Kürzlich habe ich einen interessanten Beitrag über Thirteen Women gelesen, der gemeinhin als erster Slasher-Film gilt und in dem Myrna Loy, eine meiner liebsten Schauspielerinnen der Goldenen Ära, als übersinnlich begabte Mörderin Rache nimmt. Der Film von 1932 ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert, besitzt er nicht nur einen nahezu ausschließlich weiblichen Cast, sondern beschäftigt sich zudem mit modernen Themen wie Mobbing und Rassismus. Man stelle sich nur vor, wie sich die Filmgeschichte ohne Zensur durch den Hayes-Code entwickelt hätte.
Erst in den Sechzigerjahren entstanden wieder Filme dieser Art, und das Genre erlebte mit Halloween – Die Nacht des Grauens 1978 einen stilprägenden ersten Höhepunkt, dem eine Reihe weiterer Meilensteine folgten, bevor das Publikum erstmal genug von dem Gemetzel hatte. Als Scream – Schrei! schließlich Mitte der Neunzigerjahre in die Kinos kam, war er wie eine Frischzellenkur für ein müdes Genre.
Der Film knüpfte an große Vorbilder an, bediente nicht nur die Genre-Regeln, sondern erklärte sie auch dem amüsierten Publikum, um sie dann genüsslich gegen den Strich zu bürsten und satirisch zu kommentieren. Auf diese Weise war er nicht nur überdurchschnittlich erfolgreich, sondern schaffte es, Zuschauerschichten anzusprechen, die für einen herkömmlichen Slasher-Film keine Kinokarte gekauft hätten. Diese Mischung aus Spannung, satirischer Überhöhung und Humor hat den Film einzigartig gemacht. Im Kielwasser des Erfolgs kamen weitere Filme dieser Art in die Kinos, und selbst frühere Franchises wurden wiederbelebt.
Die Scream-Reihe entwickelte sich weiter und verlor mit Wes Cravens Tod schließlich nicht nur ihren Regisseur, sondern leider auch ihren humorvollen Ansatz. Der fünfte Teil, der wieder nur Scream hieß, läutete unter der Regie von Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett einen Neustart ein, zollte dabei aber auch den Vorläufern Tribut. Es war ein Generationenwechsel, der sich an den Kassen insofern auszahlte, dass eine Fortsetzung produziert wurde. Diese habe ich mir nun mit anderthalbjähriger Verspätung auf Paramount+ angesehen.
Scream VI.
Eine Filmprofessorin wird von ihrem Studenten Jason (Tony Revolori), der den legendären Ghostface-Mörder imitiert, ermordet. Doch Jason fällt kurz darauf selbst dem Killer zum Opfer. Am Tatort findet die Polizei den Ausweis von Sam (Melissa Barrera), die mit ihrer Schwester Tara (Jenny Ortega) und den Geschwistern Chad (Mason Gooding) und Mindy (Jasmin Savoy Brown) vor einem Jahr den Angriff des Ghostface-Mörders überlebt hat und mit ihnen nun nach New York gezogen ist. In den sozialen Medien gibt es schon lange eine Hetzkampagne gegen Sam, um ihr die Schuld an den Morden anzuhängen, und diese Verschwörungstheorie bekommt nun Aufwind, während der wahre Mörder weiterhin Jagd auf die jungen Leute macht.
Am auffälligsten ist, wie gesagt, dass der Humor des Franchises auf der Strecke geblieben ist. Früher konnte man immer wieder über den eher tollpatschigen Killer lachen und damit Spannung abbauen, nun setzen die beiden Regisseure vor allem auf nervenzerfetzende Momente und packende Kämpfe. Von denen gibt es einige, und inszenatorisch sind sie überaus gelungen.
Wie schon im Originalfilm werden wieder die Regeln des Genres erklärt, diesmal erweitert um die des Franchises. Das Publikum soll darauf vorbereitet werden, dass niemand sicher ist, nicht die Helden und nicht die Gaststars aus den früheren Filmen, von denen sich immerhin zwei nach New York verirren: Neben der Reporterin Gale (Courtney Cox) ist auch Hayden Panettiere wieder mit dabei, die in Scream 4 gegen den Killer gekämpft hat und nun fürs FBI arbeitet.
