfall steckt ihr ein Pfleger jedoch eine Telefonnummer zu, die sie zu einer geheimnisvollen Firma führt, die The Substance vermarktet, ein Präparat, das man sich spritzt, um seinen Körper aufzuspalten in sein altes Ich und eine neue, verbesserte und vor allem schönere und jüngere Version. Doch die Sache hat einen Haken: Nach sieben Tagen müssen die beiden ihren Platz tauschen, sonst drohen schlimme Konsequenzen.

Der Anfang des Films von Coralie Fargeat, die auch das Drehbuch schrieb, ist nahezu brillant: Er beginnt mit einer Aufsicht auf Elisabeth auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, als sie nach einem Oscargewinn einen Stern auf dem Walk of Fame erhält. Dann sieht man, wie dieser Stern langsam verblasst, Sprünge bekommt, und Elisabeth von der Welt vergessen wird. Am Ende landet ein Burger auf dem Stern und hinterlässt einen Ketchup-Fleck, der wie Blut wirkt.

Mit diesem Bild ist eigentlich schon das Meiste gesagt. Elisabeth hatte alles, Jugend, Schönheit und Ruhm, und es wird ihr nun in den ersten Minuten genommen. Schuld sind die alten, weißen Männer, die junge Mädchen ausbeuten, objektifizieren und missbrauchen, und unwillkürlich denkt man an die Harvey Weinsteins dieser Welt. Und entsprechend heißt auch die von Dennis Quaid hervorragend widerlich gespielte Figur Harvey.

Fargeat malt mit einem groben Pinsel und in Signalfarben, aber im ersten Drittel ergibt das ein rundes, gelungenes Bild. Man hat Mitleid mit Elisabeth, die immer noch wunderschön ist, was aber die Welt nicht mehr zu würdigen weiß. Demi Moore spielt sie mit großem Mut und bitterer Entschlossenheit und liefert damit eine der besten Darstellungen ihrer Karriere ab. Sie reiht sich mit Jennifer Lawrence und Emma Stone sogar in die Reihe von Stars ein, die für eine gute Story auch blank ziehen und Hollywoods Prüderie widerlegen. Oder, wie man’s nimmt, damit eher noch deutlicher herausstreichen.

The Substance ist ein düsteres Märchen, das von Eitelkeit und Verzweiflung erzählt. Elisabeth würde alles tun, um noch einmal die Liebe des Publikums zu erlangen, weshalb man gut verstehen kann, warum sie sich auf diese Prozedur einlässt, obwohl schon die Art und Weise, wie sie an das Präparat gelangt, denkbar obskur ist und sie auch keinerlei konkrete Anleitung, medizinische Aufklärung oder Assistenz bekommt. Eine grell-grüne Substanz unbekannter Herkunft und Wirkung, die man sich selbst spritzt? Was soll dabei schon schiefgehen?

Der Film gehört zum Genre des Body-Horrors, das ich überhaupt nicht mag, und man sollte einen stabilen Magen haben, um die Ekelszenen auszuhalten, die Fargeat uns präsentiert. Manches ist tatsächlich übertrieben widerlich in Szene gesetzt, wird aber immerhin gelegentlich mit Humor gebrochen. Das muss man mögen.

Mit Sue (Margaret Qualley) schlüpft buchstäblich Elisabeths junges Alter Ego und erobert die Welt und Harvey im Sturm. Da es sich bei dem Film um einen feministischen Horrorfilm handelt, hätte man nun eine Rachestory erwarten können, doch Fargeat hat anderes im Sinn und lässt ihre Heldin an sich, der Sensationsgeilheit der Welt und der Brutalität des Showbiz scheitern. Sue wird zu Elisabeths Heimsuchung, ihrem dunklen Spiegelbild, das allmählich ihr gesamtes Leben frisst. Zum Ausgleich stopft sich Elisabeth in ihrer Wachzeit wahllos mit Essen voll und fristet ein trauriges Leben in Einsamkeit. Der Preis von Jugend und Schönheit ist immer hoch. Fragt nur Dorian Grey.

Als Märchen mit moralischer Botschaft funktioniert The Substance über weite Strecken gut, doch nach knapp der Hälfte der Zeit merkt man, dass die Geschichte nicht mehr viel hergibt. Es stellen sich Längen und Wiederholungen ein, zumal Fargeat auch keinerlei Überraschungen zu bieten hat. Den Mangel an Originalität macht sie jedoch mit weiteren Ekelszenen wett, die in einem an Carrie erinnernden Finale münden. Und selbst dann geht die Geschichte noch unnötigerweise weiter. Es scheint, als hätte Fargeat nach ihrem nahezu perfekten Anfang einfach nicht mehr gewusst, wie es weitergehen und vor allem wie es enden soll. Das ist schade.

Ebenfalls enttäuschend ist, dass man mit weitaus mehr Fragen als Antworten zurückgelassen wird. Man hofft, mehr über das geheimnisvolle Präparat oder seine Erfinder zu erfahren, wird aber enttäuscht. Alles wirkt seltsam abstrakt und behauptet und unterstreicht damit noch mehr den ohnehin märchenhaften Charakter. Auch erscheint Elisabeth zu isoliert und damit als Figur unglaubwürdig, ein Star wie sie, selbst wenn ihr Ruhm verblasst ist, hat Manager, Agenten und Mitarbeiter, vielleicht sogar Freunde, doch zu sehen ist nur ihre Einsamkeit, die von Anfang festgeschrieben ist. Sogar eine Putzfrau, die zu Beginn einmal auftaucht, verschwindet plötzlich sang- und klanglos. All das ist wenig glaubwürdig.

Je länger man über die Story nachdenkt, desto mehr Lücken entdeckt man, umso schwächer und enttäuschender wirkt sie. Nichtsdestotrotz überzeugt der Film mit einigen sehr guten, hervorragend gespielten und eindringlichen Szenen, die zu den stärksten des Jahres gehören dürften. Man hätte sich darüber hinaus nur irgendwie mehr … Substanz gewünscht.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.