Als der Film kürzlich zu Netflix kam, dachte ich nur: Effie wer? Weder hatte ich je von der realen Effie Gray gehört noch von dem Film aus dem Jahr 2014. Vermutlich ist weder das eine noch das andere erstaunlich, denn von den Frauen berühmter Männer kennt man selten, wenn überhaupt die Namen, geschweige denn ihre Mädchennamen. Der Film wiederum hatte einen schweren Start, war das Drehbuch von Emma Thompson jahrelang Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren wegen Urheberrechtsverletzungen, und als diese Probleme endlich beseitigt waren, ging der Film sang- und klanglos unter.
Weil es jedoch ein hübsch bebildertes Historiendrama ist, konnte ich natürlich nicht widerstehen und habe mir den Film angesehen.
Effie Gray
Euphemia „Effie“ Gray (Dakota Fanning) heiratet 1848 den älteren Kunsthistoriker und Gelehrten John Ruskin (Greg Wise), den sie sehr bewundert. Doch ihre Ankunft im Haus seiner Eltern (Julie Walters und David Suchet) stellt die jugendliche Braut vor ungeahnte Schwierigkeiten: John findet ihren Körper abstoßend und weigert sich, die Ehe zu vollziehen, und seine herrische und überfürsorgliche Mutter macht Effie das Leben schwer. Ihre einzige Freundin ist Lady Eastlake (Emma Thompson), deren Mann die National Gallery leitet. Ruskin sorgt dafür, dass dort erstmals die avantgardistischen Präraffaeliten ausstellen dürfen. Als deren wichtigster Vertreter, John Everett Millais (Tom Sturridge), ein Porträt Ruskin malen soll, verliebt er sich in die unglücklich Effie.
Scheidung war im 19. Jahrhundert noch ein eher unüblicher Akt, für den nahezu unüberwindliche juristische Hürden genommen werden mussten und der meist mit sozialer Ächtung endete. Zumindest für die Frau. Entsprechend war die Dreiecksgeschichte zwischen Ruskin, seiner Frau Effie und Millais zu seiner Zeit ein riesiger Skandal, der dank der Prominenz der Beteiligten weit über deren Tod hinaus Interesse geweckt hat. Tatsächlich wurden mehrere Bücher darüber geschrieben, und bereits 1912 entstand eine Filmversion der Ereignisse, gefolgt von einigen Bühnenstücken.
Im Grunde ist Effie Gray ein Ehedrama wie Anna Karenina oder Madame Bovary und erzählt von den Schwierigkeiten einer Frau im viktorianischen Zeitalter, ein selbstbestimmtes, glückliches Leben zu führen. Effie ist die Gefangene einer unglücklichen Ehe, ohne juristische oder politische Rechte oder die Möglichkeit, sich ihrer Situation zu entziehen oder Erfüllung und Autonomie zu erlangen. Der Film beginnt der Erzählung eines Märchens, das Teile der späteren Handlung vorwegnimmt, und etabliert dann schnell Effies aussichtslose Lage.
Mit Julie Walters ist auch bald eine Schurkin gefunden, die Effie eifersüchtig bekämpft und zusätzlich nichts unversucht lässt, sie zu unterdrücken. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, ihre junge Schwiegertochter unter Drogen zu setzen, um sie gefügig zu machen. Das alles wird eindrucksvoll und beklemmend erzählt und durch Regisseur Richard Laxton gekonnt in Szene gesetzt. Die düsteren viktorianischen Innenräume sind wie geschaffen für Geschichten über emotionale Gefängnisse.
Inhaltlich tritt die Story leider danach auf der Stelle. Es geht ein wenig um die künstlerische Anerkennung der Präraffaeliten, deren Bilder teilweise dazu herhalten müssen, Effies schwierige Situation zu verdeutlichen. Auch wenn Effie nicht das Modell von Millais’ berühmter Ophelia war. Die Längen sind vor allem Mängeln in der Figurenzeichnung geschuldet. Man erfährt nie, was Ruskin eigentlich so abstoßend an seiner Frau findet und vermutet schließlich, dass er als durch und durch intellektueller Mensch, der nur für seine Studien und Bücher lebt, schlichtweg kein Interesse am Fleischlichen hat. Aber wie vieles bleibt auch das Spekulation.
Wenn man sich ein wenig mit den realen Figuren beschäftigt, erkennt man, dass Thompson hier eine geradezu ärgerliche Schwarz-Weiß-Malerei betreibt. Effie wird als armes, bedauernswertes Opfer stilisiert, als zartes Vögelchen, das von einer herrschsüchtigen Schwiegermutter und einem gefühlskalten Ehemann in einen goldenen Käfig gesperrt wird. Die reale Effie war hingegen sehr viel lebenslustiger und mehr zum Flirten aufgelegt als Fanning es hier suggeriert, die ihre Figur eher benommen und depressiv durch die Handlung schlafwandeln lässt. Darunter leidet auch die Liebesgeschichte zwischen ihr und Millais, die seltsam blutleer bleibt. Auch der Altersunterschied zwischen Wise und Fanning, der 28 Jahre beträgt, ist irreführend, denn Ruskin war lediglich neun Jahre älter als seine Frau. Anstatt sich Mühe zu geben und die delikaten Nuancen der Charaktere herauszuarbeiten, wird lieber zum groben Pinsel gegriffen und die komplexe Story auf eine simple Opfererzählung reduziert, die besser zum aktuellen Thema Empowerment passt.
Dabei wird sogar die Hauptfigur beschädigt: Da Effies aussichtslose Situation relativ schnell etabliert ist, wäre es beispielsweise wünschenswert gewesen, hätten Thompson und Laxton erzählt, wie sie versucht, einen Ausweg zu finden. Das geschieht allerdings erst im letzten Drittel, und gerade wenn die Geschichte endlich an Fahrt aufnimmt und spannend wird, ist sie auch schon zu Ende.
Alles in allem ist Effie Gray ein wunderschön bebildertes, interessantes Bio-Pic über eine Frau, die für ihr Recht auf Autonomie und Liebe kämpft. Zumindest auf dem Papier.
Note: 3-