Tatsächlich wäre aber eine andere Art von Aufklärung sinnvoll gewesen. Anstatt die Regeln des Genres zu etablieren (an die sich später ohnehin kaum jemand hält), sollten die Autoren sich einmal überlegen, die Stereotype zu benennen und mit ihnen zu spielen oder sie zu brechen. Stattdessen lassen James Vanderbilt und Guy Busick kein einziges Klischee aus und sorgen damit in ihren grottenschlechten Drehbuch für eine Menge Ärgernisse. So finden die Helden beispielsweise heraus, auf wen es der Killer abgesehen hat und dass er bereits vor Ort ist, aber niemand macht sich die Mühe, das Opfer zu warnen. Stattdessen fahren sie stundenlang durch die Stadt und erscheinen erst in der Nacht am Tatort – natürlich zu spät. Auch ruft niemand jemals die Polizei, was in einer Notsituation ja auch total abwegig wäre, aber immer genau in der Sekunde, in der der Täter zur Tür raus ist, erscheinen plötzlich Dutzende Beamte mit Rettungssanitätern, Reportern und der verdammten Thanksgiving-Parade von Macys im Schlepptau.
So sind die lautesten Schreie, die man bei diesem Film hört, die eigenen, wenn man sich über diesen Blödsinn aufregt. Und solche Ärgernisse gibt es zu Hauf. Vor allem das vollkommen vermurkste Finale stellt die Geduld des Zuschauers auf eine arge Probe. Wie immer ist der Täter der Verwandte eines früheren Killers, weil brennende Mordlust entweder in den Genen verankert ist (außer bei den Helden) oder jeder nach einem traumatischen Verlust zu einem Sadisten mutiert (außer die Helden). Aber über diese peinliche platte Küchenpsychologie mag man sich schon gar nicht mehr aufregen, die gehört vermutlich ebenso zum Genre oder dem Franchise wie alles andere. Ärgerlich sind aber die vermeintlich coolen Sprüche der Helden, wenn die Final Girls in bester Bruce-Willis-Manier selbst zum Metzger werden, im nächsten Moment aber schon wieder flennend ihre Traumakarte ausspielen. Was denn nun – Traumaopfer oder coole Bitches? Beides ist jedenfalls nicht überzeugend.
Ein weiteres Merkmal des Genres, zumindest aber des Scream-Franchises, das inzwischen zum Klischee verkommen ist, ist die faktische Unverwundbarkeit der Helden. Einerseits sollen sie verletzlich sein, so dass man Angst um sie hat, sie werden verprügelt und aufgeschlitzt, andererseits hat all das keine Auswirkungen. Manchmal kommen sie lebensgefährlich verletzt ins Krankenhaus, springen aber schon wenige Stunden später wieder aufgedreht herum, als wäre nichts gewesen, oder die Regisseure vergessen komplett, dass einer Figur gerade die Eingeweide punktiert wurden, und zeigen sie lediglich mit einem Arm in der Schlinge. Zum Klischee verkommen ist auch der lächerlichste Kiss-Off der Filmgeschichte, den sie nun schon wiederholt zelebrieren und in dem der Love-Interest abgeknutscht wird, während die Sanitäter gerade versuchen, sein Leben zu retten. Kevin Williamson wäre das nie passiert, oder er hätte sich zumindest darüber lustig gemacht.
Scream VI. ist ein Slasher, den die Welt nicht braucht, aber wer Spaß an diesem Genre oder diesem ausgelutschten Franchise hat, kommt zumindest zeitweilig auf seine Kosten. Die Regisseure schaffen es, zwei, drei spannungsgeladene Szenen zu kreieren, fahren den Film aber im Showdown komplett gegen die Wand. Letzten Endes beweist diese Produktion einmal mehr, dass aus einem schlechten Drehbuch niemals ein guter Film werden kann.
Note: 4-