Endlich sind wir reich

Alfred Hitchcock und die Beatles haben eines gemeinsam: Sie schafften ihren Durchbruch in Deutschland. Hitchcock hatte zwar bereits in Großbritannien Filme als Co-Regisseur inszeniert, aber seine erste alleinige Regiearbeit war 1925 Irrgarten der Leidenschaft, den er in München drehte, weil nur eine deutsche Produktionsfirma bereit war, dem Neuling eine Chance zu geben und den Film zu co-produzieren.

Als 1931 Endlich sind wir reich erschien, war Hitchcock bereits ein etablierter Regisseur und konnte sich seine Stoffe weitgehend aussuchen. Die Werke seiner englischen Phase sind mir allerdings bis auf wenige Ausnahmen nicht sehr geläufig. Gesehen habe ich bislang nur Riff-Piraten, Die 39 Stufen und Eine Dame verschwindet, der zu meinen liebsten Filmen des Regisseurs gehört. Als nun bei Cabel Eins Classics dieses kleine, ein wenig verschrobene Stück lief, habe ich die Gelegenheit sofort genutzt, meine Wissenslücken aufzufüllen.

Endlich sind wir reich

Fred (Henry Kendall) ist ein kleiner britischer Angestellter, der genervt ist von seinem täglichen Einerlei und davon träumt, endlich einmal die große, weite Welt zu sehen. Seine Frau Emily (Joan Barry) hingegen ist zufrieden mit ihrem kleinbürgerlichen Leben in der Londoner Vorstadt. Als Freds Tante ihm unvermittelt eine große Barschaft als Voraberbe überlässt, nimmt er sich eine längere Auszeit und bucht eine Reise nach Paris sowie eine Kreuzfahrt in den Orient, ohne zu ahnen, dass er auf diese Weise seine Ehe gefährdet.

Die Story basiert auf einem Roman von Dale Collins, der auch als Co-Autor geführt wird, obwohl Hitchcock und seine Frau Alma das Skript verfasst haben. Die Legende will es, dass die Idee auf einer Kreuzfahrt entstand, die das noch junge Ehepaar unternommen hat, und auch die Namen der Protagonisten Fred und Emily klingen ein wenig wie Alfred und Alma. Man kann sich sogar vorstellen, wie manche Episoden, Anekdoten oder skurrile Gestalten von ihrer Reise Einzug in das Drehbuch gehalten haben. Etwa die nervige, aber einsame Miss Emory (Elsie Randolph), die sich jedem auf dem Schiff aufdrängt.

Ein wenig erinnert der Film auch an eine andere von Hitchcocks Komödien, Mr. und Mrs. Smith, der genau zehn Jahre später in den USA entstand und ebenfalls von einem reisenden Ehepaar in der Krise erzählt. Schon die ersten Minuten nutzt Hitchcock, um effektiv Freds Alltag und den alltäglichen Wahnsinn, beispielsweise beim Pendeln mit der U-Bahn, einzufangen, und es ist erstaunlich, wie modern das Leben der Menschen vor fast hundert Jahren anmutet. Gäbe man ihnen ein Smartphone und einen Kaffeebecher in die Hand, man würde fast keinen Unterschied bemerken. Aber auch die Wünsche und Einstellungen sind unseren sehr ähnlich, denn wie gerne träumen wir uns aus dem grauen Alltag fort in exotische Urlaubswelten?

Der große Unterschied ist, dass diese Reisen heute auch für Durchschnittsverdiener erschwinglich sind, während sie früher allein den Reichen vorbehalten waren. Plötzlich erhalten Fred und Emily Zutritt zu einer ihnen bislang unbekannten Welt, in der sie sich aber, trotz einer gewissen Naivität, erstaunlich gut zurechtfinden. Man hätte an dieser Stelle sicherlich noch mehr komödiantisches Potential herausschlagen können.

Doch Hitchcock wollte keine Culture-Clash-Komödie über kleinbürgerliche Londoner im internationalen Jet-Set erzählen, sondern eine Story über eine Ehekrise. Denn Emily verknallt sich Hals über Kopf in den charmanten, aufmerksamen, älteren Commander Gordon (Percy Marmont), der unterwegs zu seinen Plantagen in Südostasien ist und ihr hier ein sorgenloses Leben im Luxus bieten könnte. Fred verbringt hingegen die meiste Zeit furchtbar seekrank in der Kabine, bis er, kaum wieder genesen, einer geheimnisvollen Prinzessin verfällt, die ihn mit Leichtigkeit um den Finger wickelt.

Leider ist dieses Ehedrama nicht so unterhaltsam wie der Beginn der Geschichte, dafür wird man mit Bildern aus Frankreich, Ägypten und Sri Lanka entschädigt. Dass so viele Aufnahmen an Originalschauplätzen entstanden sind, ist jedenfalls bemerkenswert. Im letzten Drittel geht es – natürlich – darum, wie das Ehepaar wieder zusammenfindet, und Hitchcock dachte sich, dass dies am besten erzählt werden kann, wenn ihre Leben in Gefahr geraten. Was zu einer überraschenden Wende führt, die hier nicht verraten werden soll.

Die Geschichte ist insgesamt nicht ganz rund, es fällt schwer, den Hauptfiguren immer zu folgen und ihre Eskapaden amüsant zu finden, der Humor bleibt unterwegs leider ebenfalls größtenteils auf der Strecke, und manche Szenen haben einen unangenehmen rassistischen Unterton. Aber hier und da überrascht Hitchcock mit pointierten Dialogen und überzeugt mit perfekt getimten Gags, die Kameraarbeit ist überaus experimentell, und der temporeiche Schnitt ist seiner Zeit stellenweise weit voraus. Das macht den mit 80 Minuten zudem ziemlich kurzen Film zu einem Vergnügen.

Note: 3

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.