Das erstaunliche Leben des Walter Mitty

Es ist eine Weile her, seit ich so neugierig auf einen Film war, dass ich ihn am Startwochenende sehen wollte, aber bei Das erstaunliche Leben des Walter Mitty war ich schon vom Trailer fasziniert, und selbst die durchwachsenden Kritiken konnten mich nicht abschrecken…

Das erstaunliche Leben des Walter Mitty

Walter (Ben Stiller) ist ein Tagträumer, der seinen langweiligen Alltag als Archivar des Bildarchivs des Life-Magazins gerne mal gegen die aufregenden Abenteuer eines Pioniers in der Arktis oder eines Superhelden eintauscht. Als junger Mann träumte er noch von Reisen in ferne Länder, doch daraus ist niemals etwas geworden. Mit Anfang vierzig ist seine beschauliche Existenz jedoch gefährdet, denn das Magazin soll in eine online-Redaktion umgewandelt werden, zahlreiche Kollegen verlieren ihren Job. Ausgerechnet jetzt verliebt sich Walter in Cheryl (Kristen Wiig), ist aber lange Zeit zu schüchtern, sie überhaupt anzusprechen, und obendrein verschwindet ein Negativ aus seiner Obhut: das Bild, das das letzte Cover zieren soll. Walter begibt sich auf die Suche nach dem Fotografen Sean (Sean Penn), der irgendwo in Grönland sein soll…

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass unser Leben meist recht langweilig ist. Selbst Astronauten führen, sofern sie nicht gerade die ISS reparieren müssen, ein eher durchschnittliches Leben, in dem der unerwartete Besuch der Schwiegermutter oder der Verlust der Geldbörse die einzigen aufregenden Momente sind. Und wer träumt sich nicht manchmal aus einer banalen Situation hinweg oder möchte etwas Herausragendes leisten, um jemandem zu imponieren? Wie Walter wollen wir geliebt, geachtet und ein kleines bisschen bewundert werden, und wie er bekommen wir nicht nicht immer alles, was wir wollen…

Walter Mitty erblickte bereits 1939 das Licht der Welt, in einer Kurzgeschichte von James Thurber, und 1947 das Licht der Leinwand in dem Film Das Doppelleben des Walter Mitty mit Danny Kaye in der Titelrolle. Ich habe den Streifen nie gesehen, aber er hat mit Ben Stillers Version kaum etwas zu tun.

Im Remake geht es nicht nur um Tagträume, Mut und Abenteuerlust, darum, das Herz seiner Angebeteten zu erobern und zu dem Mann zu werden, der man immer sein wollte, sondern auch um eine Abrechnung mit der modernen Welt. Sean Penn verkörpert hier den klassischen Abenteurer, der moderne Kommunikationsmittel ablehnt und nach Authentizität und Wahrhaftigkeit strebt – als Fotoreporter ist er gewissermaßen prädestiniert für diese Aufgabe. Walter dagegen ist ein Opfer unserer Zeit, in der bärtige Hipster das Sagen haben und alles vernichten, was einmal von Wert war. Wenn in der Redaktion die alten, überdimensionalen Titelbilder abgehängt werden und die Geschichte der letzten sechzig Jahre Revue passiert, ist das ein Abgesang auf die gute, alte Zeit. Analog war gestern, die Zukunft ist digital und zudem ziemlich beliebig. Traditionelle Werte und Tugenden haben ausgedient, die Hipster kennen sich mit allem aus, haben aber von nichts eine Ahnung, schon gar nicht wissen sie den wahren Wert einer Sache zu schätzen.

Ben Stiller ist Ende vierzig und damit in einem Alter, in dem man noch in der alten, analogen Welt aufgewachsen ist und ihre Vorzüge zu schätzen gelernt hat, sich gleichzeitig aber auch in der neuen, digitalen Welt auskennt und weiß, wie man ihre unbestreitbaren Vorteile nutzen kann. So lässt sich Walters Traumwelt mit allen erdenklichen Tricks zum Leben erwecken, die die digitale Bildbearbeitung auf Lager hat. Gleichzeitig nutzt er diese Mittel zu einem elegischen Abgesang auf eine langsam verschwindende Welt. Das hat schon was.

Leider ist das Drehbuch von Steve Conrad nicht richtig rund und nimmt ein paar unnötige Umwege, die für Längen in der Story sorgen. Auch die Figurenzeichnung, so liebevoll sie ist, könnte ein wenig emotionaler ausfallen. So wird aus Walter Mitty vielleicht ein Abenteurer, ein romantischer Liebender aber nicht. Auf der Habenseite stehen die traumschönen Aufnahmen (Kamera: Stuart Dryburgh) und der tolle Soundtrack. Insgesamt ein wunderbares Plädoyer für die Kraft des Träumens.

Note: 2-

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Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.