Wer schon einmal in den USA unterwegs war, wird sich vielleicht darüber gewundert haben, dass es Sitte ist, beim Bezahlen im Restaurant die Kreditkarte des Gastes mitzunehmen und den Vorgang an der Hauptkasse abzuwickeln. Aber selbst, wenn man seine Kreditkarte immer im Auge behält, ist es durchaus für einen geschickten Gauner möglich, sie heimlich zu kopieren und für illegale Tätigkeiten zu benutzen.
Dabei gäbe es Möglichkeiten, diese Betrügereien konsequenter zu unterbinden, indem beispielsweise jede Transaktion mit einem PIN bestätigt werden muss, nur sind die Amerikaner viel zu bequem, um dies zu unterstützen. Kein Wunder, dass Kreditkartenbetrug und Identitätsdiebstahl zu den häufigsten Delikten in den USA zählen.
Als der Film zu Amazon Prime kam, hatte ich noch nie von ihm gehört, doch die Geschichte klang interessant und machte neugierig. Leider konnte der Trailer die ersten Erwartungen nicht erfüllen, er wirkte etwas unterkühlt und sperrig, so dass der Film auf meiner Watchlist landete und dort so lange blieb, bis er plötzlich nur noch wenige Tage verfügbar war. Ansehen oder nicht? Am Ende habe ich wenige Stunden, bevor er von der Plattform verschwand, einen Blick riskiert.
Emily the Criminal
Emily (Aubrey Plaza) lebt in Los Angeles und sucht nach einem gutbezahlten Job. Zwar hat sie studiert, findet jedoch nur Stellen im Servicebereich, weil sie eine Vorstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung hat, die sie gezwungen ist, offen zu legen. Mit Gelegenheitsjobs bei einem Caterer-Service verdient sie aber kaum genug, um über die Runden zu kommen, geschweige denn, um ihre horrenden Studiengebühren zu begleichen. Eines Tages gibt ihr ein Kollege einen Tipp: Emily lässt sich von Youcef (Theo Rossi) und seinem Cousin Khalil (Jonathan Avigdori) als sogenannten Dummie-Shopper anheuern. Mit einer geklonten Kreditkarte kauft sie teure Fernseher und andere leicht wieder verkaufbare Produkte, für die sie eine Provision erhält. Weil sie sich geschickt anstellt und in brenzligen Situationen die Nerven behält, bekommt sie bald gefährlichere Aufträge. Doch Emily will mehr, und als sie mit Youcef eine Affäre beginnt, unterstützt er sie heimlich mit Equipment und Material für eigene Raubzüge. Damit riskieren sie jedoch Ärger mit Khalil.
Der Anfang ist vielversprechend. Man sieht Emily in einem Vorstellungsgespräch, in dem sie von dem Personalchef (John Billingsley) geschickt aufs Kreuz gelegt wird. Mit ihrer Vorstrafe, über die Emily sich nicht äußern will, ist sie von Anfang an als Kriminelle abgestempelt und hat es schwer, eine feste Anstellung zu finden. Lediglich in unterbezahlten Jobs, in denen sie keine Rechte hat und jederzeit gefeuert werden kann, findet sie ein halbwegs akzeptables Auskommen. Doch es drücken hohe Schulden, die von einem Studienkredit herrühren sowie von Anwaltskosten.
Wie Emily geht es vielen Amerikanern, die in einer Schuldenfalle stecken, aus der sie nicht ohne Weiteres wieder herauskommen. Dabei muss man nicht einmal vorbestraft sein, um in Schwierigkeiten zu gelangen, denn nicht jeder, der studiert hat, findet danach auch problemlos einen rentablen Job, der es ihm erlaubt, seine Schulden zu tilgen und den amerikanischen Traum zu leben.
Die Verlockung, mit einer vergleichbar harmlosen kriminellen Aktion schnell zu Geld zu kommen, ist unter diesen Voraussetzungen nachvollziehbar. Youcef macht jedem Aspiranten von Anfang an klar, dass die Tätigkeit illegal ist, jeder entscheidet sich aus freien Stücken dafür, das Gesetz zu brechen. Auch Emily weiß, was sie tut, als sie sich darauf einlässt, und sie bringt etwas mit, das nicht jeder Durchschnittsmensch besitzt: Kaltblütigkeit und den Willen, sich in jeder Lage durchzusetzen. Emily benutzt sogar körperliche Gewalt, um sich zu behaupten, ein Merkmal, das immer noch als relativ unweiblich gilt.
Ihre Vorstrafe kommt schließlich nicht von ungefähr, Emily hat im Streit ihren damaligen Freund verletzt, und auf die Frage von Youcef, ob sie es bereut, erklärt sie, dass ihr einziger Fehler damals war, ihm nicht so viel Angst eingejagt zu haben, dass er auf eine Anzeige verzichtet. Obwohl Emily offensichtlich kriminell ist bzw. wird und gewaltbereit ist, gelingt es Autor und Regisseur John Patton Ford, sie halbwegs sympathisch zu zeichnen. Das liegt vor allem daran, dass Emily übel mitgespielt wird.
Als sie im Verlauf der Geschichte ein weiteres Vorstellungsgespräch hat, offenbart ihr die Chefin (Gina Gershon) schonungslos, dass sie im ersten halben Jahr keinen Lohn erhalten wird und es danach keine Garantie auf eine Festanstellung gibt. Wenn solche ausbeuterischen Methoden legal sind, so legt Patton nahe, hat Emily nahezu ein moralisches Recht auf Diebstahl.
Die Szenen, in denen Patton den amerikanischen Kapitalismus und eine auf Konsum und Schuldenmachen ausgerichtete Gesellschaft kritisiert, sind die stärksten in der Geschichte. Erzählt wird sie in einem schnörkellosen, naturalistischen Stil, der beinahe dokumentarischen Charakter hat und sich damit bewusst von den gelackten Hollywoodproduktionen absetzt. Das passt zum Wesen der Story, erschwert aber auch etwas den Zugang zu ihr.
Gegen Ende nimmt die recht langsam erzählte Geschichte endlich etwas Fahrt auf. Emily und Youcef werden zu einem Gangsterpärchen, quasi Bonnie und Clyde des Kreditkartenbetrugs, und geraten schließlich in eine Spirale aus Misstrauen und Betrug. Der Schluss ist wenig romantisch, aber folgerichtig und konsequent, definitiv kein märchenhaftes Finale, das eine klassische Studioproduktion durchgesetzt hätte.
Note: 3