Auf der Suche nach Filmen, die sich inhaltlich, thematisch oder wenigstens aufgrund ihrer Darsteller oder Regisseure ergänzen, bin ich diese Woche etwas an meine Grenzen gestoßen. Den heutigen Film habe ich ausgewählt, weil mir einfiel, dass ich vergessen habe, am Montag Nosferatu zu erwähnen, der Trailer zu Robert Eggers neuester Regiearbeit, ein Remake des gleichnamigen deutschen Klassikers, sieht ziemlich klasse aus.
Im weitesten Sinne geht es diese Woche also um Horrorfilme, wobei The Northman streng genommen nicht ganz in dieses Genre passt. Schon der Trailer war eine Wucht und versprach ein bildgewaltiges Epos, das gleichzeitig in seiner künstlerischen Manieriertheit Ähnlichkeiten zu The Green Knight aufwies. Auch wenn beide Filme unterschiedliche Geschichten erzählen, basieren sie doch auf alten Märchen und Mythen. The Northman wurde vielfach als Arthaus-Wikingerfilm bezeichnet, was durchaus zutreffend ist, der aber –aufgrund seiner hohen Produktionskosten – ein Flop an den Kassen war. Als weiterer Grund für das ausbleibende Zuschauerinteresse wurde seine übertriebene Brutalität genannt. Was allerdings für manche Leute schon wieder für den Film spricht.
The Northman
Als König Aurvandil (Ethan Hawke) aus dem Krieg heimkehrt, ist er schwer verwundet und plant, seinen noch jungen Sohn Amlet (Oscar Novak) zum Nachfolger zu ernennen. Doch sein Bruder Fjölnir (Claes Bang) reißt die Macht an sich und tötet ihn. Amlet kann mit knapper Not entkommen und wird für tot gehalten. Doch viele Jahre später, inzwischen selbst ein Soldat auf Kriegszug in Russland, wird Amlet (Alexander Skarsgård) durch eine Seherin (Björk) an seine Pflicht zur Rache erinnert. Er mischt sich unter eine Gruppe Sklaven, zu denen auch Olga (Anya Taylor-Joy) gehört, und wird zu Fjölnir nach Island gebracht, wo dieser inzwischen mit Amlets Mutter (Nicole Kidman) im Exil lebt.
Am Namen erkennt man, welches klassische Schauspiel von dieser alten nordischen Sage inspiriert wurde: Tatsächlich hat sich Shakespeare bei dem Mythos bedient, das Rachemotiv und einige Namen und Begebenheiten aufgegriffen, aber eine gänzlich andere Geschichte daraus gezimmert. Sein Hamlet ist ein zögerlicher, innerlich zerrissener Mensch, während der Amlet aus der Sage gerissen und brutal ist und erfolgreich Rache nimmt. Wer nun glaubt, dass Robert Eggers, der nicht nur Regie geführt, sondern mit Sjón Sigurdsson auch das Drehbuch geschrieben hat, die Originalgeschichte wiederbeleben will, kennt den Mann nicht.
Wie schon in seinem Erstling The Witch versucht Eggers, möglichst authentisch eine längst vergangene Zeit heraufzubeschwören und lässt den Zuschauer sich anschließend darin verlieren. Auch in The Witch ging es um Religion und Aberglauben, es gab surreale Horrorelemente und ziemlich brutale Szenen. Nicht unbedingt das, was durchschnittliche Arthausbesucher goutieren, aber insgesamt fesselnd und mitunter verstörend. Aber leider auch etwas spröde und langatmig in der Umsetzung.
The Northman ist quasi das männliche Gegenstück zu The Witch, spielt ebenfalls in einem vergangenen Zeitalter und führt uns das Leben im zehnten oder elften Jahrhundert in Skandinavien als trostloses, düsteres und vor allem freudloses Dasein vor Augen. Es gibt nur Mühsal, Plackerei und wenig Vergnügen. Die Herrscher und ihre Soldaten führen unentwegt Krieg, deren Opfer vor allem die Frauen und Kinder sind. Es ist, kurz gesagt, ein sehr einseitiges und in seiner Sichtweise auch falsches Mittelalterbild.
Das zentrale Motiv ist die Rache, zu der Amlet verpflichtet ist, denn so will es die damalige Gesellschaft und vor allem wollen es die Götter. Entsprechend ist es kein Zufall, dass eine Seherin oder Priesterin ihn an diese vernachlässigte Pflicht erinnert, während er als Söldner mordend durch Russland zieht. Auch Amlet selbst verfügt über seherische Fähigkeiten, doch selbst das Wissen um das tragische Ende seiner Mission führt nicht zu einer Änderung seines Verhaltens. Das macht Amlet zu einem Gefangenen seiner Sozialisation in einer schicksalsergebenen Gesellschaft mit starren Regeln, die wenig Platz für Individualität und persönliche Freiheit lassen.
Sein Abenteuer ist eine lange Reise in die Dunkelheit, an der auch seine frische Liebe zu Olga nichts zu ändern vermag. In ihr sieht er zwar seine Zukunft und die seines Geschlechts, aber dem Schicksal will er nicht entrinnen, obwohl er es könnte. Ob das Schicksal letzten Endes unausweichlich ist, da es durch die Ordnung der Götter festgeschrieben wurde, oder notwendig, da Fjölnir seinerseits Amlets Tod und vielleicht auch den seiner Nachkommen verlangen würde, sollte dieser ihn nicht zuvor umbringen, wird dabei leider nicht ganz deutlich.
Anders als Shakespeares Held ist dieser Amlet ein starker, draufgängerischer und kluger Krieger. Dank des Unrechts, das ihm zugefügt wurde, kann man sich gut mit ihm identifizieren, und auch die Rachegeschichte verfügt grundsätzlich über genug Dynamik, um bei der Stange zu bleiben, auch wenn der Film insgesamt zu lang ist. Selbst die erwähnte Brutalität ist, von einigen wenigen unappetitlichen Szenen, erträglich und bleibt im Rahmen dessen, was man aus anderen Filmen kennt. Eine reine Heldensaga ist The Northman jedoch nicht, das liegt nicht nur an der tragischen Note, sondern auch an der sehr ernsten, düsteren und bisweilen übertrieben mystischen Inszenierung.
Insgesamt fügt sich alles zu einem atmosphärisch stimmigen Bild zusammen, deren Details jedoch bisweilen übertrieben sind und zu sehr ins Fantastische abdriften, selbst wenn sie noch so kunstvoll und theatralisch in Szene gesetzt werden. Und selbst Shakespeare wusste, dass es selbst in einer düsteren, tragischen Geschichte nicht schaden kann, das Publikum gelegentlich auch mal zum Lachen zu bringen.
Note: 3