Talk to me

Ich weiß nicht, ob es eine Frage des Alters, des mangelnden Interesses oder schlichter Überforderung ist, aber viele Hypes gehen komplett an mir vorüber. Oft denke ich, dass dies auch gut so ist. Jedenfalls hatte ich noch nie von RackaRacka gehört, dem YouTube-Kanal der Zwillinge Danny und Michael Philippou, die Hardcore-Comedy-Horrorfilme produzieren. Hardcore, weil sie in vielen Ländern wegen ihrer gewalttätigen Szenen verboten sind. Oder wegen allzu expliziter sexueller Inhalte. Man weiß es nicht.

Talk to me war ihr Langfilmdebüt und wurde sogar im Rahmen der Berlinale gezeigt. Horror ist nun also auch in Deutschland salonfähig geworden. Der Trailer war ganz gut, und weil mein seltsames Hirn aus der Gipshand eine mumifizierte Affenpfote gemacht hat, hieß er bei immer nur „der Affenpfoten-Film“. Gesehen habe ich ihn dennoch nicht im Kino, trotz guter Kritiken, Bewertungen und Vorsätze, weil ich schlichtweg zu faul war, in die Spätvorstellung zu gehen, aber nun habe ich ihn immerhin auf Prime Video nachgeholt.

Talk to me

Seit dem Tod ihrer Mutter verbringt Mia (Sophie Wilde) die meiste Zeit bei ihrer Freundin Jade (Alexandra Jensen). Als sich der Todestag ihrer Mutter jährt, überredet Mia Jade, zu einer Party zu gehen, auf der eine Séance abgehalten wird, bei der man eine Gipshand hält, in der sich angeblich die mumifizierte Hand eines Mediums befinden soll, um Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen. Mia probiert es und sitzt plötzlich dem Geist einer toten Frau gegenüber, die sie freiwillig Besitz von ihrem Körper nehmen lässt. Die Prozedur, die dem Besessenen ein drogenähnliches Hochgefühl beschert, darf aber nicht länger als 90 Sekunden dauern. Nach diesen Erfahrungen ist Mia süchtig nach mehr und überredet Jade, eine Séance im Haus ihrer Mutter (Miranda Otto) abzuhalten, als diese Dienst im Krankenhaus hat. Bei dieser Séance will auch Jades fünfzehnjähriger Bruder Riley (Joe Bird) mitmachen, was Mia gegen den Willen seiner Schwester erlaubt. Plötzlich ergreift der Geist von Mias Mutter Besitz von ihm, und sie will ihn nicht gehen lassen.

Teenager machen dumme Sachen, von denen sie viele später bereuen. Das gehört zum Prozess des Erwachsenwerdens ebenso hinzu wie die ersten Erfahrungen mit komplexen Gefühlen. Normalerweise geht es dabei um die erste Liebe, in Mias Fall aber um Trauer und Verlust. Sie hat zwar inzwischen den Tod ihrer Mutter, die an einer Überdosis Schlaftabletten starb, die sie möglicherweise versehentlich genommen hat, einigermaßen verkraftet, sich dabei aber verändert. Die anderen Schüler empfinden sie als anstrengend und emotional instabil, weshalb sie nicht allzu beliebt ist. Nur Jade und ihre Familie haben sie akzeptiert und bei sich aufgenommen, während ihre Beziehung zum Vater (Marcus Johnson) angespannt ist. Beide wissen nicht, wie sie miteinander umgehen sollen.

Dass Besessenheit ein Hochgefühl verursacht, ist eine neue, allerdings nicht wirklich überzeugende Idee. Man muss es wohl erlebt haben. Die Séancen sind jedenfalls ein riesiger Partyspaß bei den australischen Kids, die sich gegenseitig dabei filmen, wie sie seltsame Dinge tun, in fremden Sprachen reden oder herumgewirbelt werden. Dass diese Aktionen nicht gesund sein können, weiß aber nur der Zuschauer, der in den ersten Szenen gesehen hat, wie ein früherer Benutzer der Hand Selbstmord begeht.

Das Grundmuster des Plots ist die übliche Story von den Geistern, die man rief und dann nicht mehr loswird. Seit Goethe also nicht mehr besonders originell, aber gut in Szene gesetzt von den Philippou-Brüdern. Sophie Wilde ist eine hervorragende Protagonistin, die anfangs zwar ein wenig nervig wirkt, nicht nur auf ihre Freunde, sondern auch auf den Zuschauer, mit der man aber gerne mitgeht. Natürlich hängen ihr die Geister an, sie hat Halluzinationen und entwickelt dann eine Psychose.

Viel schlimmer ist jedoch das Schicksal, das Riley ereilt, und dieser frühe Höhepunkt ist mit Abstand die intensivste Szene des Films, der danach leider in eine Art Schockstarre verfällt. Die Autoren, Bill Hinzman und Danny Philippou, versuchen sich an einem Schulddrama, in dem Mia die Verantwortung dafür, was Riley widerfahren ist, übernehmen muss und Wiedergutmachung leisten will, und kombinieren dies mit der klassischen Traumaerzählung, in der sie erneut den Tod der Mutter durchlebt – und dabei einige neue Wahrheiten erfährt. Leider fällt das Resultat, trotz guter Schauspielkünste, eher gemischt aus. Die Präzision des ersten Drittels geht weitgehend verloren und weicht einer gewissen Beliebigkeit. Man hat nie das Gefühl zu wissen, wohin die Reise thematisch eigentlich gehen soll, und auch der Showdown lässt an Spannung missen. Dafür wird bereits ein zweiter Teil angetriggert, bei dem es neue Abenteuer mit der „Affenpfote“ geben wird.

Note: 3

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Pi Jays Corner und verschlagwortet mit von Pi Jay. Permanenter Link zum Eintrag.

Über Pi Jay

Ein Mann des geschriebenen Wortes, der mit fünfzehn Jahren unbedingt eines werden wollte: Romanautor. Statt dessen arbeitete er einige Zeit bei einer Tageszeitung, bekam eine wöchentliche Serie - und suchte sich nach zwei Jahren einen neuen Job. Nach Umwegen in einem Kaltwalzwerk und dem Öffentlichen Dienst bewarb er sich erfolgreich an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Er drehte selbst einige Kurzfilme und schrieb die Bücher für ein halbes Dutzend weitere. Inzwischen arbeitet er als Drehbuchautor, Lektor und Dozent für Drehbuch und Dramaturgie - und hat bislang fünf Romane veröffentlicht.